Die Faszination des Curling

Zumindest nicht auf den Hintern gefallen

In der neuen Reihe »Ausprobiert« beschreiben Autoren ihre Erfahrungen mit Sportarten, die zu betreiben sie als Kinder geliebt oder gehasst haben – oder die sie schon lange im Fernsehen faszinieren. Beispielsweise Curling. Die mittlerweile olympische Sportart hat viele Fans – vor dem Fernseher. Einer hat sich aufs Eis gewagt: Jan Tölva.

Es ist nicht immer leicht in Worte zu fassen, was genau einen fesselt an einer Sportart, Faszination lässt sich nun einmal schlecht mit einem metrischen System erfassen. Sie ist eher ein nur schwer zu beeinflussendes Gefühl, dass von einem Besitz ergreift, ob man es nun will oder nicht.
Aus diesem Grund fällt es mir auch schwer zu sagen, warum genau mich Curling fasziniert. Liegt es etwa daran, dass das House, also der Zielkreis, den es zu erreichen gilt, mit ein wenig Phantasie dem Logo der Royal Air Force ähnelt? Oder ist es vielleicht die auf eigentümliche Art angespannte Ruhe, die der Sport ausstrahlt? Ich kann es nicht sagen, doch seit Curling 1998 nach immerhin 74 Jahren Pause wieder olympische Disziplin wurde und in der Folge immer häufiger Sendezeit im Fernsehen eingeräumt bekam, bleibe ich beim Zappen regelmäßig jeden Winter wieder bei der einen oder anderen Übertragung eines Curling-Turniers hängen.
Dabei bin ich eigentlich gar nicht wirklich ein Freund des Wintersports und aufs Eis bringen mich normalerweise keine zehn Pferde. Ein einziges Mal habe ich mich am Schlittschuhlaufen versucht. Diejenigen, die damals dabei waren, lachen noch heute, wenn sie an meine unbeholfen rudernden Arme und meinen von ehrlicher Angst gezeichneten Gesichtsausdruck denken. Kein Wunder also, dass ich lange gezögert habe, bis ich mich dazu habe aufraffen können, einmal selbst mein Glück mit Stein und Besen zu versuchen.
Wie so viele großartige Sportarten hat auch das Curling seine Wurzeln auf den britischen Inseln, genauer in Schottland. Seit dem 19. Jahrhundert jedoch fand es schrittweise auch in anderen Regionen Verbreitung. Zunächst wurde der Sport von schottischen Auswanderern nach Nordamerika gebracht, wo bereits 1807 in Montreal der erste Curlingverein gegründet wurde. Auf dem europäischen Festland waren die Schweiz und Schweden, die noch heute zu den erfolgreichsten Nationen im Curling gehören, die Pioniere der Sportart.
Lange Zeit verlief die Entwicklung des Curling eher schleppend. Als 1966 ein Weltverband gegründet wurde, hatte er gerade einmal sieben Mitgliedsverbände. Heute sind es immerhin 54, darunter auch Verbände aus weitgehend eisfreien Staaten wie Brasilien, Australien und seit 2013 auch Israel. Man könnte also durchaus behaupten, Curling sei eine Trendsportart.
»Das liegt vor allem daran, dass der Sport jetzt olympisch ist«, sagt Dirk Hannawald, Leiter der Curlingabteilung beim Eissport- und Schlittschuhclub 2007 Berlin. »Aber auch etliche Regeländerungen wie die Einführung der Free Guard Zone 1990 haben die Partien für Zuschauer interessanter gemacht.«
Um den Aufschwung zu bemerken, braucht Hannawald nicht weit zu gucken. Zwar geht die Geschichte des Curling in Berlin bis in die siebziger Jahre zurück, doch mit den Irrungen und Wirrungen des Westberliner Eissports ging es, auch wenn sie primär das Eishockey betrafen, mit dem Curling bergab. Nur noch acht Mitglieder hatte die Abteilung zwischenzeitlich, berichtet Hannawald, und von denen seien viele nicht mehr die Jüngsten gewesen. Nun gibt es immerhin wieder rund 30 Mitglieder und dazu eine funktionierende Nachwuchsarbeit.
Vom 16. bis zum 18. Januar wird der Verein mit dem Berlin Curling Cup zudem ein internationales Turnier abhalten, zu dem unter anderem Teams aus Litauen, Tschechien und Russland erwartet werden. Die Berliner werden dann die Chance haben, sich als gute Gastgeber zu präsentieren und dabei auch Werbung für ihren Sport zu machen. Wirkliche Hoffnungen auf sportliche Erfolge wären wohl aber unangebracht, denn im Curling ist Berlin noch immer »ein Entwicklungsland«, wie Hannawald es ausdrückt.
Die deutschen Curling-Hochburgen liegen anderswo. In Hamburg zum Beispiel oder im bayerischen Füssen. Dabei können sich die Voraussetzungen in der Eissporthalle nahe dem Olympiastadion durchaus sehen lassen. Vier Bahnen – sogenannte Rinks – gibt es und auch die Qualität des Eises wird immer besser. Gerade erst waren zwei Berliner eine Woche bei einer Schulung. Denn damit es sich wirklich gut curlen lässt, braucht es nicht einfach nur Eis; es muss auch richtig vorbereitet werden. Rund eine halbe Stunde brauchen sie dazu in Berlin jedes Mal vor dem Training, erzählt Richeza Reisinger. Mit einer Art Gießkanne werden dabei kleine Tröpfchen auf das Eis aufgetragen, die dafür sorgen sollen, dass die Steine auch gut gleiten.
Tatsächlich ist der Unterschied verblüffend. Dort, wo das Eis nicht behandelt worden ist, kann man selbst mit Straßenschuhen weitgehend problemlos laufen. Im Bereich der Rinks jedoch gerät selbst langsames Gehen leicht zur Slapstickeinlage. Zum Glück hat mir Reisinger, die sich bereit erklärt hat, mich in die Kunst des Curlings einzuweihen, einen Besen in die Hand gedrückt, der mir wenigstens etwas zum Festhalten bietet.
Die Steine hingegen sind überraschend schwer. Kaum vorstellbar, dass etwas, das so elegant dahingleiten kann, derart massiv ist. Und doch funktioniert es – bei mir zwar nicht auf Anhieb wirklich gut, aber zumindest falle ich nicht auf den Hintern. Nach einigen Versuchen läuft es dann doch ganz gut. Angeblich habe ich sogar so etwas wie Talent, auch wenn es in meinem Alter wohl nicht mehr für die Weltspitze reichen wird, wie Hannawald mir eröffnet.
Wichtiger jedoch als die Tatsache, dass ich mich nicht völlig zum Deppen gemacht habe, erscheint mir die offenherzige Atmosphäre, die in der Halle herrscht und die auch mir sofort das Gefühl gibt, willkommen zu sein. Eigentlich ist das auch kaum verwunderlich. Wer zum Curling geht, macht es mit Absicht, denn es ist nicht die Art Sport, in die man nur zufällig hineinrutscht, weil sie gerade cool oder angesagt ist.
Curling ist ein überraschend komplexer Sport. Es verlangt technisches Können genauso wie strategisches Denken und ein leicht zu unterschätzendes Maß an körperlicher Fitness. Immer und immer wieder die rund 40 Meter Eis mit dem Besen zu bearbeiten, geht nämlich ganz schön in die Arme. Die oberflächlichen Ähnlichkeiten zum Eisstockschießen sind bei näherer Betrachtung allerdings ziemlicher Unsinn. »Das hört man als Curler nicht gern«, sagt auch Hannawald, der die Vergleiche natürlich kennt. Curling ist weitaus komplizierter und hat seinen Spitznamen »Schach auf dem Eis« durchaus verdient. Beides in einen Topf zu werfen, ist in etwa so wie zu behaupten, Mau-Mau und Poker seien ein und dasselbe, nur weil beides mit Karten gespielt wird.
Curling hat Potential. Gerade in Zeiten, in denen Darts und Snooker im Fernsehen zur besten Sendezeit laufen, Angeln wieder cool ist und selbst Wandern so etwas wie einen Hype erlebt, sollte eigentlich auch für einen anspruchsvollen Eissport wie Curling ausreichend Interesse in der geneigten Öffentlichkeit bestehen.
Im März finden im kanadischen Halifax die Männer- und in Sapporo in Japan die Frauenweltmeisterschaften statt. Wer dann mitreden können möchte, sollte jetzt schon mal die Regeln lernen oder noch besser: den ganzen Spaß mal selbst ausprobiert haben.