Sonntagszeitung

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Im Rummel der permanent erweiterten Selbstausbeutung des Bildungsprekariats verliert Zeit, als rhythmisierte Lebenswirklichkeit, immer mehr an Bedeutung: Powerpoints lassen sich genauso gut in der Ingwerteestube oder in der Sauna zusammendengeln, und was Freizeit, Feiertag oder Nachtruhe ist, unterliegt ganz der eigenen Willkür beziehungsweise der eigenen Schmerzgrenze – egal, ob man Arbeit hat oder nicht. Nur der Sonntag sticht noch heraus, der Macht der beiden Amtskirchen geschuldet, und so strukturiert der postchristliche Bürger seine Zeit an ihm entlang, so gibt es also noch Sonntagsbrunches, -raves und -masernpartys, allein dem Zwang zur Arbeitslosigkeit geschuldet. Auch die Medienlandschaft wächst dem Sonntag entgegen: Spiegel und Stern sind jetzt de facto Sonntagsblätter, und wo sonst die Presse allmählich verwelkt, blühen die Sonntagszeitungen, allen voran die Frankfurter Allgemeine. Der politische Teil der FAS gerät dabei seit Jahren nach demselben Rezept: Ein bis zwei Geschichten über doofe Linke (alternativ: ein Wagenknecht-Interview), ein tieffühlendes Porträt eines CDU-Mannes, eine spannende Nacherzählung aus dem Ausländer- oder Kanzlerinnenmilieu, ein kurioser Mordfall, eine Reportage über Pädophile (gelegentlich auf derselben Seite wie ein Bericht über Homo-Propaganda). In diesem Miasma aus verdrängten Trieben, Tatort-Romantik und der Skandalisierung des Tatbestands, dass es in diesem Land noch ein paar zerzauste Linke gibt, deren Phantasie nicht beim Mindestlohn aufhört, verknuspert er sein Sonntagscroissant, der Bildungsprekarier jedweden Einkommens, denkt wenig und hofft, dass mit dem Montag die Zeitlosigkeit, die Ewigkeit wieder anfängt. Den Pädo-Homo-Krimi-Sonntag tragen sie dabei stets im Gemüte.