Neurechte Weisheiten im Roman »Hirnhunde«

»Vergiss den dialektischen Krempel«

Raoul Thalheims Roman »Hirnhunde« feiert den Triumph des gesunden Menschenverstands über die Kritische Theorie.

Wenn es eine Formel gibt, auf die sich die Neue Rechte verständigen kann, so lautet sie: »Die Wirklichkeit steht immer rechts.« Der Rechte hält sich nur an das, »was der Fall ist«. Folgerichtig weiß das einschlägige Milieu mit Literatur nichts anzufangen. Die Versuche, aus Realitätstüchtigkeit ästhetische Funken zu schlagen, scheitern so zuverlässig wie kläglich. Nun aber will der Hausverlag der Neuen Rechten, Edition Antaios, mit dem Szeneroman »Hirnhunde« den Kordon aus Landserprosa und bierernster Eigentlichkeit durchbrochen haben.
Bereits vor der Veröffentlichung des Werks gab es Geraune. Der Autor mit dem Pseudonym »Raoul Thalheim« soll ein berühmter deutscher Schriftsteller sein. Dem Rezensenten gibt der Verleger vorsichtshalber die Marschroute für sein Interesse vor: »Nachfragen, wer Thalheim sei, führen zu nichts«. Es ist tatsächlich uninteressant. Natürlich wird reaktionäres und faschistisches Gedankengut auch unter Literaten, zumal deutschen, eine gewisse Rolle spielen. Den weit größeren Reiz des Pseudonyms bildet die Gelegenheit, eine Blindverkostung deutscher Gegenwartsliteratur vorzunehmen.
Die treibende, besser: getriebene Kraft des Romans ist Marcel Martin. Marcel ist Redakteur der rechtskonservativen Dresdner Wochenzeitung Freigeist, weniger aus Neigung, vielmehr, weil ihn der gelenkte Zufall an diese Stelle gesetzt hat. Er möchte ein redlicher Journalist sein, nimmt also nur das wahr, was seinem gegenwärtigen Auftrag entspricht. Mit den Frauen fremdelt der bis zur Angststörung feinfühlige Mittdreißiger, weil er seinen in der Abschleppkunst geschulten Kollegen Benjamin zum Maßstab nimmt. Überhaupt sind die Freigeist-Redakteure sehr gewöhnliche Zeitgenossen, die gerechterweise auch mal ein gutes Wort für Juden und Marokkaner einlegen möchten und deren Schrullen ihren ordinären Individualismus bezeugen sollen. Marcel und Kollegen hadern mit ihrer Ächtung durch den Mainstream. Denn der Freigeist schreibt doch nur so, wie es auch in der Mitte der Gesellschaft und den arrivierten Redaktionsstuben denkt und fühlt.
Der Roman ist kein Schlüsselroman, stattdessen eine Summe der neurechten Weisheit, dass die Welt »ungeordnetes Chaos« sei, »dem bestenfalls geordnete Provinzen abzutrotzen sind«. So gesehen ist das antimetropolitane Dresden der ideale Schauplatz des Romans. Das Chaos nimmt Fahrt auf, als sich im Laufe der Handlung auch einige »Zigeuner« ins Bild drängen. Deren Auftauchen in Dresden ist ein schönes Exerzitium für den investigativen Journalismus von Marcel, welcher sich bei der Schilderung seines Besuchs bei den Roma im Horten von subjektiven Eindrücken und Meinungen erschöpft. Da kommt einiges zusammen: die gut gemeinte Romantisierung der »Zigeuner«, ein neutralistischer Blick auf die Verwahrlosung des lebendigen und unbelebten Inventars eines Roma-Hauses, das Mitleid mit den in jeder Hinsicht zügellos daherkommenden Roma beiderlei Geschlechts – und nicht zuletzt die gemischten Gefühle der Anwohner. Der Autor lässt Marcel diesen unverdauten Erlebnisbrei rühren und von jeder Seite objektiv beschauen. Heraus kommt die schnöde Alltagsreligion des gesunden Menschenverstandes. Die hängt an der Oberfläche des fremden und eigenen Elends, ohne dessen gesellschaftliche und historische Grundierung zu begreifen.
Der sensible Marcel grübelt ständig über die Grenzen seiner »Objektivität«. Er sieht seine Arbeit als rechtes Gegengewicht zu einem Mainstream mit linker Tendenz. Überdies schreibt er doch nur das, was er sieht – und wird dafür verfemt. Sein Kollege Backkohl, den Marcel für seine Eloquenz bewundert, weiß Rat: »Vergiss doch den dialektischen Krempel. Vergiss die Distanz. Vergiss die Objektivität, ha! Was für ein Irrglaube!« Doch wie soll der »Hirnhund« dann allen beweisen, was ein Irrglaube und was wahr ist?
Die buntscheckig gezeichneten »Hirnhunde« können sich nicht helfen und irren umher als ein Knäuel subjektiver, ziemlich unverträglicher Befindlichkeiten. Es ist die keineswegs originelle Leistung des Romans, das Formlose des rechten Gedankenguts in seiner Bandbreite darzustellen. Allerdings erweist der Roman der Selbstdarstellung einer wahlweise manieriert konservativ schneidig faschistoid auftretenden Szene einen »Bärendienst«, wie der Autor in einer Szenepublikation verrät. Die vorsätzliche Halbbildung und unfreiwillige Komik der Neuen Rechten verbürgt leider nicht die Harmlosigkeit ihrer Gesinnung. Deren populärer Kern bleibt die gesetzlose Willkür der Wutbürger, die stets zu einer feindseligen Massenbewegung drängt.
Zu einer Bewegung kommt es auch im Dresden der »Hirnhunde«, jedoch unter gegenteiligen Vorzeichen. Ein antirassistisches Bündnis stemmt sich in einer Kundgebung gegen die Abschiebung dreier Roma. Marcel beobachtet den zusehends rotierenden Antifaschismus mit einiger Distanz und kann so scheinbar vereiteln, dass das Baby eines Linken von einer schlecht befestigten Romafahne erschlagen wird. Doch auch sein Schlüsselbeinbruch im Dienst der Menschlichkeit beeindruckt den antifaschistischen Mainstream nicht. Nur die linke Radio-Journalistin Agnes wagt es, den Freigeist-Kollegen öffentlich als Helden zu würdigen, und verliert prompt ihre Stelle. Agnes macht ihrem Namen alle Ehre. Sie erobert Marcels Herz durch ihre Heiligkeit und Reinheit. Das Werk bedient nicht nur hier ein Frauenbild, das zwischen Jungfrauen, Müttern und Huren nichts kennt. Ohnehin dient diese außergewöhnliche Liebe hauptsächlich als Anschauungsmaterial einer weltanschaulichen Pointe. Marcel und Agnes sollen die Schnittmengen von links und rechts verkörpern: »Zivilisationskritik, Kultur- und Konsumskepsis, Gegen-den-Strom-Schwimmen, das Nichteinverstandensein mit der gegenwärtigen Lage – was sollte da die überkommene Gesäßgeographie, dieses dumpfe Rechtslinks-Schisma? Im Grunde könnten sie sich einig sein! Eins sein!« Tatsächlich kommt auch Agnes mit den Windungen linker Theorie und politisch korrekter Sprachpolitik nicht zurecht. Beide treffen sich darin, nicht intellektuell zu sein und nur das wahrzunehmen, was ihre Sinne ihnen vorgeben. Um den Triumph des gesunden Menschenverstands über die Kritische Theorie zu beglaubigen, stirbt Marcel am Rande einer Antiabschiebungsdemo – durch die Hand eines blindwütigen Rom.
Es konnte nicht anders kommen. Der Roman versucht, die Märtyrer der Meinungsfreiheit mit Blick auf die politisch unkorrekte Realität zu rehabilitieren. »Hirnhunde« krankt daran, schale Agitprop mit schöner Literatur zu vermengen. Zugegeben, die stete Klage der Figuren, außerhalb einer bestens laufenden Wochenzeitung nichts mehr sagen und tun zu dürfen, ließe keine rechte Spannung aufkommen. Womöglich wollte hier einer durch das Schicksal eines Rechten etwas Allgemeineres ausdrücken. Zum ästhetischen Verhängnis des Buches verfällt »Hirnhunde« der seichten Literaturauffassung des Verlags Antaios, wonach Romane »der lebendige Teil des weltanschaulichen Fundaments« seien, also keine Kunst, sondern gebrauchsfertige Erbauung für die Neue Rechte.

Raoul Thalheim: Hirnhunde. Edition Antaios, Steigra 2014, 356 Seiten, 21 Euro