Polizeigewalt gegen Antifaschisten in Kassel

Prügel für die Antifa

Um dem Kasseler Ableger der Pegida-Bewegung die Marschroute freizumachen, prügelten Polizeibeamte Anfang Januar auf Antifaschisten ein und verletzten zwei Menschen schwer. Es war nicht der einzige Vorfall, für den die Polizei kritisiert wird.

Bahn frei für Kagida – so ähnlich muss Anfang Januar der Einsatzbefehl der Polizei in Kassel gelautet haben. Dort prügelten Beamte zwei Antifaschisten krankenhausreif, um eine Sitzblockade auf der Marschroute des Kasseler Ablegers der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« zu verhindern. Berichte eines Kasseler Krankenhauses über die Verletzungen liegen der Jungle World vor. Einem Antifaschisten wurde durch einen Schlag ins Gesicht das Jochbein gebrochen. Eine Demonstrantin erlitt eine leichte Gehirnerschütterung. Das Kasseler Bündnis gegen rechts verurteilte den gewalttätigen Einsatz der Polizei und betonte, die Sitzblockaden gegen Kagida seien bislang stets friedlich verlaufen. Man sei »erschrocken« vom Vorgehen der Polizei.

Auch die verletzten Demonstranten können nicht verstehen, warum die Beamten so hart zuschlugen. »Die Polizei hat unsere Blockaden in den Vorwochen stets toleriert und die Kagida-Demonstration einfach an uns vorbeigeführt«, sagt eine Frau, die ebenfalls Opfer der Prügelattacken wurde. Die Teilnehmer der Demonstration seien zudem noch nicht in der Nähe gewesen. »Unsere Absicht war es, die Route friedlich zu blockieren.« Umso verwunderter sei man gewesen, als der Versuch, an der Polizei vorbei auf die Straße zu gelangen, unvermittelt mit dem Einsatz von heftiger Gewalt beantwortet worden sei.
Schon zwei Wochen zuvor hatte die Polizei die Lage offenbar falsch eingeschätzt. »Es gab laut Augenzeugen nach dem Aufmarsch von Kagida einen Überfall von rund 20 rechten Hooligans auf eine Gruppe jugendlicher Gegendemonstranten«, berichtet der Geschäftsführer des DGB Nordhessen, Michael Rudolph. Die Polizei habe diese Jugendlichen festgenommen, während die Angreifer fliehen konnten, sagt er. Ein anderer Zeuge berichtete der Jungle World, dass die Polizeibeamten auf die flüchtenden Täter hingewiesen worden seien, die Hinweise aber ignoriert hätten. Stattdessen hätten sie Anzeigen wegen Landfriedensbruchs gegen die Opfer gestellt.
Auch während der ersten Kundgebung der Kagida Anfang Dezember hatte die Polizei höchst unterschiedlich auf Störungen reagiert. Während sie vier Antifaschisten, die am Rand der Kundgebung Parolen riefen, durchsuchte und filmte, schickte sie Rechtsextreme, die eine Schlägerei mit diesen Antifaschisten beginnen wollten, unbehelligt zurück in die Kundgebung. Auch einzelne Journalisten beklagten sich über die Vorgehensweise der Polizei. So verwehrten Ordner der Kagida zwei Reportern den Zutritt zum Kundgebungsort. Der anwesende Polizeipressesprecher habe sich trotz Bitten nicht darum gekümmert, die freie Berichterstattung zu garantieren, so einer der Journalisten. In einem anderen Fall beschimpfte ein Polizeibeamter einen Berichterstatter als »Möchtegernjournalisten«, wie ein Video belegt.
Dass die Polizei in Kassel ohne öffentlich wahrnehmbaren Widerspruch auf diese Weise vorgehen kann, liegt auch an lokalen Medien, die ihre Kontrollfunktion eher selten wahrnehmen. So berichtete die Hessische/Niedersächsische Allgemeine, die einzige Kasseler Lokalzeitung, zunächst ohne Berücksichtigung der Schilderungen der Opfer über die Prügelattacken, obwohl das Bündnis gegen rechts eine entsprechende Pressemitteilung herausgegeben hatte. Die Zeitung gab aber einem Polizeisprecher die Möglichkeit, die Vorwürfe als »völlig haltlos« zu bezeichnen. Zwei Wochen später kamen die Opfer dann doch noch zu Wort. Auf Anfrage der Jungle World reagierte das Polizeipräsidium Nordhessen zurückhaltend. Es lägen »keine konkreten Hinweise« zu den Übergriffen vor. Pressesprecher Torsten Werner stellte zudem im Antwortschreiben Gegenfragen, etwa: »Warum wenden sich die Betroffenen nicht an die Polizei?«
Tatsächlich haben die Opfer der Attacken bislang keine Strafanzeige gegen die prügelnden Polizisten gestellt. Sie befürchten, dass die Beamten im Gegenzug ebenfalls Anzeige erstatten könnten, was in solchen Fällen tatsächlich häufig vorkommt. Da Gerichte zudem selten Polizeibeamte verurteilen und Richter während der Verhandlung eher den Staatsdienern in Uniform glauben, scheuen viele Betroffene das mit einer Strafanzeige verbundene Risiko.
An den Demonstrationszügen der Kagida beteiligen sich nach Einschätzung des DGB Nordhessen jeden Montag bis zu 150 Menschen. Etwa ein Drittel sind dem Gewerkschaftsbund zufolge Nazis und Hooligans. Zu ihnen gesellen sich Sympathisanten der Alternative für Deutschland, Burschenschafter und Durchschnittsbürger. Der Anmelder der Versammlungen, Michael Viehmann, gab sich in Gesprächen mit der Lokalpresse zwar stets harmlos. Die Frankfurter Rundschau berichtete aber, er habe sich auf Facebook antisemitisch geäußert und der Hoffnung Ausdruck verliehen, »dass hier bald eine Revolution ausbricht und dem ganzen deutschen Politpack der Schädel eingeschlagen wird«.

Um die Solidarität mit den Juden und Israel ist es aber auch bei manchen Gegendemonstranten nicht gut bestellt. So sprach bei der Kundgebung des Bündnisses gegen rechts Mitte Januar ein Mitglied der MLPD, das Monate zuvor, während des jüngsten Gaza-Kriegs, den bewaffneten Kampf gegen den jüdischen Staat gutgeheißen hatte. Auch die Gruppe »Revo Kassel«, die im Sommer noch Bilder von israelsolidarischen Antifaschisten im Internet veröffentlicht hatte, ruft nun jeden Montag zu Protesten gegen Kagida auf.