Liebes Amazon

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Du hast es nicht leicht, gell? Kleine Buchhändlerinnen verfluchen dich im Rotweinrausch, mächtige Verleger zerreißen vor Wut über dich ganze Manuskriptstapel und die Fernsehdetektive, »unerträglichen Zuständen« auf der Spur, geben sich bei dir die Klinke in die Hand, um Pixelgesichter zu interviewen. Das Publikum, das sich sonst weder für Verlage noch Arbeitskampf interessiert, nimmt’s dankbar an – immerhin kommst du aus Amerika, und Amerika, das wissen wir seit 1945, hat kein anderes Ziel, als unsere gewachsene, indigene Maorikultur zu zersetzen, uns auszuforschen und uns per NSA beim Masturbieren zu filmen. Jetzt haben dir 900 Autoren, darunter auch der große Stephen King, einen offenen Brief geschrieben. Zwar geht’s da nur um langweiliges Zeug wie Preisspannen et cetera, aber in Deutschland wird’s wieder genau so ankommen: kleine Buchläden kaputt, gewachsene Kultur auch kaputt. Und ja, wenn irgendwas erhalten bleiben muss, dann der kleine Buchladen an der Ecke, mit seinem Pixi-Männchen und den Wühltischen vor der Tür, dem Esoterikregal hinten und dem Sarrazin vorn im Schaufenster. Und die gewachsene deutsche Verlagskultur, die muss erst recht gerettet werden! Beschützt seien ihre mikroskopischen Honorare, ihre Druckereien in Rumänien, ihre scheußlichen Taschenbücher, die schon nach einmaligem Lesen aussehen wie jahrelang auf dem Spülkasten gelegen. Zwar schließt dich, Amazon, mancher Lektor heimlich in sein Nachtgebet ein – denn seit die ganzen Schrottautoren ihre Werke unfiltriert bei dir veröffentlichen, müssen sie viel weniger ambitiösen Mist lesen. Doch in Wahrheit, Amazon, hast du nur einen Freund: mich. Ich find’ dich gut.
PS: Könntest du mich demnächst ein bissi höher ranken? So auf Stephen-King-Niveau? Es wäre dir ewig verbunden: Dein Leo