Wie sich Manuela Schwesig »Deradikalisierung« vorstellt

Die Demokratie lebt ab sofort

Den von der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder ausgerufenen Kampf gegen den Linksextremismus hat ihre Nachfolgerin Manuela Schwesig offiziell aufgegeben. Doch auch die neuen Pläne sorgen bei Initiativen gegen Nazis nicht für Begeisterung.

Methodisch schwach. Zu einseitig. Zu teuer. Zu wenig Bedarf. So lautete bereits im Jahr 2012 die Einschätzung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zum Präventionsprogramm der damaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) gegen den Links­ex­tremismus. Manuela Schwesig (SPD), Schröders Nachfolgerin als Bundesfamilienministerin, hat nun angekündigt, das Programm einzustellen. Zu verheerend waren die Beurteilungen.
In dem Zwischenbericht des DJI, der trotz der Bemühungen des Ministeriums, ihn unter Verschluss zu halten, an die Öffentlichkeit gekommen war, wurde der 2010 von der Ministerin lancierten »Initiative Demokratie stärken« zur Bekämpfung von Linksextremismus und Islamismus ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Neben der Einführung der sogenannten Extremismusklausel, mit der vom Bund geförderte Organisationen gegen Rechtsextremismus und ihre Kooperationspartner dazu verpflichtet wurden, sich per Unterschrift zum Grundgesetz zu bekennen, galt die »Initiative Demokratie stärken« als zentrales Element der von Schröder betriebenen Politik einer Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus.

Manuela Schwesig schaffte bereits im Februar die Extremismusklausel in ihrer bisherigen Form ab. Das soll nun auch mit wesentlichen Elementen des Programms zur Bekämpfung des Linksextremismus geschehen. Dies sagte die Ministerin am 1. Juli auf einer Fachtagung anlässlich der Vorstellung des Nachfolgeprogramms »Demokratie leben«. Der neue Schwerpunkt soll auf einer »Deradikalisierung« liegen, die Bekämpfung des Linksextremismus stark verringert werden und die freiwerdenden Gelder sollen in Projekte gegen rechten und islamischen Extremismus fließen.
Das Programm gegen den Linksextremismus wird als ein weiteres Beispiel für die Überforderung der Ministerin Schröder in Erinnerung bleiben. Bereits im September 2011 fiel die »Initia­tive Demokratie stärken« mit der aus Geldern des Programms finanzierten Informationsbroschüre »Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern« negativ auf, mit der man dem Vorwort von Schröder zufolge »Schülerinnen und Schüler für das Thema Linksextremismus sensibilisieren« wollte. Sowohl die Wissenschaftler des DJI als auch Vertreter der Opposition kritisierten, dass dort ganz unterschiedliche linke Bewegungen und Ideologien unter dem undefinierten Begriff des »Linksextremismus« subsumiert worden seien. So wurde bereits die Bejahung der Aussage »Durch radikale Umverteilung müssen soziale Unterschiede beseitigt werden« als Indikator für linksextremistisches Gedankengut gewertet. Als Fehlschlag entpuppte sich auch das im Rahmen der Anstrengungen Schröders geförderte Aussteigerprogramm für Linksextremisten des Verfassungsschutzes. Wie eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der »Linken« vom November 2012 ergab, hatten sich im Jahr nach der Freischaltung des »Kontakttelefons« genau 33 Personen gemeldet, wobei »in drei Fällen der Ausstiegswille so nachhaltig war, dass persönliche Gespräche geführt wurden«.
Ebenfalls 2012 wurde bekannt, dass sich mehrere Länderdelegationen der Jungen Union mit Fördermitteln des Programms »Bildungsreisen« nach Berlin finanziert hatten. Unter dem Motto »Wir fahren nach Berlin – gegen Linksextremismus« standen dann die Besichtigung von Checkpoint Charlie, Stasi-Museum, Gedenkstätte Berliner Mauer und ein »gemeinsamer Ausflug in das Berliner Nachtleben« auf dem Programm. Offenbar mussten Kosten produziert werden. Es fanden sich schlicht zu wenige Interessenten für eine Förderung aus dem seit 2011 jährlich mit 5 Millionen Euro ausgestatteten Budget, weshalb das DJI feststellte, dass es keinen »Bedarf für ­einen das gesamte Bundesgebiet abdeckenden Programmbereich zum Thema pädagogische Prävention von Linksextremismus« gebe.

Ideologische Grundlage der Obsession Schröders war die Extremismustheorie, nach der die freiheitlich-demokratische Grundordnung von Links- wie Rechtsextremisten gleichermaßen bedroht scheint. Dies bestätigt rückblickend Bianca Klose, die Leiterin der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR), im Gespräch mit der Jungle World: »Es wurden hier offensichtlich aus ideologisch motivierten Gründen zwei völlig verschiedene Phänomene wie Rechtsextremismus und ein nicht näher definierter Linksextremismus miteinander gleichgesetzt.« Diese Meinung teilen auch Vertreter anderer Organisationen, die sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Demokratieentwicklung sowohl gegen die Extremismusklausel als auch gegen Schröders Programm engagiert haben.
Zu diesem Bündnis gehört auch das Kulturbüro Sachsen, dessen Fachreferent Michael Nattke im Gespräch mit der Jungle World nochmals auf die Gefahr einer »Bagatellisierung der Naziideologie und rechtsextremer Gewalttaten« durch den extremismustheoretischen Ansatz Schröders hinweist. Gerade in Sachsen, wo immer noch einige Verfahren nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs wegen des Widerstands gegen den Dresdner Naziaufmarsch laufen, seien auch die praktischen Auswirkungen einer verstärkten Kriminalisierung linker Betätigung stärker spürbar geworden als anderswo.
In Berlin habe das Programm der Bundesregierung gegen Linksextremismus hingegen vorwiegend Geld in die Kassen antikommunistisch und extremismustheoretisch ausgerichteter Projekte wie die von Hubertus Knabe geleitete Hohenschönhausener Stasi-Gedenkstätte gespült, sagt Nico Roth von der Antifa Hohenschönhausen der Jungle World: »Für die antifaschistische Organisierung hatte das Programm im Gegensatz zur Ex­tremismusklausel keine weitreichenden Konsequenzen.«
Obwohl die sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Susanne Rüthrich der Jungle World bestätigt, dass ihre Partei eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus ablehne und das Hauptpro­blem in der Bedrohung durch Rechtsextremisten sehe, beurteilen viele Initiativen die angekündigte Veränderung skeptisch. So hält Bianca Klose den von Ministerin Schwesig ausgegebenen Begriff der »Deradikalisierung« für fragwürdig, da er ebenfalls ideologisch instrumentalisiert werden könne. »Ich hoffe sehr, dass es sich nicht um alten Wein in neuen Schläuchen handelt«, sagt sie. Gerade die vermeintliche Abschaffung der Extremismusklausel – in einem sogenannten Begleitschreiben werden geförderte Projekte weiterhin darüber belehrt, dass die Fördergelder nicht an extremistische Organisationen und Projektpartner fließen dürfen – hat die Initiativen misstrauisch gemacht.

Was das Ziel der »Deradikalisierung« angeht, sagt Michael Nattke: »Das Kulturbüro will nicht dera­dikalisierend wirken. Wir sind radikal menschenrechtsorientiert. Wenn sich jemand im Prozess der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt und Menschenrechtsverletzungen radikalisiert, ist das nicht negativ zu bewerten.« Auch er sieht die Entwicklung kritisch: »Nachdem sich die erste Aufregung nach dem NSU-Skandal gelegt hat, bei dem alle Welt gesehen hat, wie deplatziert eine Fokussierung auf Linksextremismus angesichts der realen Bedrohungslage ist, habe ich den Eindruck, dass insbesondere die Union auf eine Wiederaufnahme der vor Bekanntwerden der Mordserie gelegten Fäden drängt.«