Wie europafreundlich ist die Europäische Volkspartei?

Konservative Hassliebe

Vor den EU-Parlamentswahlen sind sich die in der Europäischen Volkspartei zusammengeschlossenen Parteien keineswegs einig. Sie schwanken zwischen EU-kritischem Nationalismus und dem Streben nach Macht innerhalb der EU-Insti­tutionen.

»Wir lieben Europa so sehr, dass wir es ändern möchten«. Diese Parole schlug der Vorsitzende der französischen konservativen Partei UMP, Jean-François Copé, seinen Parteikollegen zu Anfang des Jahres als Wahlkampfslogan für die bevorstehende Europaparlamentswahl vor. Sie erinnert ein wenig an das Bonmot des 1970 verstorbenen, liberal-gaullistischen Schriftstellers François Mauriac: »Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich froh bin, dass es zwei davon gibt.« Gemeint hatte er damals, dass die Teilung Deutschlands in BRD und DDR aus französischer Sicht von Vorteil sei, da sie die Rückkehr deutscher Großmachtpolitik verhindere.
Copé ist Vorsitzender einer Partei, die den Gaullismus zumindest in Teilen fortzusetzen behauptet. Der Sinn seines Slogans erschließt sich zunächst nicht genau. Er soll wohl sowohl jene ansprechen, die von der Europäischen Union genug haben und am liebsten zum guten alten, souve­ränen Nationalstaat zurückkehren wollen, als auch jene, die sich konstruktiv auf EU-Ebene einbringen wollen, für bestimmte Reformen werben oder sich größere machtpolitische Anstrengungen der Union wünschen. Beide Positionen finden sich nicht nur bei französischen Vertretern der Europäischen Volkspartei (EVP), der die UMP angehört, sondern auch bei EVP-Politikern anderer Kernländer der EU.

Seine Partei konnte Copé jedoch nicht überzeugen. Nach insgesamt acht ergebnislosen Vorstandssitzungen einigte die UMP sich auf den Wahlwerbespruch: »Für Frankreich – handeln in Europa«. Auch dieser ist ambivalent. Deutlicher wird da schon die italienische Partei Forza Italia, die politische Hinterlassenschaft Silvio Berlusconis: »Mehr Italien in Europa – weniger Europa in Italien«.
Aber hier ist der gesellschaftliche Zusammenhang auch ein anderer. In Italien scheint im Zuge der Krise der Missmut gegenüber der EU gewachsen zu sein. Eine Umfrage des Instituts Demos & Pi förderte im Februar dieses Jahres zu Tage, dass nur 29 Prozent der befragten Italienerinnen und Italiener der EU »vertrauen«, während 27 Prozent erklärten, sie seien gegen die EU, und weitere 44 Prozent, sie seien »europaskeptisch«. Im Jahr 2000 hatten noch 57 Prozent der italienischen Befragten Vertrauen in die EU.
In Frankreich würde einer vergangene Woche veröffentlichten Umfrage des britischen Instituts Yougov zufolge nur ein Drittel der Befragten für den Verbleib in der Union stimmen – weniger als in Deutschland und Großbritannien. Ein weiteres Drittel gab an, gegen einen solchen Verbleib zu stimmen, der Rest äußerte sich nicht klar oder blieb unentschieden.
Am EU-freundlichsten schnitten die Deutschen ab, dort gaben 57 Prozent der Befragten an, für einen Verbleib in der Union einzutreten. Hier ist nicht nur der historische Hintergrund wichtig – schließlich wurde die europäische Integration einst als Mittel einerseits zur Rehabilitation nach der Kriegsniederlage und andererseits zur Überwindung eines gefährlichen Nationalismus betrachtet –, sondern auch der Standpunkt der Eliten, der sich durchgesetzt hat. Sie befürchten, die deutsche Exportindustrie könnte viel verlieren, sollte die EU-Integration in Frage gestellt werden. In der früheren Weltmacht Frankreich und erst recht in südeuropäischen Staaten sehen sich hingegen viele Bürgerinnen und Bürger, bis hin zu den Eliten, eher übervorteilt.
In Deutschland bleibt es deswegen unter den »staatstragenden« und als regierungsfähig geltenden Parteien weitgehend der CSU überlassen, »Brüssel« zu kritisieren. Die bayerische Regierungspartei betreibt dabei oft Symbolpolitik. So forderte sie in den letzten beiden Jahren beispielsweise lautstark, Deutsch als weitere Amtssprache in der EU neben Englisch und Französisch zuzulassen, und außerdem eine Verkleinerung der EU-Kommission um die Hälfte ihrer Mitglieder. Auch wetterte sie gegen die »Übertragung jeglicher weiterer Zuständigkeiten nach Brüssel«. Dass sie zu Anfang des Jahres gegen die Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer agitierte, war ein geeignetes Mittel, um den Sozialrassismus zu schüren.

Was die Infragestellung der institutionellen Verflechtung auf EU-Ebene betrifft, gehen manche französische Konservative sehr viel weiter. Großes Aufsehen erregte im April der Abgeordnete Laurent Wauquiez (UMP), der unter Präsident Nicolas Sarkozy von 2007 bis 2012 Minister und Regierungssprecher war und damals als ausgemachter Europafreund galt, da er sich etwa auch für den Beitritt Kroatiens als 28. Mitgliedsland aussprach. In seinem Buch »Europa, alles muss sich ändern« fordert Wauquiez nun, die EU auf eine stark verkleinerte Gruppe von nur noch sechs Mitgliedsstaaten zu reduzieren. So viele Mitglieder hatte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Vorläuferin der Union, in den Jahren von 1957 bis 1973. Wauquiez schlägt allerdings einen Tausch vor: Von den Gründungsmitgliedern will er Luxemburg nicht länger dabei haben, das er als »Steuerparadies« deklariert, weshalb sich Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der EVP zur Europawahl, äußerst verärgert zeigte. Stattdessen will Wauquiez Spanien, das erst 1986 der EWG beitrat, als Kernland der verkleinerten Union integrieren. Portugal, das wie Spanien ebenfalls 1986 der EWG beitrat, zählte er hingegen nicht zu den zukünftigen Mitgliedern. Es würde dann eine neue EU-Außengrenze mitten durch die iberische Halbinsel verlaufen.
Der ehemalige französische Außenminister Alain Juppé (UMP) forderte daraufhin Wauquiez zum Austritt aus der Partei auf, und neben ihm auch Henri Guaino, den früheren Redenschreiber Sarkozys, der für seinen schwülstig-patriotischen Stil bekannt ist. Dieser hatte angekündigt, bei der Europaparlamentswahl nicht für die UMP-Liste zu stimmen. Ihr Spitzenkandidat im Pariser Wahlkreis, Alain Lamassoure, sei ihm zu »pro-europäisch«.
So zerstritten wie die französische UMP sind in der »Europafrage« sonst nur die britischen Konservativen. Bereits 2009 sind die Tories unter David Cameron aus der EVP-Fraktion ausgetreten, um mit der »European Conservatives and Reformists Group« eine eigene europaskeptische Frak­tion zu gründen. Ihr gehören ansonsten vor allem polnische und tschechische Nationalisten an. 100 von 303 Abgeordneten der Tories im britischen Unterhaus zählen zu den nationalkonservativen EU-Gegnern, die auch als »High Tea Party« bezeichnet werden. Premierminister Cameron hatte geglaubt, durch die Ankündigung eines Referendums über die EU-Mitgliedschaft zwischen der nächsten Wahl 2015 und dem Jahresende 2017 diesen Flügel zufrieden gestellt zu haben. Doch es rumort dort weiterhin kräftig, besonders seit Finanzminister George Osborne im Januar eine Neuaushandlung der EU-Verträge gefordert hat. Sowohl den britischen Konservativen als auch der französischen UMP sitzt dabei eine Konkurrenz im Nacken, die bei den Wahlen am Sonntag jeweils mit EU-Kritik von rechts punkten könnte. Die britische United Kingdom Independence Party (UKIP) sowie der französische Front National könnten in ihren Ländern sogar jeweils zur stärksten Partei aufsteigen.