Evangelikale wollen Homosexuelle »therapieren«

Beten macht hetero

Auf einem evangelikalen Kongress in Kassel sprachen christliche Experten über die »Therapierbarkeit« von Homosexuellen.

Er habe Fehler gemacht, räumt Rolf Trauernicht auf der von ihm einberufenen Pressekonferenz am 22. Mai ein. Selbstverständlich sei Homosexualität keine Krankheit, sondern lediglich eine andere Form menschlicher Sexualität. Mit dem Alter sei er zudem liebevoller und barmherziger im Umgang mit Homosexuellen geworden.
Auch deshalb distanziert er sich nun auf Nachfrage von seiner Publikation »Denkangebot 2: Die Homosexualität verstehen lernen«. In ihr hat er Veränderungstherapien zustimmend besprochen und über die Gemeindearbeit von Homosexuellen geschrieben: »Der homosexuelle Mitarbeiter muss erkennen, dass Homosexualität in der Bibel als Sünde bezeichnet wird und als solche auch zu behandeln ist. Er darf ebenso wie auch alle anderen Sünder die Sünde nicht propagieren und von Homosexualität nicht beschönigend reden bzw. Kinder und Jugendliche zu Homosexualität animieren. Ich erwarte weiterhin von (homosexuellen) Mitarbeitern, dass sie sich in der lebendigen Beziehung zu Jesus Christus verändern lassen wollen.« Der Text wurde kürzlich von der Homepage des Vereins Weißes Kreuz entfernt und durch ein neues »Denkangebot 2« ersetzt: »Ideen gegen Langeweile«.

Trauernicht ist Leiter des Weißen Kreuzes, einer bundesweit tätigen evangelikalen Organisation mit Hauptsitz in Ahnatal bei Kassel und der Selbstauskunft zufolge ein »Fachverband für Sexualethik und Seelsorge im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschland«. Jüngst ist der Verband wegen des vom 22. bis 24. Mai in Kassel ausgerichteten Kongresses »Sexualethik und Seelsorge« kritisiert worden. An der Veranstaltung für »engagierte Gemeindemitglieder, Ehepaare, Lehrkräfte und Berater/innen« nahmen etwa 200 Personen teil. Mit Christl Ruth Vonholdt und Markus Hoffmann waren zwei Referenten eingeladen, die Homo­sexualität nicht als »Schöpfungsvariante« akzeptieren und »Therapien« für veränderungswillige »homosexuell empfindende Menschen« befürworten.
Die Kinder- und Jugendärztin Vonholdt leitet das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft, das der evangelikalen Offensive Junger Christen angeschlossen ist. In ihren Texten wendet sie sich immer wieder gegen Gender-Mainstreaming, Feminismus und die »Homosexuellenlobby«. Homosexualität begreift sie als Resultat frühkindlicher Traumata, missglückter Bindungen zwischen Eltern und Kindern oder sexuellen Missbrauchs. Doch nach Vonholdts Ansicht gibt es Hoffnung für »Veränderungswillige«. Dank einer »Therapie« könnten die Homosexualität und mit ihr verwandte Laster wie Drogenmissbrauch, Transsexualität, Alkoholismus oder ­Pädophilie überwunden werden, schreibt sie in ihren Publikationen.
Markus Hoffmann gründete in den neunziger Jahren »Wüstenstrom e. V.«, eine evangelikale Organisation »für Menschen, die ihre Beziehungen, ihre Identität als Frau oder als Mann oder ihre Sexualität konflikthaft erleben«. Ein Blick in die Veröffentlichungen Hoffmanns macht deutlich, dass der Verein der Arbeit mit homosexuellen Männern und der Stärkung der heterosexu­ellen Ehe besonders große Bedeutung beimisst. Im Rahmen der Initiative »Kirche für morgen« formulierte Hoffmann 2011 einen Appell an die evangelische Landeskirche von Württemberg, Homosexualität nicht als Schöpfungsvariante anzuerkennen, da sie das Resultat von Selbsthass und Selbstwertkonflikten sei. Zudem pocht er auf das »Elternrecht«, homosexuelle Jugendliche in »Therapien« schicken zu dürfen. »Wüstenstrom« kümmere sich zudem mit speziellen Angeboten um solche Eltern in ihrer »belastenden Lebenssituation«, schreibt Hoffmann im Wüstenstrom-Rundbrief »Die Liebe wächst trotzdem«, der auf dem Kongress in Kassel auslag. Auf der Veranstaltung wurde die Expertise der beiden unter recht harmlosen Titeln präsentiert: Hoffmann referierte über die »Reise zum Mannsein« und »Sexuelle Identitätsstörungen in der Beratung«, Vonholdts Vortrag hieß »Als Menschenkinder in der Identität wachsen«.

Trauernicht und der Jugendreferent des Weißen Kreuzes, Nikolaus Franke, zeigen sich während der Veranstaltung von den heftigen Protesten gegen den Kongress überrascht. Ein großes Bündnis aus den bürgerlichen Parteien der Stadt – ausgenommen die CDU –, der Diakonie, dem DGB, der bürgerlichen Schwulenbewegung um den CSD Kassel, der Aids-Hilfe, Queernet Hessen, der Antifa, Queerkassel und weiteren Unterstützern hat zu einer Gegendemonstration in der Innenstadt aufgerufen. Während der Seminare von Hoffmann und Vonholdt findet eine Kundgebung vor dem Kongressgelände statt, das verschiedenen evangelikalen Gruppen gehört. Franke ist zuvor unangekündigt auf einem Bündnistreffen der Kongressgegner erschienen und des Raumes verwiesen worden. So viel Intoleranz stimme ihn betrübt, klagt er auf der Pressekonferenz. Auch die kritische Stellungnahme der Diakonie zum Kongress und zu den Referenten und eine Resolution der Kasseler Stadtverordnetenversammlung gegen Homophobie, der sich lediglich die CDU enthält, drücken die Stimmung der Veranstalter. Für Pressevertreter herrschen strenge Auflagen.
Im Seminar »Sexuelle Identitätsstörungen in der Beratung« herrscht jedoch gute Stimmung. Einige würden ihn schon persönlich kennen, andere bisher nur aus der Zeitung, witzelt Hoffmann zur Begrüßung. Etwa 40 Teilnehmer aus den Bereichen Psychotherapie, Seelsorge und Beratung interessieren sich für die Arbeit von »Wüstenstrom«. Hoffmanns Vortrag ist einer der bestbesuchten des Kongresses.
Hoffmann legt kurz seine Sicht der Entstehung sexueller Identität dar und stimmt der Queer Theory in der Ablehnung von Essentialismen zu. Das ist einleuchtend: Nur wenn Homosexualität nicht als essentiell begriffen wird, besteht die Möglichkeit zur Veränderung, zur »Therapie« – das sagt Hoffmann in Kassel jedoch nicht. Immer wieder betont er die wissenschaftliche Fundierung seiner Annahmen. Dann schildert er Fälle von Ratsuchenden. Es geht um Pornosucht, Sexismus und Misogynie, zerrüttete Ehen. Meistens hat die Mutter der Betroffenen, Hoffmann zufolge, irgendeinen Fehler in der Erziehung begangen, der sich später rächt. Zudem wird der Redner nicht müde, die Seriosität der »Begleitung« beziehungsweise »Therapie« anzumahnen – sonst stehe man irgendwann in der Presse. Es gelte, stets ergebnisoffen zu arbeiten und die eigenen ethischen Vorstellungen hintanzustellen. Nur in besonderen Fällen dürfe mit Ratsuchenden gemeinsam gebetet werden. Auch sollten zu Beginn der Beratung keinerlei Zusagen oder Versprechungen gemacht werden, die bei Ratsuchenden falsche Erwartungen wecken könnten. Denn mit der Auflösung psychischer Konflikte gehe nicht automatisch eine Auflösung ihrer Form des sexuellen Begehrens einher. Eine Teilnehmerin fragt nach. Prinzipiell sei eine Auflösung von Homosexualität durchaus möglich, antwortet Hoffmann.

Es folgen weitere Fragen zum Umgang mit »von Homosexualität Betroffenen«. Doch der Referent ist zurückhaltend. Eine Teilnehmerin, die sich die Entwicklung der sexuellen Identität von Kindern in LGBTQI-Beziehungen »konfliktvoll und schwierig« vorstellt, wird auf ein Gespräch nach dem Seminar vertröstet. Rolf Trauernicht beendet die Veranstaltung nach 90 Minuten und dankt Hoffmann dafür, dass er in die »Höhle des Löwen« gekommen sei. Zeitgleich lässt Franke sich für ein Video-Statement filmen, die Protestierenden im Rücken. Das Weiße Kreuz veröffentlichte die Aufnahme am 26. Mai auf Youtube, der Titel des Videos lautet: »Rolf Trauernicht liebt Homosexuelle.« »Weil er für die Menschen ist«, wie Franke im Video betont.