Fehlender Wurstfaktor

<none>

Für Russlands Rechtsaußen Wladimir Schirinowski konnte es wohl kaum schlimmer kommen. »Das ist Europas Ende«, polterte der rechte Schreihals nach dem Sieg der österreichischen Drag Queen Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest. Nun könnte einem dieser Schirinowski ja schnurzpiepegal sein. Soll er doch herumpöbeln und Intoleranz predigen, wenn kümmerts? Das Problem ist allerdings: Es gibt eine ganze Menge solcher Krakeeler, die nicht nur schwulenfeindlich sind, sondern generell etwas gegen eine offene, tolerante Gesellschaft haben. Und das im ach so aufgeklärten Europa des 21. Jahrhunderts.
Aber zum Glück gibt es ja noch die vielen anderen. Jene, die das Gut der Freiheit schätzen und bereit sind, sich dafür zu engagieren. Genau das zeichnete den diesjährigen Song Contest aus, machte ihn zu einem ungewöhn­lichen Politikum – und zu einer Werbeveranstaltung für ein tolerantes Europa. Denn der kontinentale Wettbewerb geriet vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise zu einer Entscheidung über grundlegende politische Posi­tionen. Ein Funke, der offenkundig zündete. Dafür gibts zwölf Punkte.
Ein paar Tage später dann das Kontrastprogramm. Europaweit wurde das Fernsehduell der EU-Spitzenkandidaten der großen Parteienbündnisse übertragen. Und man musste schon ein großer Fan derartiger Veranstaltungen sein, um dieser Fernsehdebatte etwas abgewinnen zu können. Die Kontrahenten bewarfen sich und die Zuschauer zumeist mit Schlagwörtern wie Putin, Sanktionen, Finanzströme, Solidarität, Arbeitslosigkeit und Energie. Dazu gab es abgedroschene Phrasen, Politikersprech und kaum eine nennenswerte Konfrontation. Alles in allem eine ziemlich bürokratisch anmutende Veranstaltung. Als Werbung für die Wahl zum EU-Parlament, als Anreiz dafür, sein Mitbestimmungsrecht am 25. Mai zu nutzen, war dieses »Duell« jedenfalls ein Flop. Es fehlte ihm an allem, schon an Pep.
Und so war sie bereits nach wenigen Minuten da: die melancholische Erinnerung an den Song Contest. Nicht unbedingt wegen dessen musikalischer Klasse oder ausgefeilter Choreographien. Sondern schlicht, weil Stimmung in der Bude war. Weil man selbst als Fernsehkonsument die Chance hatte, für etwas Partei zu ergreifen und dafür dann Punkte zu vergeben. Genau das fehlt den immer noch arg konventionell daherkommenden Fernsehduellen. Deshalb hier der Appell an alle Fernsehverantwortlichen: Gebt dem Zuschauer die Chance mitzumischen. Lasst sie nach der Sendung über die Kandidaten für Europa abstimmen und entscheiden, wer seine Sache wirklich gut gemacht hat. Zwölf Punkte hier, sechs Punkte da – so kann man den Bürgern die EU-Wahlen sicher eher schmackhaft machen. Mehr Wurst für Europa!