Der Roman »Catfish«

It ain’t me Babe

In »Catfish« macht sich Maik Brüggemeyer auf die Suche nach Bob Dylan. Finden aber kann den Meister niemand.

Du denkst wie ein Musikjournalist. Du versuchst ihn auf etwas festzunageln, das oder der er vielleicht früher mal war. Er hat mal dies und das gemacht, also ist er so und so. Das funktioniert nicht.« Dieses Zitat aus Maik Brüggemeyers »Catfish. Ein Bob-Dylan-Roman« steht paradigmatisch über dem ganzen Projekt. Denn Bob Dylan, oder besser gesagt die von ihm gespielte Kunstfigur, ist von einem schier undurchdringlichen Nebel aus Mythos, Legende und Projektionen umgeben und kaum zu fassen. Mit all der Sekundärliteratur, den Promotionen und Habilitationsschriften zu seinem Werk und seiner Person könnten ganze Bibliotheken bestückt werden. Und jedes Jahr aufs Neue wird er als Anwärter für den Literaturnobelpreis gehandelt.
Kontinuierlich tourt Bob Dylan mit seiner Band durch die Welt und gibt mindestens 100 Konzerte jährlich, davon drei bis vier auch in der Bundesrepublik. Immer wieder das gleiche Ritual, ob in München, Leipzig, Hamburg oder Berlin: Punkt 20 Uhr gehen die Saallichter aus und während die Musiker im Dunkeln auf die Bühne zu ihren Instrumenten schreiten, verkündet eine Stimme aus der Konserve: »Ladies and gentlemen, please welcome the poet laureate of rock ’n’ roll. The voice of the promise of the 60s counter-culture. The guy who forced folk into bed with rock. Who donned make-up in the 70s and disappeared into a haze of substance abuse. Who emerged to find Jesus. Who was written off as a has-been by the end of the 80s, and who suddenly shifted ­gears releasing some of the strongest music of his career beginning in the late 90s. Ladies and gentlemen – Columbia recording artist Bob Dylan!«
Was für ein ironisches Schelmenstück, die ganzen Klischees, Schlagzeilen und die Kritik als Ankündigung des eigenen Auftritts zu zitieren. Der kleine Mann mit viel zu großem Hut bewegt sich linkisch, versucht mal probeweise tänzelnde Schritte, wiegt sich andeutungsweise, aber falsch im Rhythmus und krächzt die Texte seiner weltbekannten Songs in immer wieder neuer Phrasierung und veränderter Melodik ins Mikrophon. Soweit ist das alles bekannt, tausendfach beschrieben, kopiert und zitiert, weshalb von 100 Artikeln geschätzt nur einer halbwegs neue und interessante Beobachtungen bietet. So wie der Begriff »Never Ending Tour« in keinem Konzertbericht fehlt, so wird auch die Flut an neuen Büchern über Person, Werk und Mythos Dylans meist nur um Plattitüden ergänzt. Die klugen Analysen von Dylans Werk, verfasst von Greil Marcus oder Michael Gray, der mit seinem bereits 1972 veröffentlichten Buch »Song- and Danceman« Maßstäbe setzte, oder Sam Shepard und Larry »Ratso« Slowman mit ihren autobiographischen Büchern über die wichtige »Rolling Thunder Revue«, sind da kaum zu übertreffen.
Es ist wie verhext, immer wenn die Dylanologen glauben, einen Hinweis zu seinem Leben ergattert zu haben, entpuppt er sich als falsche Fährte, die Dylan zuvor schelmisch selber gelegt hat. Erwähnt Dylan wie 2006 in »Thunder on the Mountain« auf der CD »Modern Times« die Sängerin Alica Keys, fragen sich einfältige Geister sofort, was das zu bedeuten habe und ob vielleicht … von Kaffeesatzleserei ist das alles nicht weit entfernt. Brüggemeyer hält sich davon wohltuend fern und erwähnt nur ab und an besonders schöne Anekdoten.
Somit hat der 1976 in Westfalen geborene Autor, ein ausgewiesener Kenner des Dylanschen Œuvres, gut daran getan, sich gar nicht erst der real existierenden Person und ihren Lebensumständen nähern zu wollen. Denn seit dem so hinreißend schön und traurig besungenen Beziehungsende mit Sara Lowndes in »Blood on the Tracks« weiß eigentlich keiner so genau, mit wem Dylan zusammen ist und wo er residiert. Folglich vergisst Brüggemeyer auch nicht den Hinweis einzufügen: »Alle beschriebenen Begegnungen sind frei erfunden.«
Der Protagonist in »Catfish« ist stark an die Biographie des Autors angelehnt, er ist ebenfalls Musikjournalist. Zu Beginn schildert er sein Erweckungserlebnis zu Schulzeiten, als er auf Dylans Werk aufmerksam wurde, und gibt einen Einblick in die Szene der Dylanologen mit ihren Kongressen und Symposien, die von den Experten nicht selten mit paternalistischer und wichtigtuerischer Arroganz beherrscht wird. Schon zu Beginn des Romans legt der Autor klug eine Fährte zu der folgenden Schnitzeljagd durch die USA aus. Mit Verweis auf den amerikanischen Literaturwissenschaftler Leslie A. Fiedler mutmaßt er nämlich: »Man könnte Dylan einen amerikanischen Lebenskünstler nennen, der das Leben als Kunstform begreift, es nach seinen Interessen und Intuitionen inszeniert, narrativ durch allerlei Äußerungen unterfüttert und allen Wandlungen so eine Wahrheit und existentielle Dringlichkeit verleiht.«
Interessanterweise hat Brüggemeyer seinen Roman nach einem eher mediokren Song benannt. »Catfish« ist die Hommage an den legendären Baseballspieler James August Hunter bei den New York Yankees, der von seinen Fans »Catfish« genannt wurde. Der Song stammt aus Dylans Zusammenarbeit mit Jacques Levy bei der Albumproduktion von »Desire«, wurde aber erst auf dem Bootleg Nr. 3, 1991, veröffentlicht. Er erzählt die Geschichte Hunters als amerikanischen Traum, in dem der arme Landarbeiter zum gefeierten und reichen Million-Dollar-Man aufsteigt.
Brüggemeyers Protagonist trifft auf seiner Reise viele merk- und denkwürdige Leute, die in dylanesquer Weise Sätze von sich geben und in Songzitaten kommunizieren. Geheimnisvolle Figuren, Weltenerklärer in unterschiedlichen Verkleidungen und Fassaden, eben wie Dylan selber. Ein Obdachloser im Central Park führt seine mit einer Rolle Zündblättchen statt Farbband bestückte »In-den-Wind-Schreibmaschine« vor, die ursprünglich mal dem amerikanischen Autor William Carlos Williams gehört habe, und auf der Erlebnisse verewigt werden, um sie zu vergessen. Die Suche führt weiter über viele Stationen wie den Club »Bitter End« im Greenwich Village, den ihm ein Hipster namens Pat empfiehlt. Hier könne er jemanden treffen, auf den die Beschreibung Dylans passe. Er spiele dort ab und an Schach mit dem alten Folkie Erik Frandsen, der im Übrigen die Slidegitarre auf »Catfish« spielte.
Es macht Spaß, Brüggemeyer dabei zu folgen, wie er kenntnisreich und spielerisch die Themen inszeniert, Linien zieht und peu à peu ein feines Netz spinnt. Ähnlich wie Todd ­Haynes in dem grandiosen Film »I’m Not There« arbeitet sich Brüggemeyer anhand von Dylans entworfenen Selbstbildern und Projektionen vor. Wer Dylan beim Fabulieren seines Lebensromans zuschauen möchte, kann das in Martin Scorseses Film »No Direction Home« tun.
Am nächsten kommt Brüggemeyers detektivischer Musikjournalist dem gesuchten Mythos in Paterson, New Jersey, wo sich die Lebenslinien von Allen Ginsberg, William Carlos Williams und Rubin »Hurricane« Carter kreuzen. Dort trifft er auf einen Zirkus mit einer minstrel- ähnlichen Show inklusive Musik, Zauberei und Kleinkunst. Eine deutlicher Hinweis auf das Cover der »Basement Tapes«, die Dylan und The Band in einer an die Filme Federico Fellinis erinnernden Inszenierung mit Artisten zeigt.
»Je länger mein Trip hinter mir liegt, desto mehr kommt es mir vor, als wäre dieser Bob Dylan, den ich traf, gar keine Person gewesen, sondern tatsächlich ein Land – oder vielmehr: eine Bewegung durch ein Land.« So lautet das Resümee. Doch der Weg ist das Ziel. Und auch die Dylan-Fans unternehmen eine permanente Reise durch sein Werk. Sie sind Vertreter einer besonderen Spezies, die hartgesotten sein muss, um alle Wendungen, Verirrungen und Entgleisungen ihres Meisters den vor Unkenntnis strotzenden Zeitgenossen zu erklären. Es gab Zeiten, da ernteten die Bewunderer Dylans nur müdes und mitleidiges Lächeln, bis dann doch wieder eine geniale Platte erschien und der Fan nicht nur sicheren Boden unter die Füße bekam, sondern sich stolz als treuer Anhänger präsentieren konnte, der es ja schließlich schon immer gewusst hatte. »Shadows in the Night«, die jüngste Veröffentlichung Dylans, die Interpretationen von Frank-Sinatra-Songs enthält, lässt freilich die wohlmeinende Klientel mindestens so ratlos zurück, wie es seine Kritiker voller Verachtung verdammen.
Da kommt Maik Brüggemeyers Reise in das mythologische Land Bob Dylans gerade recht. Labsal für die verletzten Seelen, die hier der ganzen Größe ihres Idols nachspüren können.

Maik Brüggemeyer: Catfish. Ein Bob-Dylan-Roman. ­Metrolit, 2015, 260 Seiten, 22 Euro