Ein historischer Abriss deutscher Querfronten

Verquere Welt

Von Ivo Bozic

Die Begriffe »links« und »rechts« taugen oft nur sehr unzureichend, um politische Haltungen zu definieren. Das machen sich die verschiedenen Querfront-Strategien zunutze.

Der Unterschied zwischen links und rechts? Darüber gibt es sicher so viele Ansichten, wie es Linke und Rechte gibt. Vielleicht können wir uns ganz, ganz grob auf diese Formel einigen: freier Markt + unfreie Gesellschaft = rechts, unfreier Markt + freie Gesellschaft = links. Davon einmal ausgehend, ist es natürlich etwas verwirrend, dass die Staaten, die demnach besonders rechts sind, die also autoritären Staat mit kapitalistischem Wirtschaftssystem verbinden, gerade Russland, China oder auch Vietnam sind, also jene Staaten, in denen noch rote Fahnen wehen, Lenin- bzw. Mao-Statuen herumstehen, Hammer und Sichel auf Uniformen glänzen. Da kann man schon mal durcheinander kommen. Wenn dann noch Nazis mit Palitüchern aufmarschieren, wenn linke Antisemiten und rechte Antikapitalisten das Wort ergreifen, Kommunisten und Nazis für Putin auf die Straße gehen, Linke, Faschos und Jihadisten gemeinsam auf einem Soli-Boot nach Gaza schippern, und wenn auf den neuen Montagsdemos ganz offen dafür geworben wird, die Unterscheidung von links und rechts endlich ad acta zu legen zugunsten einer breiten Volksfront gegen, ja wen auch immer, dann wird es richtig undurchschaubar.
Das Konzept der Querfront hat seine Wurzeln unter anderem in der sogenannten Konservativen Revolution der Weimarer Zeit. Es sollte keine Linken und Rechten mehr geben, sondern nur noch »deutsche Volksgenossen«. Als einer der Vordenker gilt Arthur Moeller van den Bruck, der Nationalismus und Sozialismus völkisch miteinander zu verknüpfen suchte und 1923 forderte, Deutschland solle sich nach Osten, zur Sowjetunion hin orientieren, gegen den liberalen Westen, vor allem die USA. Daran knüpfen die neuen Montagsdemonstrationen an, allerdings hat es in der jüngeren Geschichte eine unübersehbare Zahl von Querfronten gegeben, von Überschneidungen linker und rechter Positionen, ohne dass sich deren Vertreter selbst immer als Querfront definiert hätten.

Wie eine Querfront sowohl ideologisch als auch personell funktioniert, lässt sich gut am Beispiel des Schweizer Bankiers François Genoud nachzeichnen (Jungle World 4/2011). Er reist als jugendlicher Hitler-Fan 1936 in den Nahen Osten, wo er in den arabischen Aufstand gerät. Er sieht Parallelen zum Kampf seiner deutschen NS-Idole, denn es gehe jeweils um die Bekämpfung des »internationalen Judentums«. Er wird zum Partner des Muftis von Jerusalem, der wiederum mit NS-Deutschland zusammenarbeitet. Für Genoud sind der arabische Nationalismus und die antikoloniale Bewegung Teil desselben Kampfes. Er unterstützt die algerische Befreiungsfront und trifft dabei jede Menge Linke. Er schreibt: »Der Kampf für Algerien, der die Krönung der Dekolonialisierung darstellt, wurde weltweit enthusiastisch begrüßt. Die meisten Kämpfer kamen von weit links, wo man an die großen Prinzipien glaubt. Ich kam aus einer anderen Ecke, vom arabischen Nationalismus, von Gamal Abdel Nasser und vom Kampf für das Palästina Hadj Amin al-Husseinis. Ich war glücklich, Männer und Frauen zu begegnen, die einen anderen Hintergrund hatten (...), mit denen ich aber das eine gemeinsam hatte: das Engagement für die Entkolonialisierung der ›Dritten Welt‹.« Er trifft auch den Anwalt Jacques Vergès, der ein Freund Pol Pots ist und später Rechtsbeistand von Klaus Barbie, Slobodan Milošević und Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos. Altnazi Genoud freundet sich mit Carlos an und unterstützt die marxistische Palästinensische Befreiungsfront PFLP, die wiederum mit der deutschen RAF zusammenarbeitet, unter anderem bei der Flugzeugentführung 1977, aber auch schon zuvor, indem sie bereits die erste Genera­tion der RAF unter der Leitung des heutigen Neonazis Horst Mahler in ihren Camps im Libanon, Jordanien und dem Irak ausbildet. Auch die rechtsextreme Wehrsportgruppe Hoffmann pflegte beste Kontakte zur PFLP und trainierte im selben Camp im Libanon, in dem Ulrike Meinhof ausgebildet worden war. Es gab außerdem eine Zusammenarbeit mit der Stasi, die mindestens ­einen IM in der Wehrsportgruppe hatte und diese dazu brachte, Waffentransporte von der DDR in den Libanon durchzuführen.
Nicht ganz so kreuz und quer geht es in der Nachfolgeorganisation der SED zu, wo es jedoch ebenfalls Versuche gab, das Tor nach rechts aufzustoßen. Die PDS-Politikerin Christine Ostrowski traf sich 1992 mit militanten Neonazis und stellte daraufhin befriedigt fest, dass die sozialen Forderungen »bis hin zum Wortlaut« übereinstimmten. 1995 begann die parteinahe Tageszeitung Neues Deutschland eine Debatte unter dem Motto »Wie national muss die Linke sein?« mit einem Beitrag von Roland Wehl, einem Redakteur des nationalrevolutionären Querfront-Blattes Wir selbst und Mitarbeiter der Jungen Freiheit. Wehl knüpfte in seinem Artikel an die DDR-Nostalgie der PDS-Klientel an: »Vieles von dem, was in der DDR links war, gilt im vereinten Deutschland als rechts. Das betrifft nicht nur die Haltung zur Armee, Polizei und Recht und Ordnung. Es betrifft auch das gemeinschaftliche Denken, das in der DDR so stark entwickelt war. Es betrifft Fürsorge gegenüber dem Nächsten und die Liebe zum eigenen Land.« Einen Gegenbeitrag steuerte die Sprecherin der Kommunistischen Plattform in der PDS, Ellen Brombacher, bei. Sie grenzte sich von Wehl ab, gab ihm aber gleichzeitig auch Recht, indem sie ­anerkennend Lenin zitierte: »Das Vaterland (…), d. h. das gegebene politische, kulturelle und so­ziale Milieu, ist der stärkste Faktor im Klassenkampf.« Das NPD-Mitglied Michael Nier aus Chemnitz schrieb daraufhin im rechtsextremen Blatt Nation & Europa: »Man kann wohl feststellen, dass die Masse der Mitglieder und Wähler der PDS national orientiert ist und sie der Meinung ist, dass das internationale Finanzkapital über die regierenden Systemparteien an der Zerstörung von Sozialstaat und Kultur in Deutschland arbeitet.« Er rief zur Wahl der PDS auf.

Zu denkwürdigen Allianzen zwischen Linken und Rechten kam es auch im Zuge des Irak-Kriegs 2003. Linke wie rechte Antiimperialisten bezogen sich positiv auf den Ba’athismus und Saddam Hussein und unterstützten den irakischen Terrorismus als »legitimen Widerstand« gegen die US-Truppen, sammelten sogar Geld für die terroristischen Gruppen (Jungle World 52/2003). Der von Slobodan Milošević protegierte rechtsextreme Anführer der Serbischen Radikalen Partei (SRS), Vojislav Šešelj, feierte seinen alten Freund Saddam Hussein als »Waffenbruder« und als »Symbol des Widerstands gegen die neofaschistischen US-Barbaren«. Werner Pirker würdigte Šešelj in der Jungen Welt: »Beide, Milošević und Šešelj, sind Dissidenten der neoliberalen Globalisierung«. Deren Querfront verteidigte er: »Das Problem ist nicht das angeblich rot-braune Bündnis Milošević-Šešelj. Das Problem ist eine Linke, die ihre Vorstellungen von Aufklärung und Fortschritt in geistiger Verbundenheit mit dem herrschenden Liberalismus entwickelt und sich so in Komplizenschaft mit der neoliberalen Reaktion, dem wirklich relevanten Rechtsradikalismus unserer Zeit, begibt.«
In Folge der Kämpfe im Irak, bei denen es eine Zusammenarbeit zwischen säkular-nationalistischen Ba’athisten und Jihadisten gab, wurden bei Linken islamfaschistische Organisationen salonfähig. 2006 wollte Wolfgang Gehrcke von der Linkspartei den Sprecher der Hamas zu einer »Nahost-Konferenz« nach Berlin einladen. 2007 veröffentlichte der Mitarbeiter der »Linken«-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, Nikolaus Brauns, ein Buch, in dem offen für eine links-jihadistische Querfront geworben wird. Er forderte ein »Bündnis des islamisch-religiösen Widerstands gegen Imperialismus und Zionismus mit der säkularen Linken«. Im Buch schreibt der Sprecher der Antiimperialistischen Koordination aus Wien, Willi Langthaler: »Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden, wo der Islamismus nicht nur eine antiimperialistische, sondern auch sozial fortschrittliche Rolle spielt, wie bei der libanesischen Hizbollah oder beim palästinensischen Islamischen Jihad.« Jürgen Elsässer, der heute einer der Anführer der Montagsdemo-Bewegung ist, lobte damals das Buch: »Mit Hizbollah und Hamas gegen das Empire!«
Aber auch auf höchster staatlicher Ebene kommt es immer wieder zu Querfronten aus zumeist antiimperialistischer Gesinnung. Vene­zuelas sozialistischer Präsident Hugo Chávez bildete mit Irans Präsidenten, dem Holocaustleugner und notorischen Antisemiten Mahmoud Ahmadinejad, ein ausdrücklich als »antiimperialistisch« definiertes Bündnis, das wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit beinhaltete. Wenn es um Sympathiebekundungen mit Diktatoren geht, seien es Saddam, Gaddafi, Ahmadinejad oder jetzt Assad, stehen linke Antiimperialisten und Neonazis meist Seit’ an Seit’. Im Hass auf die USA und Israel zeigt man sich vereint. Gemein­samer Bezugspunkt sind immer wieder der Antizionismus und die Solidarität mit den Palästinensern. 2010 nehmen an der Free-Gaza-Flottille dann Linke, Faschisten und Islamisten gemeinsam teil, hier sitzt die rot-braun-grüne Querfront endlich auch ganz praktisch zusammen in einem Boot.

Rot-braune Bündnisse gibt es nicht nur bei autoritären Kommunisten. Vor allem esoterische und verschwörungstheoretische Kreise, aber auch Teile der anarchistischen Bewegung zeigen sich anfällig. Hier ist der Kitt einerseits der positive Bezug auf die Gemeinschaft, also auf die völkische Version der »Selbstbestimmung«, und andererseits die Ablehnung der »Zinsknechtschaft« und des Geldsystems. Besonders aktiv war seit Ende der neunziger Jahre Peter Töpfer, der zunächst die Zeitschrift Sleipnir herausgab, dann die Homepage »Nationale Anarchie« betrieb und Mitorganisator eines »Freundeskreises Querfront« war. Er nahm 2006 an der »Holocaust-Konferenz« im Iran teil.
Töpfer arbeitete auch mit Michael Koth zusammen, einem der hartnäckigsten Querfront-Aktivisten des Landes. Dieser warb 1995: »Sleipnir reißt alte Schranken zwischen ›rechts‹ und ›links‹ nieder (...). Was im Oktober 1993 (Russische Krise, I. B.) auf den Barrikaden Moskaus mit Blut besiegelt wurde, nämlich das Kampfbündnis von Kommunisten und Nationalisten, was in der KDVR (Nordkorea) seit fünf Jahren Staatspolitik ist, sollte auf deutschem Boden doch wohl auch zu verwirklichen sein!« Koth gründete 1999 den Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) mit, der einerseits den NS verherrlichte und mit SA-ähnlichen Uniformen auftrat, sich gleichzeitig aber positiv auf besonders autoritäre und antiimperialistische Kommunisten bezog. Koth war früher Mitlied des Westberliner DKP-Ablegers SEW und des »Komitees Freiheit für Erich Mielke«. Auch im Freundeskreis der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte e. V. in Ziegenhals bei Berlin wirkte Koth mit. Auf der KDS-Homepage betrieb er eine Rubrik »Rot-brauner Kanal«.
Heute setzt Koth seine Arbeit in der Antiimperialistischen Plattform (AiP) fort. Dort wird, wie zuvor beim KDS, eine innige Solidarität mit dem Regime Nordkoreas gepflegt, im April wurden Koth und andere Mitglieder der AiP anlässlich des »Führergeburtstages« (nicht Hitler, sondern Kim Il-sung) in der Botschaft Nordkoreas empfangen. Im November und im Februar veranstaltete die AiP nach eigenen Angaben in der venezolanischen Botschaft in Berlin ein »Symposium« zu den »Ursachen des Scheiterns des real existierenden Sozialismus in der DDR und den Schlussfolgerungen für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, im November trat der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz bei der AiP auf. Dass die AiP Syriens Diktator Assad und die russische Okkupationspolitik in der Ukraine unterstützt, versteht sich von selbst.
Dieser bruchstückhafte historische Abriss vor allem deutscher Querfronten zeigt, wie dehnbar die Begriffe »links« und »rechts« sind. Diese Erfahrung machen umgekehrt auch antideutsche Linke zuweilen, wenn sie sich in außenpolitischen Fragen, etwa in Sachen Israel, Syrien oder Iran, häufiger an der Seite rechter Think Tanks wiederfinden als an der Seite der vermeintlichen Lin­ken. »Querfronten« sind bei vielen Themen grund­sätzlich nicht vermeidbar, alles andere wäre ein Ausdruck ideologischer Verbohrtheit. Nicht die Frage, ob die reine linke Lehre durch Bündnisse mit Rechten beschmutzt wird, zählt, sondern schlicht, welche Inhalte jeweils vertreten werden. Wenn Linke, wie dargestellt, aber derart rechte Ideologien pflegen, ist die Frage, inwieweit das Links-Rechts-Schema überhaupt taugt, durchaus berechtigt. Dass es dennoch Sinn machen kann, an einer groben, vielleicht wie eingangs formelhaft erklärten Darstellung des politischen Spektrums festzuhalten, zeigen jedoch die gegenwärtigen Montagsdemos. Wenn es keine grundsätz­lichen Abgrenzungen mehr gibt, ja gar keine politischen Inhalte mehr außer einem »Wir gegen die da oben«, bleibt als politisches Subjekt nur die Volksgemeinschaft übrig. Und die ist mit Sicherheit nicht links.