Gegen den Verein »Sterbehilfe Deutschland« ist Anklage erhoben worden

Der Tod ist nicht umsonst

Immer wieder schafft es Roger Kusch mit seinem dubiosen Sterbehilfeverein in ­die Schlagzeilen. Nun hat die Hamburger Staatsanwaltschaft Anklage wegen Totschlags erhoben.

Man kann dem Mann kein mangelndes Selbstbewusstsein unterstellen. Im Gegenteil, ein gewisser Geltungsdrang ist nicht zu verleugnen. Nach dem Ende seiner Laufbahn als Justizsenator in Hamburg ist kein Jahr vergangen, in dem Roger Kusch nicht im Rampenlicht stand. Mit seinem Verein »Sterbehilfe Deutschland« rüttelt er seit 2008 beharrlich am juristischen Verbot der Sterbehilfe in der Bundesrepublik. Zunächst präsentierte er auf einer spektakulären Pressekonferenz im Juni 2008 eine »Selbsttötungsmaschine«, mit der sich Sterbewillige umbringen können. Man muss lediglich einen Knopf betätigen, dann beginnt die Maschine die todbringenden Medikamente in die Venen zu pumpen. Das Legen der Kanülen und das Anschließen der Maschine bewegen sich in einem juristischen Graubereich, Kusch verließ vor dem Betätigen des Startknopfes durch den Sterbewilligen jedoch immer rechtzeitig den Raum, sodass er nicht belangt werden konnte. In den folgenden Jahren begleitete er eigenem ­Bekunden zufolge 118 Sterbewillige in den Tod.

Nun ist Kusch bei seinen Bemühungen, sein Treiben endgültig zu legalisieren, anscheinend zu weit gegangen. Zumindest vermutet dies die Staatsanwaltschaft Hamburg und hat den 59jährigen des Totschlags angeklagt, zusammen mit dem Neurologen und Psychiater Johann Friedrich Spittler, der ebenfalls für den Verein »Sterbehilfe Deutschland« tätig ist. Die Staatsanwaltschaft wirft beiden vor, im November 2012 das Selbstbestimmungsrecht zweier Frauen verletzt zu haben. Es geht um zwei 81 und 85 Jahre alte Mitglieder des Vereins, die Seniorinnen litten an keiner unheilbaren Krankheit. Ihnen halfen Spittler und Kusch beim Suizid, obwohl, so die Staatsanwaltschaft, beide Frauen in ihrer Entscheidung unsicher waren und am vereinbarten Sterbetag »weinten« und mit ihrer Entscheidung »haderten«. Der Verein »Sterbehilfe Deutschland« hatte den Frauen das Malariamedikament Chloroquin beschafft, das bei einer Überdosierung Herzrhythmusstörungen auslöst und schließlich zum Herzstillstand führt. Die beiden Angeklagten hätten einen »Präzedenzfall« schaffen wollen, damit durch die Hamburger Justiz ein Grundsatzurteil gefällt werde, wirft die Staatsanwaltschaft ihnen vor.
Kusch zeigte sich nach der Anklageerhebung unberührt. Auf einer Pressekonferenz Mitte Mai teilte er lapidar mit, sein Verein werde »ohne Wenn und Aber weitermachen«. Zwar räumte er ein, dass ihn die Anklage nicht »kalt lasse«, von der Rechtmäßigkeit seines Tuns ist er aber nach wie vor überzeugt. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Kusch und Spittler hätten gegen den Grundsatz der »Wohlerwogenheit« verstoßen, der besagt, dass man eine solch schwerwiegende Entscheidung nur treffen kann, wenn man umfassend beraten und aufgeklärt wurde, auch über Alternativen. Und das scheint im vorliegenden Fall nicht erfolgt zu sein. So hätten die beiden Angeklagten weder erwähnt, dass ihr Verein seiner Satzung zufolge Sterbehilfe eigentlich nur beim Vorliegen einer schweren, hoffnungslosen Prognose leistet, noch hätten sie auf weitere Beratungsangebote hingewiesen. In diesem Fall, da der Suizidwunsch nicht »wohlerwogen« sei, bleibt das Handeln der beiden Beschuldigten nicht straffrei, sondern entspricht dem Straftatbestand »Totschlag in mittelbarer Täterschaft«.
Die Anklageerhebung der Hamburger Staatsanwaltschaft kommt zu einer Zeit, in der hierzulande erneut über Sterbehilfe debattiert wird. Die Initiative geht von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) aus. Er möchte erreichen, dass die organisierte und gewerbsmäßige Sterbehilfe in Deutschland in Zukunft verboten wird. Denn bislang gibt es eine Gesetzeslücke: Während die aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlangen, in Deutschland eindeutig verboten ist, ist der assistierte Suizid nicht strafbar. Wenn also ein Angehöriger oder Arzt einen Sterbewilligen dabei unterstützt, sich selbst zu töten, bleibt diese Hilfe straffrei. Vorausgesetzt, der Sterbewillige nimmt das todbringende Medikament selbst ein und der Helfer ist zum Zeitpunkt der Einnahme nicht zugegen. Sonst würde er sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen. Diese Regelung führte dazu, dass sich Organisationen gründeten, die sich darauf spezialisiert haben, den assistierten Suizid anzubieten. Einige sogar gegen Geld, so muss man für die Aufnahme in Kuschs Verein viel bezahlen. Möchte man ohne Wartezeit die Hilfe beim Suizid in Anspruch nehmen, werden 7 000 Euro fällig, bei einem Jahr Wartefrist muss man immerhin noch 2 000 Euro zahlen. Den Beitrag überweist man auf ein Konto in der Schweiz. Auf diese Weise wappnet sich Kusch bereits, falls die Gesetzeslücke geschlossen werden sollte. Die Gesetzesinitiative würde nämlich genau jene Vereinigungen wie die »Sterbehilfe Deutschland« betreffen.

Schon die schwarz-gelbe Koalition wollte die Gesetzeslücke schließen, konnte jedoch keine Einigung erzielen. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte nur das Verbot der gewerbsmäßigen Organisation der Beihilfe zum Suizid. Das ging der Union nicht weit genug. Sie wollte auch die organisierte unentgeltliche Form der Sterbehilfe verbieten. Dieses Ziel hat Gröhe nun wieder aufgegriffen. Ein grober Zeitplan steht bereits, die Parlamentarier haben rund eineinhalb Jahre bis zum Sommer 2015 für Debatten veranschlagt. Es soll eine breite parlamentarische und gesellschaftliche Diskussion um die Sterbehilfe und die mit ihr verbundenen ethischen, juristischen und gesundheitspolitischen Fragen geben. Dann erst sollen Gesetzesberatungen im Bundestag beginnen, die fraktionsübergreifend stattfinden sollen. Der Bundestag hat mit dieser Form der Debatte ohne Fraktionszwang schon bei anderen ethisch schwierigen Fragen wie dem Embryonenschutz oder der Stammzellforschung gute Erfahrungen gemacht, die Parteipolitik stand auch bei diesen Themen im Hintergrund.

Verbände der Hospizbewegung begrüßen Gröhes Initiative. Bereits im Februar hat der »Deutsche Hospiz- und Palliativverband« in einer Stellungnahme zur Diskussion über ein Verbot gewerb­licher und organisierter Formen der Beihilfe zum Suizid gefordert, der in der Bevölkerung verbreiteten Angst vor Würdeverlust in Pflegesituationen und bei Demenz sowie vor unerträglichen Schmerzen und Leiden durch stärkere Wertschätzung gegenüber kranken und sterbenden Menschen sowie durch flächendeckende Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung zu begegnen. Sollte es zu einer Anklage und Verurteilung von Kusch und Spittler kommen, würde dies zweifelsohne die Position von Gröhe stärken. Denn nicht alle Parlamentarier wünschen sich ein vollständiges Verbot. Oft geht es nur um die gewerbsmäßige Sterbehilfe. Die vermeintlich aus Nächstenliebe handelnden Organisationen, die nur einen Vereinsbeitrag kassieren, möchte so mancher gern stillschweigend weiter dulden. Bei Kusch und Spittler mischen sich diese Formen. Zwar betont Kusch immer wieder, keinen Euro mit seinem Verein zu verdienen. Die Vereinsbeiträge sind allerdings schwerlich mit dieser Aussage in Einklang zu bringen. Und das Gutachten, das Spittler im Fall der beiden alten Damen erstellt hat, soll rund 2 000 Euro Honorar gekostet haben, wie die Zeit berichtete. Umsonst ist nicht einmal der Tod.