Sex geht auch ohne Körper

Mindfuck per App

Von Enno Park

Sex ohne Körper? Die künstliche Intelligenz macht das möglich. Erste Versuche gibt es bereits.

Der Japaner Taichi Takashita möchte gerne Mikuru Asahina heiraten, doch leider stehen da Gesetze im Weg. Sie ist nämlich kein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern eine Comicfigur aus einem Manga. Taichi Takashita hatte sogar versucht, mit einer Online-Petition Unterstützung für sein Anliegen zu sammeln – allerdings vergeblich.
Das ist kein Einzelfall mehr. Seit einigen Jahren ist die Sängerin Hatsune Miku extrem erfolgreich. Kleiner Haken: Es gibt sie gar nicht. Sie ist eine künstliche Stimme aus einem Synthesizer. Eine riesige Fangemeinde schreibt Lieder für sie, die es weltweit durchaus in die Charts schaffen. Mittlerweile tourt Hatsune Miku durch die ganze Welt. Ihr Äußeres ist ein animiertes Hologramm, das computergesteuert auf die Bühne projiziert wird. Und natürlich sind zahllose Menschen rund um den Globus unsterblich in sie verliebt.
Neue Technologien und das Internet stehen schon lange im Verdacht, unser Sex- und Liebesleben zu verändern. Chatsex ist für Menschen in Fernbeziehungen zur Freizeitbeschäftigung geworden, genauso wie unter völlig Fremden. Dazu passend erregen immer wieder allerlei Spielzeuge Aufsehen, wie etwa Dildos, die vom Sexualpartner auf fernen Kontinenten ferngesteuert werden. Meistens verschwinden diese Geräte schnell wieder im Kuriositätenkabinett, der Trend besteht jedoch fort: Von »World of Warcraft« bis »Second Life« verbringen Menschen ihre Zeit in virtuellen Realitäten und verlieben sich dort – manchmal in andere Mitspieler, die sie gelegentlich auch im real life kennen und lieben lernen, oft aber in komplett virtuelle Wesen.

In Japan wurde das Internet schon für den starken Rückgang der Geburtenrate verantwortlich gemacht. Laut einer Umfrage hatten dort im Jahr 2012 mehr als 40 Prozent der Paare im vergangenen Monat keinen Sex. Ob wirklich das Internet schuld an dieser Entwicklung ist, ist allerdings mehr als fraglich. Zudem ist der Rückgang der Geburtenrate ein Phänomen, das sich in allen entwickelten Industriestaaten beobachten lässt.
Dennoch gibt es in Japan das Phänomen der Hikikomori – meist junge Männer, die irgendwann beschließen, das Haus nicht mehr zu verlassen. Sie verlagern ihr komplettes Sozialleben ins Internet, wo sie ihre eigenen Communities bilden. Meistens handelt es sich um Jugendliche, die noch bei ihren Eltern leben. Grund dafür sind oft soziale Ängste, das Gefühl, dem Leistungsdruck in der Schule nicht gewachsen zu sein, aber eben auch der Wunsch, über das Netz eine Gemeinschaft zu erleben, in der sie sich verstanden fühlen.
Liebe und Sex sind auch ein Grund für ihren Rückzug. Besonders in der japanischen Kunst und Kultur ist das Liebesspiel außerordentlich ästhetisiert und artifiziell überhöht. Das führt zu einer seltsamen Mischung aus mangelndem Selbstbewusstsein und übersteigerten Erwartungen. Junge Männer haben oft das Gefühl, den hohen Ansprüchen der gleichaltrigen Frauen nicht genügen zu können, zugleich finden sie keine Frauen, die sich so willig und unterwürfig zeigen wie eine Manga-Figur.

Die Flucht in alternative Realitäten liegt da nahe: In Mangas lässt sich jeder noch so abwegige Fetisch befriedigen bis hin zu Vergewaltigungsphantasien und Tentakelsex. Bei jungen Frauen hingegen sind Shōnen Ai sehr beliebt, schwule Liebesgeschichten in Comicform, in denen Sex so gut wie keine Rolle spielt. Junge, oft androgyn gezeichnete Männer entdecken dort unschuldig ihre Liebe zueinander, die in alten Comics oft an der Unmöglichkeit homosexueller Liebe scheitert, in neueren Versionen oft ein Happy End mit Coming-out am Ende stehen hat. So projizieren beide Geschlechter ihre Träume und Erwartungen in unmögliche Bilder von Engeln und willigen Sexualpartnern und finden im Café um die Ecke keine Entsprechung dazu.
Während woanders das Netz vor allem noch genutzt wird, um mit Apps wie Okcupid, Tinder oder Grindr die große Liebe oder schnellen Sex möglichst in der Nähe zu finden, gibt es bereits die ersten virtuellen Flirt-Apps. »Sext Adventure« von Kara Jones ist dabei noch als klassisches Spiel angelegt. Per Textnachricht unterhalten sich die Spieler mit einer künstlichen Intelligenz. Die gibt offen zu, noch keine sexuellen Erfahrungen gemacht zu haben, da ihr dafür schlicht der Körper fehle, verfügt aber trotzdem über ein einschlägiges Vokabular. »Sext Adventure« ist noch plump, zahlreiche Fehler erinnern sofort daran, dass am anderen Ende der Leitung kein echtes Wesen sitzt. Doch obwohl Programme wie »Virtual Woman« für Windows derzeit eher an ein Tamagochi erinnern, könnte die Illusion schon bald perfekt sein.
Glaubt man Futuristen wie Ray Kurzweil, dem Leiter der Technologieabteilung bei Google, werden wir schon in wenigen Jahren künstliche Intelligenzen, die sich vollkommen natürlich geben, von Menschen nicht mehr zu unterscheiden sind und vielleicht sogar so etwas wie ein eigenes Bewusstsein entwickeln. Auch wenn gegen letzteres einige Argumente sprechen, wird das Menschen nicht davon abhalten, mit ihnen anzubandeln – in Online-Foren haben sich schon die ersten Leute gemeldet, die sich in »Siri« verliebt haben, die Sprachassistentin von Apple.

Fehlt also zum perfekten virtuellen Partner ­eigentlich nur noch die Orgasmusmaschine. Im Tierexperiment funktioniert sie schon: Durch elektrische Stimulation bestimmter Hirnregionen konnten Forscher Ratten zu Orgasmen verhelfen. Allerdings endete das Experiment nicht besonders gut. Die Ratten konnten sich per Knopfdruck selbst einen Orgasmus verschaffen, was sie dann auch ständig taten und darüber jegliches Interesse an der Nahrungsaufnahme verloren und wohl verhungert wären. Daraus lernen wir: Asexuell macht Technik nicht und ein guter Fick findet so oder so vor allem im Kopf statt.