Religion und Humor

Monotheismus und Humor

Wie Religion das Humorverständnis prägt und warum der Anschlag auf Charlie Hebdo nicht der Satire galt.

Wenn man Google als Maßstab nimmt, ist die Sache mit der Satire und der Religion ganz einfach. »Satire+Judentum« hat 173 000 Treffer, die gleiche Frage zum Christentum immerhin 241 000 und wenn man »Satire+Is­lam« eingibt, erhält man stolze 8 100 000 Treffer.
Und was sagt uns das? Gehen wir von dem aus, was wir in den vergangenen, ja, eigentlich schon Jahren erlebten, so ist der Islam kein Paradebeispiel für Satireverträglichkeit. Notorisch beleidigte Muslime sind, fast möchte man sagen, in unser Weltbild integriert, denn obwohl ständig darauf verwiesen wird, wie humorvoll Muslime doch in Wahrheit seien – Überzeugung geht anders. Nicht zuletzt deshalb, weil der Hauptzeuge für islamischen Witz immer Nasreddin Hoça ist, der »türkische Eulenspiegel«. Aber Humor kann auch ranzig werden, und nachdem Hoça im 13. Jahrhundert lebte, hat man fast Sorge, dass hier das Ablaufdatum leicht überschritten wurde. Danach gab es wohl keinen muslimischen Satiriker von supranationaler Bedeutung mehr, jedenfalls keinen, der genannt wird.
Also wird hin- und herüberlegt, was man noch alles rücksichtsvoll verhindern muss, um das arme, reflexionsunfähige Religionsbündnis nicht zu sehr zu verstören. Renommierte Zeitungen verpixeln alles, was nur entfernt dazu geeignet sein könnte, den einen oder anderen Muslim auf die Palme oder hinter eine Kalaschnikow zu bringen, und insgeheim geht man davon aus, dass statt Humor doch eher Angst, Wut und Hass bei dieser Facette des Monotheismus regieren.
Im Christentum ist man allerdings auch noch nicht aus dem Keller gekrochen, um das Lachen zu erlauben. Alle naselang kommt irgendein Film, ein Komiker, ein Theaterstück mit etwas Lächerlichem über Jesus und Co, erntet sofort empörte Blasphemie-Rufe, manchmal sogar Gerichtsklagen – und hinterlässt angeblich eine tief in ihrer Religiosität gestörte Christenheit. Es heißt, die Empfindlichkeit gegenüber Christenverarsche sei sogar gestiegen, ungeachtet der abnehmenden Zahl an gläubigen Christen. Zum Glück für die restliche Welt wurde es aber in den letzten Jahrhunderten im versammelten Christentum eher unmodern, sich mit Waffengewalt gegen Satire zu stemmen, weil man dann doch irgendwann kapiert hatte, dass man sich leichter gegen einen Formwandler zur Wehr setzen kann als gegen einen im Kern wahren Witz. Dennoch hat der Papst erst kürzlich dazu aufgerufen, auf Witz und Satire in religiösen Belangen lieber zu verzichten. Vielleicht sprach es sich bis zu ihm herum, dass man, um Witze über den eigenen Glauben verstehen und ertragen zu können, mit Vernunft und Verstand begabt sein sollte – etwas, das schon aus Prinzip bei Untergebenen eher von Nachteil ist. (Sagte der Fürst zum Bischof: »Halte du sie dumm, ich halte sie arm.«)
Und wie ist es im Judentum?
Da Juden schon aus religiösen Gründen darauf gedrillt werden, auf eine Antwort sofort mehrere Fragen zu finden, wird hier zunächst sehr genau darauf geachtet, was Satire überhaupt ist. Wann ist etwas Satire, wann einfach Witz – und: Wann wird es Hetze?
Wir Juden kennen uns damit aus. Es gab immer und gibt gerade jetzt auch höchst antisemitische Hetze, die einfach nur ein Mäntlein aus Satire trägt.
Es gibt auch jede Menge Einfach-nur-Witze von, mit und über Juden, die überhaupt nicht satirisch sind – und nicht mal immer witzig.
Dass das Judentum nicht, wie die beiden vorgenannten Religionen, nur eine Gruppe von Menschen mit grob demselben Glauben bezeichnet, sondern noch dazu ein Volk, macht es nicht leichter. Wir Juden haben auch gelernt, dass gerade wir ohne Humor eigentlich durchgehend beleidigt sein müssten – und das wollen wir natürlich nicht, denn dann würden wir ja sofort zu Muslimen mutieren. Also haben wir den Witz und mit ihm die Satire verinnerlicht. Es gibt traditionelle jüdische religiöse Rituale, die ohne Eigenironie und Begabung zur Abstraktion so wahnsinnig wären, dass das Fliegende Spaghettimonster von uns noch lernen könnte.
Das Judentum ist auch die einzige Religion, die darauf aufbaut, dass man erst einmal intellektuell zerpflückt und von allen Seiten kritisch betrachtet, was »geschrieben steht«. Deswegen lernen gläubige Juden bereits mit drei Jahren zu lesen, denn sobald sie das können, ist das Hinterfragen die zweite Lektion. Erst nachdem man wirklich jede mögliche Bedeutung eines Satzes, eines Gebotes überlegt, überspitzt und in allen Facetten beleuchtet hat, kann man sagen, dass man seine Religion gelernt hat. Mit einfachem Auswendiglernen geht da gar nichts! (Allerdings gibt es – weil das Judentum eine praktisch denkende Tradition hat – auch die Regel für Deppen: Wenn man ein religiöses Gesetz nicht versteht, soll man es erst mal befolgen, das geht schon in Ordnung. Man kann sich danach gern noch um Verständnis bemühen, aber naja, irgendwer wird es sicher schon mal verstanden haben.) Aber hier haben wir schon mal einen guten Querverweis, der erklärt, warum sich proportional zur Gesamtbevölkerung so viele Juden mit Satire befassen. Das Überspitzen, Diskutieren und Hinterfragen von Inhalten ist der Nährboden des gesamten Judentums! Und auch Satire zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen tatsächlichen Sachverhalt so stark überspitzt, dass dadurch die wahre Bedeutung klarer hervortritt und wie ein Pfeil ins Herz trifft.
Hetze, um diesen Unterschied deutlich zu machen, nimmt indes einen vorgeblichen Sachverhalt und überspitzt diesen dann, so dass überhaupt keine wahre Bedeutung übrig bleibt. Und, mit beidem nicht zu verwechseln, man findet auch religionskritische Kunst, wie beispielsweise den von Martin Kippenberger ans Kreuz genagelten Frosch.
Es gibt natürlich tief religiöse Menschen, die sich weder von Hetze noch von Kunst oder gar Humor persönlich beleidigt fühlen. Das liegt dann meistens an Intellekt, Warmherzigkeit und Großmut, die man, allen Hoffnungen der orthodoxen Atheisten zum Trotze, auch bei Gläubigen jeglicher Couleur finden kann.
Und somit kommen wir also wieder zurück zu unserer eingangs erwähnten Google-Anfrage. Warum haben wir so viel mehr Treffer bei der Verknüpfung »Satire+Islam«, wenn diese Religion am wenigsten Humor verträgt?
Mir fällt auf, dass derzeit die gesammelten Kommentare in europäischen Medien, die sich mit eben diesem Thema »Was darf Satire« auseinandersetzen, eine Einsicht vermissen lassen: Die Empörung über die Zeichnungen und der Anschlag auf Charlie Hebdo haben überhaupt nichts mit Satire zu tun! Das »Verbrechen« war die Darstellung des Propheten, wie, ist offensichtlich egal. Die Empörung ist die gleiche, egal ob nun Mohammed als verzeihender, menschlicher, fühlender Prophet dargestellt wird oder als auf dem Klo sitzender. Das aktuelle Charlie Hebdo-Titelblatt ist keine Satire, ja, noch nicht einmal wirklich eine Karikatur – denn dazu müsste man ja wissen, wie Mohammed tatsächlich ausgesehen hatte: eine Karikatur überzeichnet ein Original!
Dieses Bild aber hat im Kern eine unglaubliche Tiefe und liebende Kraft – und es sind letztlich unsere Gedanken zu den Geschehnissen, die ihm Satire zueignen: Weil wir uns einen liebenden, trauernden und vergebenden Mohammed nicht mehr vorstellen können – und allzu viele Muslime offenbar auch nicht.
Es ist ein Vexierspiel, denn es wird erst durch den Betrachter zur Satire, so wie diese gezeichneten Spiralen erst durch das Anstarren Dreidimensionalität bekommen. Die Aussage des Titelblatts ist nicht satirisch, aber es ist eben eine Comicfigur, in Ermangelung der Kenntnis des wahren Aussehens Mohammeds. Ich bin überzeugt, dass es bei einem ernsthaften Konterfei des Religionsgründers mit Träne und den Worten »Alles vergeben!« in Öl auf Leinwand nicht weniger Ärger gegeben hätte. Und das, obwohl der Koran kein Bilderverbot kennt; das kam erst viel später in diese Religion.
Und wenn man die Sache so betrachtet, merkt man, dass die Empörung nichts weiter als ein Marketinggag der Fundamentalisten ist.
Und er funktioniert. Das sagt uns die Google-Trefferquote.