Ndao Mzimela und S´bu Zikode im Gespräch über die Kämpfe der Bewohner von informellen Siedlungen in Südafrika

»Wir werden uns wehren«

In Südafrika lebt immer noch fast ein Drittel der Bevölkerung in informellen Siedlungen. Der seit gut 20 Jahren regierende African National Congress (ANC) versteht sich als einziges legitimes Sprachrohr der Armen. Versuche von Landlosen, Arbeiterinnen, Arbeitern und Arbeits­losen, sich selbst zu organisieren, werden häufig mit brutaler Repression beantwortet. Die Jungle World sprach darüber mit Ndabo Mzimela und S’bu Zikode von Abahlali base­Mjondolo (AbM), der größten Basisorganisation von Bewohnerinnen und Bewohnern informeller Siedlungen in Südafrika. Die Mitglieder kämpfen für Wohnraum, Grundversorgung und gegen Räumungen und staatliche Repression.

2014 hat Südafrika den 20. Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen gefeiert. Was heißt es, im »neuen Südafrika« arm zu sein?
Mzimela: »Demokratie« ist nur ein schöneres Wort für unsere Unterdrückung heute, um Loyalität zur herrschenden Klasse herzustellen. Wir sind von den politischen Prozessen, in denen auch über unsere Lebensumstände entschieden wird, noch immer ausgeschlossen. Wir leben immer noch in Hütten, weil sich das grundlegende System nicht geändert hat. Die Leute denken, dass die Menschen in informellen Siedlungen dumm sind und man sie nicht ernst nehmen kann. Wir sagen immer, dass wir nicht arm sind, sondern dass der Kapitalismus uns arm gemacht hat. Wir sind doch diejenigen, die Städte wie diese hier gebaut haben.
Wie sieht das Leben eines shack dwellers, eines »Hüttenbewohners«, in Südafrika aus?
Mzimela: Wir haben weder fließend Wasser noch Toiletten oder Elektrizität. 2 000 Menschen teilen sich eine Toilette und wir benutzen Paraffinöfen, deshalb gibt es häufig Brände, da viele Hütten aus leicht brennbaren Materialien bestehen. Die Menschen legen sich selbst Strom- oder Wasseranschlüsse, Strom zu haben verleiht einem ein Gefühl von Würde. Die Häuser des RDP (staatliches Wohnbauprogramm, Anm. d. Red.), die von der Regierung gebaut werden, bekommen Personen mit Verbindungen zum ANC zugeschanzt.
Wovon leben Sie?
Mzimela: Ich lebe von 1 600 Rand (122 Euro) im Monat. Manche von uns zahlen auch Miete. Wir arbeiten häufig aushilfsweise oder als Leiharbeiter. In Cato Crest in Durban, wo ich lebe, arbeiten viele in den Textilfabriken in der Nähe oder als Gärtner. Deshalb leisten wir auch Widerstand gegen Räumungen informeller Siedlungen, denn wenn wir die Stadt verlassen müssen, finden wir keine Arbeit und haben nichts zum Leben.
Was sind die wichtigsten Ziele von AbM?
Mzimela: Wir kämpfen für Gerechtigkeit, Würde und Gleichheit in unserer Gesellschaft. Mit Gleichheit meinen wir gleichen Zugang zu Gütern, Unterkunft und sanitären Einrichtungen. Ohne Land hast du keine Würde, denn wenn ich ein Haus kaufe, das auf Land steht, das einem anderen gehört, dann kann der Eigentümer in fünf Jahren ankommen, weil er dort etwas bauen will. Das gilt auch für die RDP-Häuser. Das Land gehört der Regierung und die kann dich einfach umsiedeln.
Welcher Mittel bedienen Sie sich in Ihren Kämpfen?
Mzimela: Die Gruppen vor Ort treffen sich einmal im Monat. Wenn es nötig ist, gehen sie auf die Straße, verbrennen Autoreifen, bauen Straßenblockaden und machen Sit-ins, um Politiker zu zwingen, unsere Memoranden entgegenzunehmen oder wegen der Ermordung unserer Genossen ernsthafte Ermittlungen aufzunehmen. Politiker nehmen so etwas als Erniedrigung wahr, auf diese Weise können wir sie zwingen, uns ernst zu nehmen.
Wir organisieren uns in lokalen Basisgruppen, die autonom entscheiden. Die Vorsitzenden haben keine Entscheidungsgewalt. Wir sagen normalerweise, dass eine Basisgruppe mindestens 50 Mitglieder haben muss, bevor sie Abahlali beitreten kann. Wir haben auch Mitgliedskarten. Wir können nicht behaupten, dass wir alle Bewohner informeller Siedlungen repräsentieren, denn es gibt auch Menschen, die Ideologien aufsitzen, die denken, dass in einer Hütte zu wohnen eben das Los ist, das Gott ihnen gegeben hat.
Sie sind massiver Repression ausgesetzt. 2014 wurden drei Mitglieder von Abahlali base­Mjondolo erschossen und Sie erhalten regelmäßig Morddrohungen aus dem Umfeld lokaler ANC-Strukturen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Mzimela: Es existieren Todeslisten, auf denen Mitglieder von AbM stehen, und es wird mehr Tote geben. Wir fordern ordentliche Ermittlungen und verfassen offene Briefe mit internationalen Solidaritätsadressen. Außerdem veröffentlichen wir Pressemitteilungen, aber bislang hat es noch nie Festnahmen gegeben, nur weitere Drohungen. Der ANC behauptet, wir seien Terroristen, die die Macht an sich reißen wollen, und dass wir seine Herrschaft destabilisieren wollen, indem wir Menschen aus ländlichen Gegenden in die Städte bringen.
Sie haben in der Vergangenheit den Slogan »No land, no house, no vote« verwendet, aber bei den letzten Parlamentswahlen im April 2014 haben Sie zur Wahl der größten Oppositionspartei, der liberalen Democratic Alliance (DA), aufgerufen. Warum?
Mzimela: Nach all der Gewalt, der wir vonseiten des ANC ausgesetzt waren, wollten wir verhindern, dass der ANC eine Zweidrittelmehrheit erhält, die es ihm erlaubt, die Verfassung zu ändern. Die Verfassung schützt uns in gewissem Maße, zum Beispiel gegen Räumungen. Uns ist es grundsätzlich egal, wer an der Macht ist – wenn gegen unsere Interessen gehandelt wird, werden wir uns wehren. Mit der DA hätten wir andere Feinde an der Macht, aber sie werden uns wenigstens nicht umbringen.
Zikode: Es macht keinen Unterschied, ob wir von einem Elefanten oder einer Schlange regiert werden – wir werden darauf bestehen, dass nichts, was uns betrifft, über unsere Köpfe hinweg entschieden werden darf. Die Entscheidung, DA zu wählen, wird wenig verändern, aber man kann sie wenigstens zur Verantwortung ziehen, das heißt, unser Aufruf, die DA zu wählen, war taktisch motiviert.
Sie beziehen sich in Ihren Kämpfen auf die Verfassung, aber die Verfassung schützt gleichzeitig den Status quo, etwa das Privateigentum. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?
Mzimela: Die Verfassung schützt sowohl Menschen, die richtig handeln, als auch solche, die falsch handeln. Wir berufen uns auf Abschnitt 26 der südafrikanischen Verfassung, denn dort heißt es, wenn eine Person 48 Stunden in einem Gebäude verbracht hat und nachweisen kann, dass sie dort lebt und schläft, kann sie nicht ohne richterlichen Beschluss geräumt werden. Wir gehen vor Gericht, damit wir nicht geräumt werden können, ohne dass uns alternativer Wohnraum angeboten wird, der in Reichweite der Stadt und in besserem Zustand als der vorherige ist. Das heißt, wir nutzen die Gerichte und die Verfassung strategisch.
Eine der Landbesetzungen, in denen Sie aktiv sind, heißt Marikana, benannt nach dem Massaker in Marikana im August 2012, als die Polizei 34 streikende Bergarbeiter einer Platinmine ermordete. Wie sehen Sie Ihre eigenen Kämpfe im Verhältnis zu Arbeitskämpfen?
Mzimela: Die Bewohner haben ihre informelle Siedlung Marikana genannt, weil die Gewalt, die die Polizei und die Behörden in Marikana angewandt haben, auch alltäglich jenseits der Zentren des Bergbaus ausgeübt wird. Unsere Brüder in Marikana wurden umgebracht, weil sie für ihre Rechte gekämpft haben. Das haben unsere Kämpfe gemeinsam. Man kann das nicht trennen, unsere Kämpfe gehören zusammen.
Erhalten Sie Unterstützung von Organisationen aus anderen Bereichen, zum Beispiel von Gewerkschaften?
Zikode: Das ist eine schwierige Geschichte. Wenn Cosatu (der größte südafrikanische Gewerkschaftsverband, Anm. d. Red.) zu Demonstrationen aufruft, laden die Gewerkschafter uns gerne ein, damit wir Masse bilden. Aber wenn wir Ärger haben, kommen keine Solidaritätsbekundungen oder sonst irgendetwas von ihnen.
Sie sind sehr kritisch gegenüber NGOs. Warum?
Zikode: Die Erfahrung, die wir mit NGOs gemacht haben, ist, dass sie uns benutzen. Sie geben uns Geld und technische Unterstützung und wollen dann für uns denken und uns sagen, wie wir handeln sollen. Sie glauben, dass wir nicht selbständig denken können. Die Regierung und die NGOs meinen: ›Ein armer Mensch kann nicht denken. Denn wenn du nichts zu essen hast, kannst du nur an die nächste Mahlzeit denken.‹ Und sogar manche Professoren glauben, sie müssten für uns denken. Aber wenn wir wieder einmal geräumt werden, sind sie nicht da. Und sagen später, wir brauchen politische Bildung.