Angriff auf Mahnwache für drei entführte israelische Jugendliche in Hamburg

Attacke mit Attac

Eine Mahnwache für drei von der Hamas entführte israelische Jugendliche wurde in Hamburg angegriffen, ein alter Mann verletzt. Eine öffentliche Reaktion ist ausgeblieben.

»Bring back our boys« – unter diesem Motto hatten die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Hamburg und das »Netzwerk Hamburg für Israel« für den 20. Juni zu einer Mahnwache am belebten Jungfernstieg in der Innenstadt aufgerufen. Im Rahmen bundesweiter Solidaritätskundgebungen wollten die Organisationen auf die drei von der Hamas entführten Jugendlichen Eyal Yifrah, Gilad Schaer und Naftali Frankel aufmerksam machen, die Anfang der Woche nun ermordet aufgefunden wurden. Etwa 35 Teilnehmende hielten israelische Fahnen und Plakate mit dem Slogan »Bring back our boys« hoch.

Doch die AG Palästina von Attac Hamburg, die Regionalgruppe der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG) und andere, »darunter zwei israelische Juden«, wie Eva Lehmann von der DPG im Gespräch mit der Jungle World hervorhebt, veranstalteten eine Kundgebung am gleichen Ort, um »auf die palästinensischen jugendlichen Gefangenen in israelischer Administrativhaft und die Geiselnahme der palästinensischen Gesellschaft aufmerksam zu machen«. Etwa 15 Personen nahmen an dieser Kundgebung teil, Lehmann zufolge etwa zehn Meter entfernt von der Mahnwache für Yifrah, Schaer und Frankel. Es sei aber »kein Gegenprotest zur Mahnwache« gewesen.
Teilnehmende der Mahnwache für die drei israelischen Jugendlichen sehen das anders. »Kaum zehn Minuten nach dem Beginn der Mahnwache tauchte ein erster Gegendemonstrant auf«, sagt Alexei Pavlovic. »Er hatte eine anscheinend häufiger getragene und ausgeblichene Weste mit der Aufschrift ›Boycott Apartheid Israel‹ an, trug ein Pappschild mit der Botschaft ›Israel entführt Kinder täglich‹ und spazierte vor uns auf und ab.« Der forsche Gegendemonstrant sei häufig mit antiisraelischen Parolen in der Hamburger Innenstadt unterwegs und gehöre zur AG Palästina von Attac Hamburg, sagt Waldemar Pabst, der an der Mahnwache teilgenommen hat. Attac bestreitet dies.
Ein 86jähriger, der ebenfalls an der Mahnwache teilnahm, sprach den Träger der Weste auf die antiisraelischen Slogans an. »Der Angesprochene fing unvermittelt an, den Mann an den Kleidern zu zerren, schleuderte ihn auf den Boden, riss ihm die Brille vom Gesicht und ließ sie anschließend auf der Straße zerschellen«, schildert Pavlovic die Attacke. Der Angreifer habe auch nach der Tochter des alten Mannes getreten, die ihrem Vater hel­fen wollte. »Ich bin dem Verletzten, der nicht selbständig vom Boden aufstehen konnte, sofort zu Hilfe geeilt und habe, zusammen mit seiner Tochter und seiner Enkelin, erste Hilfe geleistet«, erzählt Pavlovic.

Die AG Palästina von Attac Hamburg gibt die Schuld an der Eskalation auf ihrer Website den Teilnehmern der Mahnwache: »Als wir zum Ort unserer Demonstration gingen, sind mehrere pro­israelische Demonstranten auf uns zugekommen, sie haben uns umkreist und uns als Antisemiten, Faschisten usw. beschimpft.« Die AG bedauere den Vorfall und wünsche dem alten Mann schnelle Besserung. »Die AG Palästina steht für eine gewaltfreie, offene Debatte über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Kritik an der Politik des Staates Israel ist kein Antisemitismus!«
Auch Eva Lehmann von der DPG sieht in den propalästinensischen Demonstranten die eigentlichen Opfer. »Wir alle wurden aufs Übelste beschimpft – Faschisten, Nazischweine, Antisemiten – und einem unserer Teilnehmer wurde ein Plakat vom Rücken gerissen und er wurde bedroht, einer Teilnehmerin wurde ein Pappschild ins Gesicht geschlagen«, so Lehmann.
Zum Angriff selbst sagt sie nichts. Pavlovics Schilderung ist dagegen sehr genau. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung sei eine »weitere Gegendemonstrantin zu uns gelaufen und hat die Tochter aggressiv beschimpft und körperlich bedrängt«. Der alte Mann habe sich »mehrere blutige Kratzer in der linken Gesichts- und Vorderkopfhälfte und starke Schmerzen in der linken Hüfte zugezogen, so dass er sein Bein nicht belasten konnte«. Deswegen sei ein Rettungswagen gerufen worden.
Obwohl ein jüdischer Teilnehmer einer Mahnwache krankenhausreif geschlagen worden war, sorgte dies nur für wenig Aufregung in der Stadt. Auch überregional gab es keine öffentliche Resonanz, obwohl Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, den Angriff als »äußerst besorgniserregend« verurteilte – nur in der Jüdischen Allgemeinen war dies zu lesen. Unbeachtet blieb auch eine Erklärung der israelischen Botschaft: »Im Namen der Kritik und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit meinen einige Radikale, aggressiv gegen jeden auftreten zu dürfen, der auf Seiten des Staates Israel steht.« Die Botschaft forderte deshalb vom deutschen Staat den Schutz von Solidaritätsveranstaltungen.

Dabei sind die Hamburger Gegendemonstranten für deutsche Verhältnisse weder besonders radikal noch isoliert. »Die Passanten waren interessiert, unsere Meinung zu hören, und positiv uns gegenüber eingestellt. Mehrere haben sich uns angeschlossen«, sagt Eva Lehmann von der DPG. Sie kündigt ein neues Vorhaben an: »Wir werden zu einer Mahnwache für die palästinensischen Gefangenen aufrufen.«