Politische Dokumentarfilme aus der DDR

Unsichtbare Schuld

In der von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann 1969 in der DDR gegründeten Produktionsstätte »Studio H & S« entstanden über 70 politische Dokumentarfilme, von denen jetzt viele in einer Werkausgabe auf DVD wieder zu entdecken sind.

Brisante Enthüllungen über Altnazis in Westdeutschland und ihre Karrieren in Politik und Wirtschaft kamen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik vor allem aus der DDR. Daran beteiligt waren die jungen Journalisten Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Heynowski, Jahrgang 1927, war im Nationalsozialismus noch als Flakhelfer im Einsatz, Scheumann, Jahrgang 1930, wurde auf einer nationalsozialistischen Eliteschule ausgebildet. »Junge, aber auch ältere Deutsche kamen zu dem Entschluss, Deutschland müsse sehr anders werden, vor allem seine Eigentums-, Macht- und Kommandostrukturen«, erklärte der Filmkritiker Klaus Wischnewski 1998 in seiner Rede zu Ehren des verstorbenen Gerhard Scheumann. Allerdings waren es nur wenige, die aus dem Wahn der Volksgemeinschaft radikale Konsequenzen zogen, wie Scheumann und Heynowski. Wobei letzterer zuerst in Tübingen studierte, 1948 wegen seines Widerstands gegen die Remilitarisierung ein halbes Jahr ohne offizielle Begründung in­haftiert wurde und anschließend nach Ostberlin floh.
Der Journalist Heynowski begann 1956 für das Fernsehen der DDR zu arbeiten. So entstand 1960 die Reportage »Mord in Lwow« über die nationalsozialistische Vergangenheit von Theodor Oberländer, dem Bundesvertriebenenminster im Kabinett Konrad Adenauers. Die NS-Täterschaft von Adenauers Staatsekretär Hans Globke, der vor 1945 als Oberregierungsrat im Reichsinnenministerium die »Endlösung der Judenfrage« mitplante, machte er in der Reportage »Aktion J« zum Thema. In »Kommando 52« (1965) beschäftigte sich Heynowski mit deutschen Söldnern, die im Kongo kämpften. Dabei zeigte er, dass die Kommandeure ehemalige Wehrmachtsoffiziere waren, die das brutale Vorgehen an der Ostfront im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gelernt hatten und es jetzt bei der »Partisanenbekämpfung« im Kongo anwendeten.
Der Interviewfilm »Der lachende Mann« (1966), den Heynowski mit Scheumann realisierte, widmet sich ebenfalls diesem Thema.Als »Kongo-Müller« sei er in Afrika bekannt, rühmte sich dort der Anführer des Kommandos, Major Siegfried Müller, und fabulierte heiter über die »Neger-Jagd« und das Vorgehen der deutschen Soldateska. Der Film erhielt in der DDR den Nationalpreis, in der BRD wurde die Aufführung verboten. Bei einer Privatvorführung durch den Pazifisten Helmut Soeder beschlagnahmte die Polizei die Kopie des Filmes, die Soeder vom DOK-Filmfestival aus Leipzig mitgebracht hatte. Offiziell galt dies als ein Wirtschaftsdelikt, keineswegs als eine Einschränkung der Meinungsfreiheit: Jeder Film aus den staatssozialistischen RGW-Ländern musste dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft zur Prüfung vorgelegt werden.
In westdeutschen Publikationen wurde »Der lachende Mann« als unseriöser Propagandafilm bezeichnet. Der Spiegel titelte »Die Schnapsbeichte« und monierte, dass »Kongo-Müller« beim Interview eine Flasche Pernod trinkt und er von den Reportern über deren Herkunft aus der DDR getäuscht worden sei. Eine Kritik, die an der Aussage des Filmes vorbeigeht und sich der Auseinandersetzung mit der mörderischen Kontinuität deutscher Kriegsführung im postnazistischen Deutschland verweigert.
Auch andere Filme des Studios H & S lieferten Material für eine kritische Betrachtung der deutschen Geschichte. Obwohl sich die meisten Produktionen des Studios mit internationalen Themen befassen – etwa mit dem Vietnamkrieg und dem Putsch in Chile – , wandten sich die beiden Filmemacher in den letzten Jahren der DDR verstärkt der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu: In »Kamerad Krüger« (1988) griffen sie auf ihre Methode der Selbstentlarvung durch Interviews zurück, wie sie sich schon im Fall Müller bewährt hat. Die Interviewer ließen den Kriegsverbrecher in dem Glauben, sie seien westdeutsche Journalisten. Bezeichnend ist, wie selbstgerecht und sicher der ehemalige SS-Offizier sich vor der Kamera präsentiert. Entstanden ist ein Zeitdokument, das in Erinnerung ruft, dass Angehörige der Waffen-SS in der BRD jahrzehntelang ihre Traditionspflege betreiben durften.
»Der Mann an der Rampe« (1988) ist eine Dokumentation über einen NS-Verbrecher, der in Auschwitz den Verkehr der Todestransporte organisierte. Anstelle einer Haftstrafe erhielt er dafür in der BRD eine üppige Pension.
So scharf Heynowski und Scheumann den Umgang der BRD mit den NS-Kriegsverbrechern kritisierten, so vage blieb ihre Faschismusanalyse. Statt der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft steht die NS-Täterschaft der gesellschaftlichen Eliten im Vordergrund. So etwa auch, wenn sie in »Meiers Nachlass« (1975) die Versteigerung des Hausstandes von Hermann Göring 1974 in München dokumentieren, bei der eifrig geboten wurde, um Suppenschüsseln mit eingraviertem Hakenkreuz oder Schmuckteller mit Widmung der Gestapo-Prominenz zu erstehen. Es ist ein Film, der in seiner Unmittelbarkeit beeindruckt.
Da Heynowski und Scheumann sich auf die Kritik der postnationalsozialistischen Eliten konzentrierten, schonten sie die Volksgemeinschaft. Diese Nachsicht erklärt sich aus ihrem schematischen Marxismus-Leninismus. In schlechtester Dimitroffscher Tradition, wonach der Faschismus die Herrschaft der aggressivsten Fraktionen der Großbourgeoisie ist, gerät ihnen so auch das Grunddilemma der DDR aus dem Blick: Mit ehemaligen Angehörigen der NS-Volksgemeinschaft, die an der Judenvernichtung und dem Vernichtungskrieg im Osten beteiligt waren, ohne sich je mit ihrer Schuld auseinanderzusetzen, lässt sich kaum ein antifaschistischer, sozialistischer Staat aufbauen. Der positive Bezug auf die DDR relativiert die Herrschafts- und Ausbeutungskritik von Heynowski und Scheumann.

Studio H & S: Filme 1964–1989. Walter Heynowski/Gerhard Scheumann, DVD-Box, Absolut Medien

Die DVD-Edition wird am 29. April im Theater Habbema in Berlin präsentiert.