Der Staat muss gegen rassistische und antisemitische Hetze eingreifen

Hetzen ist nicht meinen

Die Verhaftung Dieudonné M’bala M’balas war richtig.

Nach den Attentaten in Frankreich stellt sich die Frage nach dem Umgang mit jenen, die den antisemitischen Mördern ihre Sympathie ausdrücken. An mehreren französischen Schulen kam es zu Beifallsbekundungen für die antisemitischen Taten. Der »Komiker« Dieudonné M’bala M’bala hatte der Solidaritätskampagne »Je suis Charlie« ein trotziges »Je suis Charlie Coulibaly« entgegengeschleudert. Während sich die Mehrheit der französischen Bevölkerung mit den Opfern der Attentate identifizierte, erwies er damit Amedy Coulibaly seine Referenz, also jenem Jihadisten, der kurz zuvor fünf Menschen erschossen hatte. Dieudonné, aufgrund regelmäßiger Hass­attacken gegen Juden bei seinen Auftritten ohnehin ein alter Kunde der Justiz, erklärte sich umgehend für politisch verfolgt.
Scheinbar stehen sich hier die liberalen Prinzipien von Meinungs- beziehungsweise Kunstfreiheit und ein reglementierender Staat gegenüber. Islamisten, Neonazis und Verschwörungsspinner argumentieren immer wieder, die westliche Demokratie habe genauso ihre Tabus und verfolge Abweichler ebenso unnachgiebig wie andere. Als Beispiele gelten ihnen besonders Rechtsvorschriften, in denen die Leugnung der Shoah strafbewehrt ist. Der Westen, heißt es, beweise seinen totalitären Charakter, indem er sogar abweichende Meinungen zur Zeitgeschichte verfolge. Die »Freiheit« zur Holocaust-Leugnung gehört zu den Hauptforderungen von Neonazis. Sogar eine Selbsthilfeorganisation gab es, den 2008 verbotenen »Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten«.

Das Argument der Meinungsfreiheit ist allerdings fadenscheinig, denn »alternative« Geschichtsdeutungen stehen nicht zur Debatte. Beispielsweise gibt es seit Jahren Historiker, die behaupten, die europäische Zeitrechnung sei falsch. Die karolingische Epoche habe es nie gegeben. Kein Mensch käme auf die Idee, diese Theorie juristisch sanktionieren zu wollen. Das Gleiche gilt für randständige Ansichten über das Wembley-Tor oder die Frage, wer bei der deutschen Wiedervereinigung wen geschluckt habe – der Westen den Osten oder umgekehrt? Hier gelten die Meinungsfreiheit und das Recht darauf, sich lächerlich zu machen. Dennoch sind manche Äußerungen von diesen Freiheiten ausgenommen. Jene nämlich, die in der Juristensprache als Verleumdung, üble Nachrede, Betrug und so weiter bezeichnet werden. Bei der Holocaust-Leugnung wird nach StGB § 130, Abs. 3, auch nicht eine »Meinung« sanktioniert, sondern eine »unwahre Tatsachenbehauptung«, die Beleidigung der Opfer und die meist damit verbundene Aufstachelung zum Hass. Wer partout darauf besteht, Hitler sei 1945 mit einem Ufo nach Beteigeuze geflohen, bekommt keine Post vom Staatsanwalt.
Angesichts der Affäre Dieudonné erregt nun ein besonderer Widerspruch die Gemüter: Warum darf Charlie Hebdo mit seinen Karikaturen den Glauben beleidigen, ein Komiker aber keine Witze über Juden machen? Diese Argumentation unterschlägt jedoch einen wesentlichen Unterschied: Wer sich über Religion lustig macht, zielt auf einen Mythos. Wer gegen Menschengruppen oder die Opfer von Massenverbrechen hetzt, greift etwas wesentlich Konkreteres an. Sich wie Dieudonné über die Abschlachtung des Journalisten James Foley durch den IS lustig zu machen oder offen mit Ussama bin Laden zu sympathisieren, ist etwas anderes, als Witze über eine mythologische Figur aus dem 7. Jahrhundert zu machen. Selbst, wenn diese noch heute über anderthalb Milliarden Anhänger verfügt.

Die Nivellierung dieses Unterschieds ist jedoch Teil der kulturkämpferischen Strategie von religiösen Ultras. Schon der iranische Holocaust-Karikaturenwettbewerb wurde unter Hinweis auf die Mohammed-Karikaturen veranstaltet. »Wenn Ihr unser Heiligtum beschmutzt, dann beschmutzen wir eures.« Nur ist der Holocaust eben kein Mythos, sondern ein historischer Fakt. Seine Leugnung betrifft unmittelbar das Gedenken an die Opfer. Ihr Leid tangiert das historische und politische Selbstverständnis Europas und nicht religiöse Befindlichkeiten.
Allerdings zeigt sich in der Affäre Dieudonné ein schweres Problem der politischen Kultur. Muss schon der Staat eingreifen, um Hetze zu unterbinden, ist in der Gesellschaft einiges erodiert. Wenn Dieudonné aufgrund seines Antisemitismus tatsächlich zum »Idol junger Muslime« wurde, wie die FAZ schreibt, und seine Kampagne mehr als 900 000 Facebook-Freunde vorweisen kann, ist es allein mit seiner Verurteilung nicht getan. Um den Entfremdungsprozess der abgehängten Jugend aufzuhalten, sind die Gesetzbücher allein nicht ausreichend. Auf sie verzichten kann man deswegen jedoch nicht, denn manchmal muss man autoritären Charakteren ganz autoritär kommen.