Das Geschäftsmodell der Plattform Sobooks

Wir nennen es Buch

Von Enno Park

Wie sollen Verlage damit umgehen, dass immer mehr Menschen Bücher vor allem im Internet lesen, wo eine kostenlose Version der Texte oft nur wenige Klicks entfernt ist? Die Plattform Sobooks versucht, eine Antwort zu geben.

Es tut mir leid: Buchhandlungen kommen in meinem Leben schon lange nicht mehr vor. Das Klischee der gut informierten Buchhändlerin, die mich in warmer Umgebung geduldig berät, bis ich voller Vorfreude auf den Lesegenuss ein Werk nach Hause trage, halte ich für unrealistisch – nicht erst seit dem Siegeszug des Internets. Von den meisten Büchern, die mich interessieren, erfahre ich im Internet, wo ich mich auch dermaßen umfassend informieren und so komfortabel bestellen kann, dass schon lange keine Buchhandlung mehr mitzuhalten imstande ist.
Als sei das alles nicht genug, schickt sich das E-Book an, dem gebundenen Papierstapel den Rest zu geben. Wer in Abwehrhaltung gegen das Internet den Schutz des Buches als Kulturgut fordert, sollte den gebundenen Papierstapel nicht mit seinem Inhalt verwechseln. Früher war ich in der Hinsicht noch konservativ und konnte sentimentalen Beschreibungen – etwa, wie gut ein neu erworbenes Buch riecht – etwas abgewinnen. Heute schaue ich als allererstes nach, wo ich einen Titel als E-Book herunterladen kann, um ihn in Ruhe auf meinem E-Book-Reader, Tablet und, während längerer U-Bahn-Fahrten, auf meinem Telefon zu lesen. Die langsam schrumpfenden Bücherbestände in meiner Wohnung sehe ich nur noch als Ballast, den ich nicht mal schnell nach Stichworten durchsuchen kann – ich werde ihn beim nächsten Umzug wohl fast komplett entsorgen.
Musiklabels und die Filmindustrie haben das mittlerweile hinter sich. Musik und Filme waren mit wenigen (oft illegalen) Klicks zu besorgen. Dass da die Kostenlosmentalität eine Rolle spielt, ist nur ein Teil der Wahrheit. Es ist seit jeher umständlich oder sogar unmöglich, viele Inhalte auf legalem Wege zu vernünftigen Preisen zu erwerben. Apple konnte das Ganze mit iTunes in geordnete Bahnen lenken, doch mittlerweile laden wir nicht einmal mehr Musikdateien herunter, sondern nutzen Streaming-Dienste wie Spotify, die uns für ein paar Euro im Monat mit selbst ausgewählter Musik berieseln wie ein personalisiertes Radio. In der Filmindustrie passiert derzeit mit Netflix & Co. das Gleiche.
Und der Buchmarkt? Klang früher vor allem arrogant: Das Buch sei Kulturgut und vielleicht geht dieses komische Internet ja eines Tages wieder weg. Mittlerweile hat aber auch die letzte Buchhandlung erkannt, dass ihr Geschäftsmodell in der Krise steckt. Sie reagieren wie Tankstellen, die ihren eigentlichen Umsatz mit Bier, Zigaretten und Automatenkaffee machen. Immer mehr Fläche wird vom sogenannten Non-Books-Sortiment eingenommen: Schreibwaren, Duftkerzen, Geschenkartikel und Merchandising-Kram.
Verlage wiederum kommen nicht mehr umhin, ihre Titel als E-Book im Internet anzubieten. Das heißt derzeit – von einigen Nischen abgesehen –, sie vermarkten diese bei Amazon für den E-Book-Reader Kindle. Wobei Amazon den Verlagen Rabatte und Preisspannen, den Lesern ein Endgerät diktiert. Das muss auch anders gehen, dachten sich Sascha Lobo und Christoph Kappes, beides Berühmtheiten im Internet, Online-Unternehmer und Strategieberater. Ihre Idee: Bücher sollten nichts weiter sein als andere Texte im Internet auch, nämlich Websites, die online gelesen und nach Belieben verlinkt und kommentiert werden können.
Tatsächlich hat Sobooks, ihr neuer »Strea-ming«-Dienst für Bücher, Charme. Die Website ist übersichtlich gestaltet, die Lektüre auf dem Laptop finden sogar Menschen angenehm, die sonst ungern an Bildschirmen lesen. Der Nerd in mir mag die Statistiken, die zu jedem Buch angezeigt werden: Anzahl der Aufrufe und Kommentare, durchschnittliche Lesedauer und – besonders spannend – Anteil der Leser, die ein Buch auch zuende gelesen haben. Am Rande der Seiten findet sich eine jederzeit ausblendbare Spalte, in der ich Randnotizen anderer Leser einsehen und selber Kommentare hinterlassen kann. Zu jedem Buch verzeichnet eine Übersicht, an welchen Stellen besonders viele Kommentare hinterlassen wurden. Wer will, kann also einfach zu den heiß diskutierten Passagen springen. Seiten und Zitate lassen sich via Twitter und Facebook verbreiten. Das gibt es zwar teilweise so ähnlich auch woanders, zum Beispiel auf dem Amazon-Kindle, ist aber in dieser Zusammenstellung bisher einmalig.
Ebenso einmalig ist das zugrunde liegende Geschäftsmodell. Statt wie bei Streaming-Diensten eine monatliche Flatrate-Gebühr zu zahlen, erhalte ich eine kostenlose Leseprobe von jedem Buch. Erst wenn ich weiterlesen möchte, werde ich aufgefordert zu zahlen. Sobooks liegt hier quer zum Trend: Anbieter wie Amazon haben eben erst ihre Buch-Flatrates angekündigt, die es Kunden gegen eine monatliche Gebühr ermöglichen, so viel zu lesen, wie sie wollen. Ein solches Abonnement könnte eines Tages auch für Sobooks eine gute Ergänzung sein, im Moment empfinde ich aber eine Abo-Gebühr als Zumutung: Jeder Anbieter hat noch eine relativ kleine Zahl an Titeln im Angebot. Ich müsste also gleich mehrere Abonnements abschließen und mir trotzdem noch viele Bücher auf anderem Wege besorgen. Solange ein Abo-Dienst nicht annähernd alle Bücher anbietet, die auf dem Markt erhältlich sind, ist das Modell von Sobooks das leserfreundlichere.
Oder wäre es zumindest, wenn Sobooks funktionieren würde. Zur Frankfurter Buchmesse verließ der Dienst die geschlossene Beta-Phase, in der er nur von einer kleinen Gruppe Interessierter getestet werden konnte. Das war zu früh. Nicht nur, weil das Sortiment noch ausgesprochen klein ist (aber dank der Zusammenarbeit mit diversen Verlagen sehr bald stark wachsen dürfte), sondern vor allem, weil Sobooks nicht fertig ist.
Kleinere Fehler verzeihe ich sofort – das ist auf neuen Plattformen normal, die Macher freuen sich, wenn man ihnen eine Nachricht schickt, damit sie die Mängel beseitigen können. Wirklich schwer wiegt aber, dass ich Sobooks derzeit nur auf dem Laptop verwenden kann, der eine komfortable Lektüre nur am Schreibtisch ermöglicht. Abends im Bett auf meinem Tablet und unterwegs auf meinem Telefon musste ich mehrere Browser ausprobieren und habe es trotzdem nicht geschafft, ein Buch auf Sobooks zu lesen. Das wäre nicht weiter schlimm, schließlich wurde angekündigt, dass sich auf Sobooks gekaufte Bücher auch frei kopierbar herunterladen lassen. Vielleicht sind viele Fehler bereits behoben, wenn dieser Artikel erscheint, bis auf weiteres bleibt es aber bei der Ankündigung.
Die Gefahr, dass potentielle Kunden sich auf Sobooks ein wenig umschauen und anschließend schulterzuckend bis frustriert wieder verschwinden und nie wiederkommen, ist derzeit groß. Vielleicht sollte man also Sobooks zunächst einfach ignorieren und in ein paar Monaten erneut vorbeischauen. Die Chance, dann auf einen leserfreundlichen und ausgesprochen spannenden Streaming-Dienst für Bücher mit interessantem Sortiment und einem für alle Seiten fairen Geschäftsmodell zu stoßen, erscheint groß.