Das EU-Überwachungssystem Eurosur

Lasst die Schiffe durch

In die satellitengestützte Überwachung der EU-Außengrenzen werden nun auch »Drittstaaten« eingebunden. Die Routen für Flüchtlinge werden noch gefährlicher.

Gerade war »Lügenpresse« zum Unwort des Jahres 2014 erkoren worden, als Ende Dezember mit »Geisterschiffe« eine ähnlich krude Wortschöpfung die Schlagzeilen bestimmte. Gemeint waren die beiden ausgemusterten Frachtschiffe »Ezadeen« und »Blue Sky M«, die mit rund 1 300 vorwiegend syrischen Geflüchteten beladen, Kurs auf Italien genommen hatten. Die Schiffe stachen vermutlich im türkischen Mersin in See, etwa 100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Glaubt man Medienberichten und Meldungen der EU-Grenzagentur Frontex, hat sich die Hafenstadt zum Zentrum der kommerziellen Fluchthilfe in die Europäische Union entwickelt. Eine Überfahrt lässt sich demnach bequem über Facebook buchen. Sicher ist sie obendrein: Zwar kommen Schiffe zum Einsatz, die eigentlich abgewrackt werden sollen. Im Gegensatz zu den sonst häufig genutzten Schlauchbooten sind sie aber seetüchtig und nicht überladen. Beim Erreichen europäischer Gewässer hatten Kapitän und Besatzung die Brücke verlassen und die Steuerung auf Autopilot gestellt. Aus gutem Grund, denn bei Ergreifung werden die Fluchthelfer als »Schlepper« vor Gericht gestellt, es drohen hohe Haftstrafen. Als Kapitän der »Blue Sky M« wurde der Syrer Sarkas Rani identifiziert, der mit seiner Familie an Bord war und nicht für die Überfahrt zahlen musste. Nun wird ihm der Prozess gemacht.

Jedoch ist der Spuk in Mersin erst einmal vorüber. Seit Dezember verhindert die türkische Küstenwache alle weiteren Abfahrten großer Schiffe aus der Region. Vorausgegangen war diplomatischer Druck aus der EU, die Angelegenheit war sogar Thema beim Gipfel der EU-Innenminister. Dutzende ausgemusterte Schiffe in türkischen und nordzypriotischen Häfen stehen nun unter besondererer Beobachtung. Türkische Behörden erhalten außerdem Informationen aus der Satellitenaufklärung, die das neue EU-Grenzüberwachungssystem Eurosur liefert. Es ist nach jahrelanger Aufbauphase mittlerweile voll betriebsbereit. Ziel ist, Boote mit Geflüchteten möglichst schon bei der Abfahrt aus Asien und Afrika aufzuhalten, damit sie nie die Gewässer von EU-Mitgliedstaaten erreichen.
Eigentlich dürfen an Eurosur nur EU-Mitglieder teilnehmen. Um aber auch die Länder des »arabischen Frühlings« in die Migrationsabwehr zu integrieren, errichtet die spanische Regierung unter dem Namen »Seepferdchen« regionale Netzwerke für die Überwachung des Atlantiks und des Mittelmeers. Zuerst hatte Libyen vor drei Jahren eine Erklärung unterzeichnet, wonach es an »Seepferdchen Mittelmeer« mitarbeiten und sogar Verbindungsbeamte nach Europa entsenden will. Ägypten, Tunesien und Algerien sollen nach dem Willen der EU-Innenminister ebenfalls an den Überwachungsnetzwerken teilnehmen.

Im Falle der unerwünschten Einreise aus der Türkei zeigen sich aus Sicht von Frontex erste Erfolge. Nicht nur die Einreisen über die griechischen Inseln der Ägäis gehen zurück, auch neue Zaunanlagen in Griechenland und Bulgarien erweisen sich als erfolgreich. Migration lässt sich aber nicht mit Überwachung und Kontrolle verhindern. Stattdessen suchen sich die Betroffenen neue Wege, die mitunter ein höheres Risiko bedeuten. Im Falle der Türkei versuchen Geflüchtete aus Syrien nunmehr über das Schwarze Meer nach Bulgarien oder Rumänien zu gelangen. Anfang November sank im Bosporus ein Schiff mit 40 Afghanen, mindestens 24 von ihnen starben.
Seit Anfang des Jahres starben bereits Hunderte Menschen im Mittelmeer, sie sind auf der Flucht ertrunken oder erfroren. Das von Italien finanzierte Seenotrettungsprogramm »Mare Nostrum« wurde eingestellt. Übernommen hat die deutlich schlechter ausgestattete Frontex-Operation »Triton«; deren Patrouillen überwachen nur Gebiete, die bis zu 30 Meilen vor der italienischen Küste liegen. Grausam sind also nicht »Geisterschiffe« oder »Schlepper«, sondern eine Migrationspolitik, die immer risikoreichere Routen mit mehr Toten erzwingt. Die Forderung muss daher lauten, für Geflüchtete sichere Korridore zur Einreise in die EU einzurichten.