Ein Platz in Frankfurt wird nach einem Verfolgten des NS-Regimes benannt

Zehn Jahre zu spät

Mit der Umbenennung des Grüneburgplatzes in Norbert-Wollheim-Platz erfährt ein Verfolgter des NS-Regimes an der Goethe-Universität in Frankfurt eine späte Würdigung.

Die Schwarzweißfotografie zeigt einen Mann im Sonntagsanzug, auf der Takelage eines Schiffes sitzend. Die Arme vor der Brust verschränkt, blickt er entschlossen in die Ferne. Im Vordergrund des Bildes prangt eine sechsstellige rote Zahl. Abgebildet ist der jüdische Jurist Norbert Wollheim – mit seiner KZ-Häftlingsnummer. Die Fotografie, die im Park um das Hauptgebäude der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ausgestellt ist, wirkt verloren. Sie ist von 400 bunten Goethe-Gartenzwergen umzingelt, die anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Universität aufgestellt wurden. Wollheims Name dürfte künftig präsenter sein: Der Grüneburgplatz am Eingang des neuen Campus wird nach ihm benannt, wie der Senat in der vorigen Woche entschieden hat. Damit ändert sich womöglich auch die Postanschrift der Goethe-Universität. Die Umbenennung war jahrelang erbittert umkämpft. Der Streit ist Teil der Auseinandersetzung der Universität mit ihrem neuen Standort im Frankfurter Westend.
Von 1931 bis 1945 gehörte das Gelände der I. G. Farben AG, einem Zusammenschluss der größten deutschen Chemieunternehmen. Die I. G. Farben profitierte von Anfang an vom nationalsozialistischen Regime und unterstützte es. Eine Tochtergesellschaft des Unternehmens produzierte das in den Konzentrationslagern eingesetzte Vernichtungsmittel Zyklon B. Zudem betrieb die I. G. Farben das Lager Buna-Monowitz, das seine Zwangsarbeiter direkt aus dem nahe gelegenen KZ Auschwitz von der SS zugewiesen bekam. Auch Norbert Wollheim war in Buna-Monowitz inhaftiert. Als Einziger seiner Familie überlebte er. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhob er gegen die I. G. Farben AG Klage vor dem Landgericht Frankfurt am Main auf Schadenersatz und nicht gezahlten Arbeitslohn. Mit seinem Prozess erreichte er zweierlei: Zum einen konnte 1958 ein Globalvergleich in Höhe von 30 Millionen D-Mark zwischen der I. G. Farben und Tausenden Zwangsarbeitern erzielt werden. Überdies machte Wollheim mit seiner Klage deutlich, dass private Unternehmen nicht nur in die Verfolgung und Ermordung im NS-Regime verstrickt, sondern entscheidend daran beteiligt waren.

Die Ermordung von Zwangsarbeitern, die in den Gebäuden des I. G.-Farben-Konzerns geplant wurde, passt nicht zum Bild vom »schönsten Campus Europas«, wie ihn Universitätspräsident Werner Müller-Esterl nennt. KZ-Überlebende forderten bereits 2004 eine Umbenennung des Grüneburgplatzes nach Wollheim. Die Universität sperrte sich gegen diesen Vorschlag. Es wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der die Einrichtung einer Gedenkstätte für Wollheim vorsah. Universitätssprecher Olaf Kaltenborn zufolge »bestand zunächst keine Veranlassung mehr, den Platz umzubenennen, die Forderung wurde erst 2014 wieder erhoben«. Dem widersprechen Arwin Naraghi und Nikolas Lelle, Mitorganisatoren einer Petition von Studenten für die Umbenennung: »Die Forderung wurde seit 2004 nie zurückgenommen. Die Gedenkstätte war ein Zeichen dafür, dass die Forderung bestehen bleibt.«
Im März 2014 griff der Ortsbeirat die Idee der Umbenennung auf, die Jewish Claims Conference, Überlebendengruppen und das Fritz-Bauer-Institut appellierten an die Universitätsleitung. Doch diese weigerte sich zunächst beharrlich. Erst als der Druck in der Öffentlichkeit zu groß wurde, entschloss man sich zu handeln. Die Universitätsleitung schlug ein Gesamtkonzept von Benennungen im Jubiläumsjahr vor. Neben dem Norbert-Wollheim-Platz soll es auch einen Theodor-W.-Adorno-Platz und eine Max-Horkheimer-Straße geben. Ein gelungener Schachzug in Zeiten, in denen Seminare zur Kritischen Theorie an der Goethe-Universität schrittweise abgeschafft werden und zugleich die »Frankfurter Schule« als Marke zur Einwerbung von Geldern benutzt wird.

Naraghi und Lelle begrüßten die Entscheidung des Senats, warnten aber zugleich das Univer­sitätspräsidium davor, die Umbenennung für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Benjamin Ortmeyer, Leiter der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität, sieht die Umbenennung als »Erfolg der Studierenden, die mit Kontinuität und Druck der Argumente in der Öffentlichkeit die Universität zum Einlenken gebracht haben«. Die studentischen Initiativen erachteten die Aufarbeitung der Vergangenheit an der Goethe-Universität mit der Umbenennung nicht für beendet, sie sei »keine Suche nach Ergebnissen, sondern ein immerwährender Prozess«. Es besteht dennoch die Gefahr einer reinen Symbolpolitik. Die Umbenennung könnte dazu beitragen, dass die Universitätsleitung einen Schlussstrich unter die Debatte über die Vergangenheit zieht. Für viele Überlebende kommt die Umbenennung des Platzes zehn Jahre zu spät. Die deutsche Bürokratie, die auch vor den Universitäten nicht Halt macht, ermöglichte es ihnen nicht, diese Würdigung Norbert Wollheims zu erleben.