Karstadt ist pleite. Aber werden Kaufhäuser überhaupt gebraucht? Eine Hymne auf das Kaufhaus

Schwelgen im Überfluss

Kaufhäuser sind ein Museum der Bedürfnisse, dessen, was es zu gewinnen gäbe. Eine Hymne auf Karstadt und Co.

Ja, wir sind alle schon rechte Nacktmulle vor dem Herrn. Hocken in unseren verlausten Wohnungen, pflegen unsere Neurosen, lassen uns die Bringdienstpizza durch den Briefkastenschlitz schieben. Das Geld wird am Computer verdient: sei es mit Bloggewimmer, mit erspieltem Warcraftgold oder indem man den PC Bitcoin um Bitcoin zusammenlöten lässt. Dank Netzhexerei und einer völlig entfesselten Logistikbranche braucht wahrhaftig niemand mehr vor die Tür zu treten, es sei denn, man hat das Pech, Zwangsarbeiter in besagter Logistikhölle zu sein. Und scheinbar gibt es ja auch wenig Anlass, nach draußen zu gehen, wartet da doch nur ein zerstörter Planet, der von verstrahlten Joggern und ihrer mutierten ADHS-Brut bevölkert wird. Oder ist da eventuell doch mehr?
Doch, da ist mehr. Mitten in der Wüste des Realen finden sich Orte, die einen Vorschein geben von der Welt, wie sie sein sollte, die Welt, wie sie wäre, wäre sie von Menschen für Menschen ­gemacht: Paradies auf Erden, unerschöpflicher Strom von Waren und Dienstleistungen, verschwenderische Fülle. Die Geschichten vom Schlaraffenland erscheinen nur denen kindisch, die sich schon eingerichtet haben in Plackerei und Entfremdung: Landschaften aus Obst und Kuchen, also die Natur noch einmal, aber nicht als Anlass von Qual und Arbeit, sondern Quelle von unmittelbarem Genuss; und die Menschen, die in ihr leben, nicht als unversöhnliche Konkurrenten, sondern als Vorbilder und Instrukteure des Vergnügens der anderen. Natürlich, die wenigsten Kaufhäuser werden so geführt, und natürlich, umsonst und ohne Schuften gibt’s in ihnen nicht einmal die Einkaufstüten. Aber schon jetzt sind sie ein Museum der Bedürfnisse, dessen, was es zu gewinnen gäbe. Nur hier, nicht auf tristen Amazon-Indexseiten, ist der ungeheure Wohlstand dieser Gesellschaft im Wortsinne begreifbar. Hier werden Regale voll verderblicher Lebensmittel nur um des optischen Effekts willen aufgefüllt, hier stehen Leute herum, deren einzige Aufgabe es ist, einem zu sagen, dass man in der Hose nicht dick aussieht und Pfannen am besten aus Kupfer sind.

Wie herrlich überflüssig das alles ist! Und wie viel da verloren ginge, herrschte in diesem Märchenreich die schwarze Königin Rationalität. Die Menschheit wüsste gar nicht mehr, wie reich sie ist, der gesamte Wohlstand würde unsichtbar, verschwände hinter leerdesignten Websites und Effizienzkalkülen. Es gäbe gar keine Vorstellung eines Besseren mehr, sondern nur das Rattern der Gepäcklaufbänder – und das unerträglich bescheidwisserische Geschnatter in den inhabergeführten Fachgeschäften und zau-ber-haften kleinen Boutiquen, in denen sich die Fülle eben nicht zeigt, sondern der Mangel nur aufgeladen wird mit Ideologie: Jedes blöde Geschirrtuch, jede Flasche ordinären Olivenöls muss etwas ganz Besonderes es sein, von einem kleinen Gehöft in der Steiermark, wo ein altes Ehepaar seit 40 Jahren Geschirrtücher strickt, nach alter Spüler Sitte. Alles ist ein Unikat, einmalig, unwiederbringlich: Der Mangel wird absolut, und der Genuss ist eben nicht selbstverständlich, sondern in endlosen Beratungsgesprächen peinlich erschlichen.
Und dann ist da Karstadt. Seit ich eigenes Geld verdiene, habe ich praktisch alles, was ich besitze, im Karstadt erworben: Möbel, Elektrogeräte, Pizza, Haarschnitte. Deswegen entfuhr mir auch bitteres Gelächter, als ich im Radio eine Arbeitnehmervetreterin schlaue Vorschläge der Art machen hörte, »Filialverkauf und Onlinegeschäft« sollten stärker Hand in Hand gehen, einzelne Filialen müssten die Möglichkeit haben, ihr Sortiment lokalen Gegebenheiten anzupassen – wenn es nebenan einen Elektrofachmarkt gebe, brauche es eben nicht noch eine Elektroabteilung im Karstadt. Kokolores! Das Versprechen von Karstadt ist doch gerade, dass es dort alles gibt. Nicht so wie diese modernen, Malls genannten Konsumkliniken, in denen es de facto nichts gibt, nämlich bloß Pimkie, Douglas und Nordsee. Schnickschnack, korrupter Quatsch, den keiner braucht. Ein aufs lokal Nötige beschränkter Gemischtwarenladen, in dem mir schlechtgelaunte Weichbirnen erklären, dass ich wohl besser im Internet nachschauen sollte, ist das Ende jedes Shoppingvergnügens.

Es geht abwärts mit Karstadt, ich merke es mit jedem Besuch. Da drüben bleibt ein Wühltisch leer, hier vorne fällt heruntergesetzter Vorhangstoff vom vergangenen Jahr von der Stange, wie welkes Laub im Herbst. Aus dem Heimwerkerabteil wurde ein Heimwerkerregal; in dem Fach, aus dem früher 16 Varianten Feigensenf grüßten, starren jetzt 16 einheitliche Nutellagläser wie dicke Soldaten. Doch ich reise nicht ab. Schreiend sollen sie mich aus der Bäderwelt zerren, drei Hushpuppy-Pantoffeln an jedem Fuß, den Mund voller Chorizo. Ich will zusammen mit Eden untergehen.