Die Vorschläge zur Regelung der Sterbehilfe nehmen Gestalt an

Mit Reklametafeln durch die Straßen

Über Sterbehilfe wird inzwischen eine breite gesellschaftliche Debatte geführt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die ­Befürworter kräftig in Kampagnen für deren Legalisierung investieren.

Fahrende Dosen, die auf Minis montiert sind und für Brause werben, sind nichts Ungewöhnliches. Ende Oktober rollten ganz andere Werbebotschaften durch Berlin und Frankfurt. Auf großen Reklametafeln, die auf kleine LKW montiert waren, war der Spruch »Mein Ende gehört mir« zu lesen. Die fahrenden Werbetafeln sind Teil einer Kampagne der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) und der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) und werben für die Legalisierung der Assistenz beim Suizid. Die Debatte über die Sterbehilfe ist dort angekommen, wo der Bundestag sie gerne haben wollte und erreicht einen großen Teil der Gesellschaft. Das war bislang nicht der Fall. Doch die ersten fraktionsübergreifenden Anträge zu einer gesetzlichen Regelung nehmen nun langsam Gestalt an. Die Kampagne »Mein Ende gehört mir« mit der dazugehörigen Website »Letzte Hilfe« geht deutlich darüber hinaus und verfügt offenbar über werberisches Know-how und Geld.
Die Forderung der Kampagne ist eindeutig: Es darf keine weitere Einschränkung der Sterbehilfe geben. Damit wendet sie sich gegen Forderungen von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der zumindest die organisierte und geschäftsmäßige Suizidhilfe verbieten will.
Laut den Initiatoren der Kampagne reichen die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen vollkommen aus, den Ärzten sollte jedoch die Begleitung von Suizidwilligen explizt erlaubt werden. Forderungen nach einem generellen Verbot lehnen sie ab, denn das würde gegen Paragraf 1 des Grundgesetzes verstoßen: »Denn nur der jeweilige Mensch – nicht der Staat, nicht die Kirche, nicht die Ärzteschaft – hat das Recht zu bestimmen, was für ihn eine würdige Existenz bedeutet«, so ist auf der Website der Kampagne zu lesen. Viele Prominente haben sich unter dem Slogan »Mein Ende gehört mir« in schwarz-weiß und mit geschlossenen Augen porträtieren lassen, etwa der Schriftsteller Ralph Giordano, die Schauspieler Eva Mattes und Michael Lesch, der Liedermacher Konstantin Wecker sowie der Sterbehilfe-Befürworter Uwe-Christian Arnold, dessen aktuelles Buch »Letzte Hilfe – ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben« zum Kampagnenstart kostenlos an alle Bundestagsabgeordnete geschickt wurde. »Es soll später niemand sagen können, er habe von den Nöten der Patienten nichts gewusst!«, sagte der Co-Autor, Philosoph und Schriftsteller Michael Schmidt-Salomon (siehe Interview oben) auf der Pressekonferenz.

Die Debatte wird verstärkt auch jenseits solcher Kampagnen geführt. Am 19. Oktober wurde das Thema bei Günther Jauch diskutiert, der mit seinen Gästen unter dem Titel »Udo Reiters letzter Wille – dürfen wir selbstbestimmt sterben?« über Sterbehilfe diskutierte. Hintergrund war der Suizid des ehemaligen MDR-Intendanten Udo Reiter, der sich selbst erschossen hatte. Jauch verlas den Abschiedsbrief des 70jährigen in der Sendung. Darin beschreibt Reiter, der seit rund 50 Jahren im Rollstuhl saß, dass er ein Schwinden seiner körperlichen und geistigen Kräfte bemerke und nicht auf Pflege angewiesen sein wolle. Eine generelle Legalisierung von Sterbehilfe forderte er explizit nicht. Trotzdem warnten Patientenorganisationen vor solch einer Veröffentlichung. »Mit dem Verlesen des Abschiedsbriefes vor einem Millionenpublikum gewinnt dieser ganz persönliche Schritt eine öffentliche Dimension, die brandgefährlich ist«, sagte Eugen Brysch, der der Deutschen Stiftung Patientenschutz vorsteht. Schon heute zögen viele alte Menschen die Selbsttötung der Pflegebedürftigkeit vor, so Brysch weiter.

Seit Gesundheitsminister Gröhe sich für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe ausgesprochen hat, ist das Thema auch politisch wieder brisant geworden. Eine gesetzliche Regelung steht zwar erst 2015 an, dennoch gibt es jetzt schon erste fraktionsübergreifende Gruppen, die Gesetzesentwürfe in die Diskussion einbringen. Jüngst forderte eine Gruppe von sechs Koalitionsabgeordneten um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU), Todkranken die Möglichkeit zur ärztlich assistierten Selbsttötung zu geben. Der Mensch am Ende seines Lebens »muss selbst bestimmen, was er noch ertragen kann«, sagte Hintze am 16. Oktober in Berlin anlässlich der Vorstellung eines Eckpunktepapiers der Abgeordneten zur ­Regelung der Sterbehilfe. Zur Gruppe der Verfasserinnen und Verfasser gehören neben Hintze und Katherina Reiche (CDU) Dagmar Wöhrl von der CSU sowie die SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach, Carola Reimann und Burkhard Lischka. Kernstück ist die Legalisierung des sogenannten »assistierten Suizids«. Das bedeutet, dass der Arzt dem Betroffenen bei der Selbsttötung helfen darf, dieser die entscheidende Handlung jedoch selbstständig ausführen muss. »Wenn er es nicht selbst tun kann oder will, sollte es auch niemand anderes tun«, sagte Lauterbach auf der Pressekonferenz. Darin unterscheidet sich der Vorschlag von noch liberaleren Regelungen wie etwa in den Niederlanden oder Belgien (siehe. Seite 4). Dort darf der Arzt auch aktive Sterbehilfe leisten.
Die Professorinnen und Professoren für Palliativmedizin wenden sich gegen den Trend zur Liberalisierung. In einer gemeinsamen Presseerklärung wandten sich Anfang Oktober alle neun Lehrstuhlinhaber und -inhaberinnen für Palliativmedizin gegen einen ärztlich assistierten ­Suizid. Sie, die an palliativmedizinischen Kliniken und Zentren arbeiten, betonen, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen ausreichen und dass eine Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei. »Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt auch im Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern«, so die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner.