Das neue Album von The Bug

Extremist des Dub

Kevin Martin aka The Bug hüllt seine Wahlheimat Berlin mit dem neuen Album »Angels & Devils« in eine gigantische Klangwolke.

Konzerte von The Bug sind lebensverändernd. Ein Gewitter aus Noise, Beats und Subbässen, die den Körper durchdringen. Auch rund 25 Jahre nach dem Beginn seiner Musikerkarriere ist Kevin Martin alias The Bug von seiner Prämisse nicht abgewichen: dass Musik nicht nur ein Klang-, sondern vor allem ein Körpererlebnis sein muss. Während sich Martin live weiterhin dem Extremismus der akustischen Überwältigung verschreibt, klingt das neue Album »Angels & Devils« im Vergleich zu den Vorgängeralben fast schon zurückgelehnt bis entspannt. Vor allem die ersten sechs der zwölf Tracks haben viel Platz für traumwandlerische Melodien, verletzliche Gesanglinien und eine unter dichten Lärmwänden vergrabene Melancholie, die man bereits aus dem Nebenprojekt King Midas Sound kennt. Nie klang weißes Rauschen schöner als auf »Ascension«, selten klingt akustische Leere so voll wie in »Void«, auf dem sich die verhallte Stimme der Grouper-Sängerin Liz Harris wie Balsam um einen dub­steppigen Beat legt. Mit »Save Me« gelingt dem Briten außerdem eine von sämtlichen Ballast befreite Dub-Hymne, bei der überdimensionale Hallräume auf den psychedelischen Gesang des kalifornischen Exzentrikers Gonjasufi treffen – perfekt für enge U-Bahnen oder dichten Autoverkehr. Trotz der poppigen Anleihen sind die Tracks stets gebrochen vom bedrohlichen Grundrauschen, dem Markenzeichen von The Bug.
Soviel zum »Angels«-Part der neuen Platte. Mit Track 7 beginnt das zweite, das teuflische Kapitel, das dem musikalischen Actionpainting der früheren Alben wesentlich näher kommt. Etwa mit »The One«, einem zwischen Lärm und Breakbeat pendelnden Track, auf dem die MCs Killa P und Flowdan testosterongeschwängerte Wortsalven in die Luft schießen. Oder dem Track »Fuck You« mit der Sängerin Warrior Queen, die »fuck you« stets wie »phoak ju!« intoniert.
Martin liebte schon immer die Extreme, zog dem Angenehmen das Raue, dem geraden Weg das Labyrinth vor. Als er Anfang der achtziger Jahre in einer britischen Kleinstadt aufwächst, ist er zunächst vor allem von Post Punk, Noise und Industrial und von Bands wie Cabaret Voltaire und Crass fasziniert. Die Härte und Aggression dieser Musik spiegelt seine damalige Lebenssituation am besten wider. »Punk gefiel mir, weil ich in zerütteten Familienverhältnissen aufwuchs«, sagte er vor Jahren in einem Interview. Als sein Vater ihn im Alter von 16 rauswarf, war die Musik zunächst ein verlässlicher Rückzugsort, aber auch eine Möglichkeit, die »verkorkste Welt ein bisschen besser zu verstehen«.
Später begann er sich für Free Jazz und die jamaikanisch-britischen Dub-Soundsystems, von Jah Shaka bis Iration Steppas, zu interessieren. Dub, aber auch seine jüngeren Abkömmlinge wie Dancehall und Ragga beeinflussen seine Musik bis heute maßgeblich. Doch bevor Martin mit dem Soloprojekt The Bug die experimentellen Ränder von Dub ausdehnte, spielte er in anderen Bands und Kontexten. 1987 gründete er GOD, eine zeitweise zwölfköpfige Band, die so unterschiedliche Stile wie Grindcore, Free Jazz und Noise miteinander verband. Gleichzeitig blickte er immer öfter sehnsüchtig auf die Partykultur der Soundsystems. Besonders die Rezeption faszinierte ihn, die so ganz anders war als das, was er von seinen Bandprojekten kannte. »Keine Bühnenshows, keine Egos, aber dafür eine komplette Versenkung in Sound und Frequenzen«, erklärte Martin in einem Interview. Spätestens Mitte der neunziger Jahre hatte er dann die elitäre und latent sexistische Rockmusikkultur satt. Ein desas­tröses Konzert mit GOD motivierte ihn schließlich zum Ausstieg und brachte ihn endgültig zur elek­tronischen Musik, wie er im selben Interview erzählt: »Ich hatte den Produzenten Boymerang eingeladen, ein Jungleset zu spielen. Er wurde dann von GOD-Fans mit Flaschen beworfen. Bei unserem Gig ging dann ein Verstärker kaputt und einige Bandmitglieder hatten offensichtlich nicht geprobt. In der Nacht fand alles zusammen, was ich schon immer an Rockshows hasste.« Als Martin bei der Aftershowparty mit The Disciples zwischen den riesigen Boxentürmen stand, fasste er seinen Entschluss: »An diesen Abend hatten wir zwölf Leute auf der Bühne. Zwei E-Bässe, ein Kontrabass, zwei Drummer, eine Gruppe von afrikanischen Trommlern, eine elektronische Violine, zwei Saxophone und ich an den Effekten. Aber alles, was ich eigentlich machen wollte, also einen Groove mit extremen Sounds zu verbinden, wurde von diesem einen Typen an einem kleinen Mischpult erzeugt.«
Eine Erfahrung, die Martin bis heute prägt. 1997 erschien das Debütalbum »Tapping the Conversation«, das als alternativer Soundtrack zu Francis Ford Coppolas Thriller »The Conversation« angelegt war – und mit seinem düsteren Sound zwischen Noise, Dancehall und HipHop bereits alle Grundzutaten des Bugschen Klangkosmos enthielt. The Bug war einer der ersten Musiker, der extreme Frequenzen mit jamaikanisch beeinflusster Dancemusic verknüpfte – und damit den Weg ebnete für nachfolgende Clubmusikstile wie Grime und Dubstep.
Bis heute ist Martin bei Tontechnikern gefürchtet, weil er die Lautstärke stets bis aufs Äußerste ausreizt. Ein Vergnügen, das ohne Ohrstöpsel zur Qual werden kann. Aber auch zum kathartischen Erlebnis. Denn die akustische Überwältigung ist auch eine Erinnerung daran, dass der Mensch nichts anderes ist als ein lebendiger Resonanzkörper.
Nach »Pressure« von 2003 erschien 2008 mit »London Zoo« eines der intensivsten Dancehall-Alben des vergangenen Jahrzehnts – und eine gelungene akustische Reflexion einer von Paranoia, Reizüberflutung und Angst geprägten Gesellschaft. Es war aber auch eine Auseinandersetzung mit seinem damaligen Wohnort London. Einer Stadt, mit der Martin aufgrund ihres kulturellen Reichtums und der enorm hohen Lebenshaltungskosten eine ambivalente Beziehung oder besser: eine leidenschaftliche Hassliebe verband. Dass er seit einem Jahr in Berlin wohnt, hängt jedoch nicht nur mit den niedrigeren Mieten zusammen, sondern auch mit seiner Abneigung gegen die derzeitige Regierung Großbritanniens, die er einem aktuellen Interview zufolge dem »rechtspolitischen Flügel« zurechnet. Sie würde Migranten für die Probleme des Landes verantwortlich machen, anstatt, so Martin weiter, die »offensichtlich Schuldigen, wie überbezahlte Unternehmen, gierige Banker und goldgrabende Politiker«.
Auf »Angels & Devils« geht es nicht nur um die eigenen, dem Menschen innewohnenden Dämonen. Und trotz der teilweise versöhnlich klingenden Songs ist Martin seiner Prämisse treu geblieben. Denn ob ohrenbetäubend oder schmeichelnd, ob wütend oder erschöpft, über allem schwebt der Geist des Dub, der für Martin seit jeher mehr ist als nur ein Musikstil: »Dub geht weit über Musik hinaus, es ist eine Sicht auf die Welt, ein Äquivalent zu William Burroughs’ Cut-ups und Jean Luc Godards Zelluloid-Filmen.« Dub, so Martin, ist eine Möglichkeit, zu zeigen, wie fragmentiert, chaotisch und kaputt unsere moderne Existenz ist. Nichts anderes leistet das neue Album, nur mit mehr Lametta.

The Bug: Angels & Devils. Ninja Tune/Rrough Trade