Der Hass auf Fußballkommentatoren

Aus! Aus! Aus!

Der Hass auf Fußballkommentatoren rührt auch daher, dass das Publikum in ihnen sich selbst erblickt.

Bei Fußballkommentatoren werde ich immer traurig. Es gibt wohl keinen Berufsstand, dessen Vertreter so durchgehend Ablehnung erfahren. Sogar Investmentbankern, sogar Anwälten, sogar den jeweiligen Vorsitzenden der Grünen wird wenig­stens punktuell etwas Unterstützung zuteil.
Natürlich sind sie alle Schmocks. Und natürlich wird man sich darauf einigen können, dass es auch in diesem Berufsstand Bessere und Schlechtere gibt. Dass Béla Réthy vielleicht doch erträglicher ist als der parteiliche Tom Bartels. Oder dass die Inkompetenz eines Thomas Herrmann unerreicht ist, weshalb dieser Berufshysteriker völlig zu Recht beim Spartensender Sport 1 sein Dasein fristet. Oder dass man, vor die Wahl zwischen Waldi Hartmann und Manni Breuckmann gestellt, stets Tor 3 nehmen sollte. Vielleicht wird man es auch traurig finden, dass es kaum Frauen in diesem Beruf gibt.
Der Hass auf die Fußballkommentatoren liegt kaum im Verhalten oder Können der Kommentatoren selbst begründet – alle Berufe werden ja mehrheitlich von Nichtkönnern ausgeübt –, sondern hat seinen Ursprung hauptsächlich auf der Seite des Publikums. Fußball ist, auf die Masse gerechnet, eine Sportart, die überdurchschnittlich viele Emotionen hervorruft. Fans reden darüber selten anders als erregt, und worüber sie am liebsten reden, ist nichts anderes als das, worüber auch Fußballkommentatoren am liebsten reden. Da geht es kaum je um Taktik, Ballführung oder Methoden des Trainings, sondern zunächst einmal um Schiedsrichterentscheidungen, außerdem um Mentalität und Leidenschaft der geliebten Mannschaft, den Charakter der einzelnen Spieler, die Beziehungen der Spieler zueinander und, je nach sozialem Ort, noch um die Skandale der Fifa oder um den ethnischen Charakter der gegnerischen Spieler (der Afrikaner neigt zum Hampeln, der Italiener zum Fallen, der Spanier zur gepflegten Langeweile, der Uru zum Treten, der Holländer zum Hass auf die Deutschen).
Der Tod eines jeden Gesprächs über Fußball ist die Diskussion über den Schiedsrichter. In der Erörterung der Frage, ob dies ein Foul oder jenes ein Abseits war, ob der da Rot oder sein Gegenüber drei Spiele Sperre verdient habe, liegt nicht der geringste Erkenntniswert. Es ist das blanke Historische, was dort verhandelt wird, ohne jeden philosophischen Zusatz. Es geht um Rechthaberei und nicht darum, einer Sache auf den Grund zu gehen. Das nämlich ist, was die volkstümliche Seele bewegt. Erst wenn der Ball ruht, regt sie sich wirklich. Das Zusammentreffen von Scheu vor der Substanz des Spiels und Lust am Rechthaben über das ­Vorgefallene macht die Haltung der Mehrheit des Publikums aus. Obgleich die Schiedsrichterentscheidung der ideale Gegenstand dieser Haltung ist, das, woran sie sich am besten entzünden kann, äußert sich die Rechthabrei auch am Spiel selbst. Man kann ja schlecht 90 Minuten Fußball gucken, ohne nicht doch ein wenig über Fußball zu reden. Folglich werden alle Vorgänge aus der Perspektive der eigenen Mannschaft betrachtet. Fällt ein Tor für den Gegner, interessiert nie dessen Leistung, sondern nur der Fehler der eigenen Abwehr (oder, sofern irgend möglich, eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters). Fällt ein Tor der eigenen Mannschaft, ist es umgekehrt stets die eigene Leistung und nie der Fehler in der gegnerischen Abwehr.
Und was schon vom Fußball überhaupt gilt, scheint noch mehr von der WM zu gelten, anlässlich derer unfassbare Mengen an Leuten, die sich außerhalb des Sommers gerader Jahre nie ein Fußballspiel ansähen, zum Public Viewing strömen und dafür keinen anderen Grund anzugeben wissen, als dass wir heute spielen und überhaupt mal wieder den Titel verdient haben. Die Substanzlosigkeit und die Rechthaberei werden durch das Erlebnis des Public Viewing noch einmal gesteigert. Des Fußballkommentatorens Leid besteht nun darin, dass er zum einen all diese Affekte teilt, also selbst Fan und Laie ist, beziehungsweise dort, wo er fachlich etwas versteht, das Laienbedürfnis befriedigen muss; also nicht zu viel Technisches oder Taktisches im Kommentar unterbringen, nicht zu intellektuell sein darf, eine gewisse Parteilichkeit an den Tag legen und natürlich vor allem ununterbrochen das Geschehen auf dem Platz, das Spiel der eigenen Mannschaft und die Entscheidungen des Schiedsrichters beurteilen muss. Zum anderen aber ist er, selbst nicht mehr als ein Fan, aus der Menge der Fans abgeordnet, regelrecht ausgestoßen; er sieht und kommentiert nicht mit ihnen das Spiel, sondern wird als Teil des Geschehens wahrgenommen.
Das ist zu viel Ehre und zu viel Strafe zugleich. Das Volk erblickt in ihm sich selbst, und natürlich gefällt ihm nicht, was es sieht. Der Kommentator aber erscheint als Teil des Geschehens, der das reine Geschehen (das Spiel auf dem Platz) dennoch stört, den man aber nicht abstellen kann, den man sogar – was den Ärger erst vollendet – braucht, weil er hin und wieder wichtige Informationen liefert, die es erleichtern, das Geschehen zu verfolgen. Und zum Überfluss spürt der Zuschauer seine eigene Machtlosigkeit, indem er die Macht des Kommentators erlebt. Da ist eine Stimme, die Einfluss hat, die Millionen Menschen eine Deutung des Geschehens vorgibt, und der Zuschauer, der diesen Umstand gewöhnlich ausblendet, wird immer dann, wenn diese Stimme das Gegenteil dessen mitteilt, was sie mitteilen soll, auf schmerzliche Weise daran erinnert, dass diese Stimme nicht die eigene ist. Der Hass auf den Kommentator staut sich unvermeidlich an. Im Laufe eines Spiels wird er jedem Zuschauer mehrfach in signifikanten Momenten durch ein abweichendes Urteil Ärger bereiten, und da es um nichts anderes als ums Rechthaben geht, ist jeder abweichende Gedanke stets ein feindlicher.
In einer substantiellen Diskussion könnte eine Abweichung einfach durch verschiedene Zugriffe auf das Thema bedingt sein, könnten alternative Deutungen koexistieren oder sogar vermittelt werden. In der bloß historischen Perspektive gibt es nichts als Ja, Nein und Weißnicht. Entweder war es ein Foul oder keines, oder man war gerade Kippen holen. Der Kommentator holt keine Kippen, also macht er sich Feinde. Mit jedem Satz, den er äußert. Zwar erzeugt er mit jedem Satz beim je anderen Teil des Publikums auch Zustimmung, aber an 20 richtige Urteile erinnert sich kein Mensch, wenn ihm das 21. nicht passt. Der Rechthaber will ja gar nicht, dass ihm jemand recht gibt; er will, daß ihm keiner widerspricht.