Die Verlängerung der Atomverhandlungen ist ein Sieg für das Regime

Dritte Halbzeit für die Ayatollahs

Die Verlängerung der Atomverhandlungen wird vom iranischen Regime als Erfolg betrachtet. Tatsächlich stellt dies eine weitere Niederlage der vermeintlichen Realpolitik des Westens dar.

Das Regime in Teheran ist wieder einmal begeistert von sich selbst. Der oberste geistliche Führer Ali Khamenei zeigte sich nach der Verlängerung der Atomgespräche mit den fünf ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat und Deutschland in Wien am 24. November ebenso zufrieden wie Präsident Hassan Rohani. Mohammad Ali Jafari, der Kommandant der Revolutionswächter, die das Nuklear- und Raketenprogramm weitgehend kontrollieren, erklärte triumphierend, die USA hätten sowohl bei den Verhandlungen als auch hinsichtlich der Expansion des iranischen Einflusses in der Region vor Teheran kapituliert. Er hat gute Gründe für seine Freude: Der Iran erhält weitere Zeit, um an seinem Atomwaffen- und Raketenprogramm zu basteln, wird für seine jahrelange Taktik des Lügens, Täuschens und Zeitschindens mit Milliardenzahlungen belohnt und kann sich bei den Verhandlungen weiterhin als legitimer Partner auf der internationalen Bühne inszenieren.
In Wien wurde vereinbart, möglichst bis März ein Rahmenabkommen zu verhandeln und, davon ausgehend, alle technischen Details zu klären, was dann bis Juli 2015 zu einem endgültigen Deal führen soll. Warum das bis dahin eher gelingen sollte als bisher, ist vollkommen unklar. Sollte es bis Juli 2015 aber tatsächlich ein umfassendes Abkommen geben, wäre es in jedem Fall eines, das zentrale Forderungen der Ajatollahs erfüllt. Von den UN-Sicherheitsratsresolutionen, die unmissverständlich die vollständige Einstellung der Urananreicherung im Iran fordern, ist schon lange keine Rede mehr.

Die ganze vergangene Dekade hat der Westen zumindest rhetorisch darauf gesetzt, die Fähigkeit des Iran zum Bau von Atombomben zu beseitigen. Mittlerweile geht es nur noch um die Zeit, die er dazu benötigen würde. Amos Yadlin, der ehemalige israelische Militärgeheimdienstchef, hat anlässlich der letzten Verhandlungsrunde nüchtern konstatiert, dass der Iran heute bereits ein nukleares Schwellenland ist und der Westen daran wohl nichts ändern werde.
Der Ende 2013 in Genf verabschiedete Joint Plan of Action gilt nun weitere sieben Monate. In diesem Übergangsabkommen wird vom Militärkomplex in Parchin, von dem die internationale Atomenergierbehörde IAEA vermutet, dass dort die entscheidenden Tests zur Entwicklung nuklearer Sprengköpfe stattgefunden haben könnten und dessen Inspektion das Regime bis heute verweigert, ebensowenig geredet – wie vom iranischen Raketenprogramm, das im Rahmen eines konventionellen Rüstungsszenarios kaum Sinn ergibt. Jeder Deal, der auf Grundlage des Genfer Abkommens zustande kommt und die UN-Resolutionen ignoriert, wird fatale Folgen haben: Er wird die Infrastruktur des Atom- und Raketenprogramms intakt lassen und die von ihnen ausgehenden Gefahren nicht beseitigen, sondern konservieren.
In den kommenden sieben Monaten soll der Iran fünf Milliarden US-Dollar aus eingefrorenen Geldern erhalten. Die mühsam durchgesetzte Sanktionspolitik war schon durch das Genfer Übergangsabkommen unterlaufen worden. Die deutschen Exporte in den Iran sind in den ersten neuen Monaten 2014 um 36 Prozent, die österreichischen Importe aus dem Iran um 114 Prozent gestiegen. Nun droht die Sanktionspolitik vollends wirkungslos zu werden. Zwei Tage nach dem 24. November erklärten Vertreter des iranischen Ölministeriums, die im Hinblick auf eine mögliche Aufhebung der Sanktionen im Energiebereich für Februar 2015 organisierte London Oil Conference werde wie geplant stattfinden. Drei Tage nach der Verlängerung des Genfer Joint Plan of Action traf sich der iranische Ölminister Bijan Zanganeh in Wien mit Vertretern von Shell, BP, Total und Lukoil. Die Deutsch-Iranische Handelskammer in Hamburg hatte noch während der letzten Verhandlungsrunde in Wien eine hochrangige Wirtschaftsdelegation nach Deutschland geladen, um Geschäfte in den bisher noch unter Sanktionen stehenden Branchen Öl, Gas und Finanzen anzubahnen.
In Europa sind derzeit keine einflussreichen Stimmen zu vernehmen, die angesichts des erneuten Debakels bei den Verhandlungen in Wien nun endlich scharfe und konsequente Sanktionen fordern würden. In den USA gibt es neben der Appeasement- und Kooperationsstrategie der Regierung Obamas aber noch den Kongress, in dem eine überparteiliche Initiative zu eben solch einer Sanktionsverschärfung anstehen dürfte. Sie kann mit breiter Unterstützung der Bevölkerung rechnen: Fast 70 Prozent der US-Amerikaner lehnen einen Deal ab, der die Fähigkeiten der Ayatollahs zum Bau der Bombe nicht dauerhaft beseitigt.

Eine der vorherrschenden Richtungen in der Lehre von den Internationalen Beziehungen nennt sich »Realistische Schule«. Ihre Vertreter halten sich auf ihren nüchternen Blick auf globale Machtverhältnisse viel zugute. Hinsichtlich der Auseinandersetzung des Westens mit dem iranischen Regime proklamieren die meisten Vertreter dieser Denkschule die Möglichkeit und Notwendigkeit der Einbindung der Machthaber in Teheran in das internationale Vertragssystem. Das Problem dabei ist: Sie gehen von völlig unrealistischen Annahmen aus und ignorieren den Charakter des iranischen Regimes sowie seine seit Jahrzehnten betriebene Destabilisierungspolitik im Nahen Osten.
Die »Herrschaft der Rechtsgelehrten«, mit der die Ayatollahs seit der islamischen Revolution von 1979 ihren Machtanspruch legitimieren, soll durch religiösen Tugendterror nach innen und durch den Export der islamischen Revolution die Rückkehr des Mahdis, des verborgenen zwölften Imams, vorbereiten. Das schließt eine gewisse »Realpolitik« seitens der Ayatollahs keineswegs aus: Die Außenbeziehungen des iranischen Regimes waren von Beginn an durch eine Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Vernichtungswahn gekennzeichnet. Einerseits ist die Verpflichtung zu einer »revolutionären Außenpolitik« in der Verfassung der Islamischen Republik festgeschrieben. Andererseits wird gerade in Diskussionen über außenpolitische Themen die Verpflichtung zum Gehorsam selbst gegenüber dem obersten geistlichen Führer explizit aufgehoben, um die Vermittlung von Ideologie und Pragmatismus bestmöglich gewährleisten zu können. Die Ergebnisse können in den Publikationen iranischer Think Tanks wie dem Institute for Middle East Strategic Studies nachgelesen werden, in denen im Rahmen der Ideologie der Islamischen Republik mitunter stark divergierende Positionen zu Fragen der internationalen Politik vertreten werden.
Westliche Vertreter der »Realistischen Schule« schlussfolgern daraus die Möglichkeit einer pragmatischen Einbindung des iranischen Regimes mittels Verhandlungen. Derartige Einschätzungen blenden aus, dass die Ayatollahs jedes Mal auf Expansion ihres Einflussbereichs gesetzt haben, sobald sich ihnen die Möglichkeit dazu bot. Und sie ignorieren, dass bei den Drohungen gegen Israel der iranische Pragmatismus lediglich darin bestehen kann, den richtigen Zeitpunkt für die Offensive abzuwarten.

Mittlerweile hat sich selbst noch bei den wohlmeinendsten Beobachtern des iranischen Regimes herumgesprochen, dass sich die Situation in dem Land durch den dauerlächelnden Rohani nicht nur nicht verbessert, sondern in vielen Aspekten sogar verschlechtert hat. Seit Rohanis Amtsantritt hat die Zahl der Hinrichtungen dramatisch zugenommen. Die Todesstrafe für Homosexualität wird weiterhin vollstreckt. Oppositionelle und religiöse Minderheiten wie die Bahai werden genauso gnadenlos verfolgt wie in den vergangenen Jahren. Das Bündnis mit der libanesischen Terrormiliz Hizbollah ist intakt, jenes mit der Hamas wurde erneuert. Ohne die iranischen Waffenlieferungen wäre die palästinensische Organisation gar nicht in der Lage gewesen, Israel im Sommer mit tausenden Raketen zu beschießen. Ali Khamenei stellt bis zum heutigen Tag die historische Realität des Holocaust in Frage und droht dem jüdischen Staat immer wieder mit der Vernichtung – zuletzt am 9. November.
Mit Widerspruch müssen die Machthaber in Teheran kaum rechnen: Die Verhandlungen über das Nuklearprogramm haben sie gegen Kritik nahezu immunisiert. Der Freibrief für das Agieren der Islamische Republik wird durch die abwegige Strategie der USA noch bekräftigt, die Quds-Brigaden der iranischen Revolutionswächter, die das Ziel all ihrer Bestrebungen – die Eroberung Jerusalems – bereits im Namen tragen, in die Bekämpfung des Islamischen Staats (IS) einzubinden. Das hat den Iranern zusätzlichen Verhandlungsspielraum bei den Atomgesprächen verschafft.
Israel wird durch die westliche Verhandlungs- und Kooperationspolitik gegenüber dem iranischen Regime mit seinen Warnungen vor einem faulen Kompromiss bezüglich des Atomprogramms immer mehr in die Isolation getrieben. Die Behauptung, Islamisten würden sich durch Verhandlungen mäßigen, ist schlicht falsch. Jedes Entgegenkommen des Westens wird von ihnen als Schwäche ausgelegt. Insofern ist es auch kein Wunder, dass das Regime ungeachtet der Atomverhandlungen seine illegalen Aktivitäten in Europa fortsetzt: Das deutsche Zollkriminalamt erklärte Mitte November, dass der Iran für sein Nuklearprogramm weiterhin »strafbare proliferationsrelevante Beschaffungsaktivitäten« in Deutschland betreibe.
Die Option, die nukleare Aufrüstung des iranischen Regimes auf militärisch zu stoppen, tritt durch die Aufweichung der Sanktionen wieder stärker ins Zentrum der Debatte. Die Jerusalem Post zitierte nach der Bekanntgabe der erneuten Verlängerung der Atomverhandlungen einen hochrangigen Regierungsvertreter, der hinsichtlich der israelischen Fähigkeiten und der Entschlossenheit, ein nuklear bewaffnetes iranischen Regime nicht zu akzeptieren, meinte: »Viele Leute haben Israel in der Vergangenheit immer wieder unterschätzt. Und sie unterschätzen Israel auch jetzt.«
Sollte es zu einem Militärschlag kommen, wäre das nicht die Schuld Israels, für das solch eine Option unwägbare Risiken mit sich brächte, sondern all jener Staaten, die durch ihre Iran-Politik und -Geschäfte in den vergangenen drei Jahrzehnten den jüdischen Staat im Stich gelassen und das Regime in Teheran überhaupt erst in die Lage versetzt haben, ein sündhaft teures Atomwaffen- und Raketenprogramm zu betreiben.