Neue Sicherheitsgesetze in der Türkei

Schneller schießen

Mit neuen Sicherheitsgesetzen will die türkische Regierung ihre autoritäre Wende juristisch absichern.

Die Bilder von prügelnden Abgeordneten im türkischen Parlament sorgten Ende Februar für Schlagzeilen in der internationalen Presse, auf Twitter witzelte man über den parlamentarischen »#fightclub«. Zuvor hatte die Opposition versucht, die Parlamentsdebatte über die neuen Sicherheitsgesetze durch Redebeiträge und formale Tricks in die Länge zu ziehen. Nach einem Wortgefecht zwischen Opposition und Regierungspartei griffen die AKP-Parlamentarier an, fünf Oppositionsabgeordnete wurden dabei verletzt.
Mittlerweile ist man wieder bei verbalen Auseinandersetzungen. Die neuen Sicherheitsgesetze bleiben umstritten und werden ein zentrales Thema im kommenden Wahlkampf sein. Zudem hat die prokurdische Oppositionspartei HDP die Revision der Sicherheitsgesetze zu einer ihrer Forderungen im Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK gemacht. Politikerinnen und Politiker der HDP haben in den vergangenen Tagen wiederholt, dass ohne eine – zumindest teilweise – Rücknahme der Sicherheitsgesetze der Friedensprozess scheitern werde. Diese Äußerungen sind auch eine Reaktion auf die Kritik von linken und linksradikalen Gruppen und Parteien, die der HDP vorwerfen, der Regierungspartei AKP den Rücken freizuhalten. Um Stimmen aus dem linken Lager zu gewinnen, muss die HDP diesen Verdacht von sich weisen.

Die neuen Sicherheitsgesetze sichern die autoritäre Wende der AKP, die seit einigen Jahren zu beobachten ist, juristisch ab. Insgesamt erhält die Polizei mehr Befugnisse, repressiv gegen Proteste und Opposition vorzugehen. Die Polizei darf in Zukunft ohne Einschränkung Personen und Fahrzeuge durchsuchen und zudem ohne Absprachen bis zu 48 Stunden lang Kommunikation abhören. Personen dürfen bis zu 48 Stunden festgehalten werden, ohne einem Haftrichter vorgeführt zu werden. Weil es weder eine richterliche oder sonstige Kontrolle über die Polizeieinsätze noch ein Beschwerdeverfahren gegen möglicherweise unrechtmäßige Einsätze gibt, ist der politische Missbrauch bereits programmiert. Problematisch ist eine weitere Bestimmung, wonach die Polizei – ebenfalls nach Gutdünken – Menschen »entfernen« und »festhalten« kann, wobei es unklar ist, wo die »entfernten« Personen »festgehalten« werden – und was überhaupt dieses »Festhalten« genau meint. Diese Befugnisse sind verdachts- und anlassunabhängig. Daneben sind weitere Bestimmungen geplant, die sich gegen wehrhafte Protestierende richten. So ist eine Haftstrafe bis zu fünf Jahren vorgesehen, wenn man bei einer Demonstration eine Schleuder oder Feuerwerkskörper mit sich führt – der bloße Besitz reicht. Ebenfalls fünf Jahre Haft drohen für Vermummung bei Demonstrationen. Das Tragen von Symbolen von »illegalen Organisationen« wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.

Besonders umstritten ist die neue Bestimmung, nach der die Polizei die Erlaubnis erhält, Schusswaffen gegen Demonstrierende einzusetzen, die Brandsätze, Sprengstoff, brennbare Stoffe oder sonstige »verletzende Waffen« tragen oder benutzen. Diese lange Liste trifft auf zahlreiche Gegenstände zu, die keine unmittelbare Gefahr darstellen und so eigentlich keinen Schusswaffeneinsatz durch die Polizei notwendig machen, etwa bengalisches Feuer oder Fahnenstangen aus Metall. Die neue Bestimmung dürfte die Anzahl von Menschen, die bei Demonstrationen durch Polizeieinsätze getötet werden, deutlich steigern. Dabei werden bereits jetzt immer wieder Protestierende von der Polizei getötet, wie etwa bei den Kobanê-Unruhen im Oktober 2014, bei denen über 40 Menschen starben.
Wie intensiv die AKP-Regierung die neuen Polizeibefugnisse gegen die Opposition einsetzen wird, ist noch unklar. Dies ist eine politische Frage. In Kombination mit Informationen von Whistleblowern wie Fuat Avni, denen zufolge die AKP-Regierung bei den Parlamentswahlen im Juni auf massive Wahlfälschung zurückgreifen könnte, ergibt sich ein eher düsteres Szenario.