»Ausprobiert«, Teil 5: Kegeln

Der Sport zum Jägerzaun

Von Enno Park

»Ausprobiert«, eine Serie über Sportarten, die unsere Autorinnen und Autoren als Kinder geliebt oder gehasst haben – oder die sie schon lange im Fernsehen faszinieren. Teil 5: Kegeln. Eine Sportart, die nicht zu Unrecht als Breitensport gilt.

Meine Freunde haben eine Kegelbahn in Berlin-Wedding reserviert. Ausgerechnet Kegeln, der Sport zum Jägerzaun und Dackel. Höre ich das Wort »Bundeskegelbahn«, denke ich unwillkürlich an die holzgetäfelte Vereinsheimspießigkeit der westdeutschen Nachkriegszeit. Leider kannten die Freunde mein dunkles Geheimnis: Ich war als Kind mal in einem Kegelverein. Da war ich so um die zehn Jahre alt. Ein Schulfreund hatte mich mitgenommen und mir hatte es tatsächlich Spaß gemacht. Das war wirklich bemerkenswert, wenn ich bedenke, dass ich zu denjenigen Menschen gehöre, die Sportunterricht hassten und bis heute mit jeder Art von Sportlichkeit auf dem Kriegsfuß stehen. Die Kegelbahn meiner Kindheit befand sich in einem freundlichen, modernen Gebäude, das gar nichts von der eingangs erwähnten Miefigkeit hatte. Wir kamen einmal die Woche, wechselten in unsere Sportklamotten und ließen uns von unserem Jugendtrainer die Technik erklären: drei Schritte Anlauf, sowas ähnliches wie eine halbe Hocke, damit der ausgestreckte Arm knapp über dem Boden ist und die Kugel möglichst gerade auf die schmale, gewölbte Bahn setzen kann. Ich glaube, mir hatte das damals deshalb gefallen, weil ich offiziell behaupten konnte, dass ich einen Sport ausübe, der sich für mich gar nicht wie Sport und die damit einhergehenden Zumutungen und Erniedrigungen anfühlte.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich in dem Verein Mitglied war (nicht sehr lange), und überhaupt erinnere ich mich nicht mehr an besonders viele Details, außer dass ich beim Weihnachtskegeln Vereinsmeister im Liegestütz-Kegeln wurde und einen Fußball mit den Autogrammen der damaligen Fußballnationalmannschaft gewann, der mir wenig später geklaut wurde. Als ich ihn zurück bekam, war er abgewetzt und wertlos, weil damit gebolzt worden war. Ein Fußball hatte mir das Herz gebrochen. Und ich lernte, dass es Vorteile für den Seelenhaushalt hat, sich emotional nicht dem Fantum hinzugeben.
Zum Glück gibt es beim Kegeln keine Fans oder gar Hooligans, dafür aber einen Verein mit Kegelbahn in jedem Dorf. Ab der Kreisstadt aufwärts ist es dann meist eine »Bundeskegelbahn«, was bedeutet, dass die Bahn genormt und von Sachverständigen abgenommen wurde, so dass sich Turniere auf ihr spielen lassen. Außerdem gibt es dann Umkleiden und Duschen, schließlich geht’s um Sport.
Umgekleidet oder nicht, die Deutschen lieben das Kegeln wie ihre Klassik – schließlich waren bereits Goethe und Schiller begeisterte Kegler. Wann und wo genau der Sport erfunden wurde, ist unklar, aber die ältesten Darstellungen sind über 5 000 Jahre alt und stammen aus Ägypten. Kultiviert wurde das Kegeln hierzulande aber erst im Mittelalter – und dann auch gleich wieder verboten, da es beim Kegeln weniger um den Sport ging als um die Wetten, die sich darüber abschließen ließen: Kegeln war vor allem ein Glücksspiel, bei dem die Teilnehmer sich um eine Menge Geld bringen konnten. Jahrhundertelang kam kein Jahrmarkt ohne Kegelbahn aus. Und Mönche, denen das Spiel eigentlich verboten war, kultivierten es als »Heidentöten«, bei dem die Kegel für Götzen und Dämonen standen, die es umzulegen galt.
Das ging so, bis die Gründerzeit kam und die Leute anfingen, für praktisch jede bekannte Sportart Vereine zu gründen, wie wir sie heute kennen. Wetten werden beim Kegeln seit damals keine mehr abgeschlossen, stattdessen gibt es heutzutage eine Bundesliga, die Turniere austrägt. Mehr als 170 000 Mitglieder hat der Deutsche Kegler- und Bowlingbund, der dieses Jahr ein rundes Jubiläum feiert: 130 Jahre Vereinskegeln in Deutschland. Während beim Spitzensport Mannschaften von sechs Personen auf mehreren Bahnen gegeneinander antreten und Punkte in langen Tabellen sammeln, bis ein Meister gekürt ist, geht es beim Freizeitkegeln mehr um Spaß – und der darf gerne derbe sein. Beliebt ist dort das Figurenkegeln: Die Kegel sind rautenförmig aufgestellt und wenn ganz bestimmte Kombinationen stehenbleiben, gibt das besonders viele Punkte oder zumindest eine Runde Schnaps. Bleibt beispielsweise nur der allervorderste Kegel stehen, nennt sich das ein »Pastörchen«. Bleiben alle stehen außer demjenigen genau in der Mitte, so handelt es sich um einen »Königsmord«. Und wer es schafft, genau so zu kegeln, dass nur die beiden vorderen Flanken der Raute stehen bleiben, hat einen »Kackstuhl gebaut«.
Zurück in den Wedding: Da stehen wir also und ich werde das erste Mal seit mehr als 30 Jahren kegeln. Die Bahn ist im Keller einer Kneipe, es riecht nach kalter Asche und schalem Bier. An der Wand hängt ein Hirschgeweih und wir werden im Verlauf des Abends das Bild komplettieren, indem wir Biertisch und Aschenbecher zum Überquellen bringen. Schon ist es wieder da, dieses Gefühl, einen Sport zu treiben, der sich nicht wie Sport anfühlt. Und in unserem Fall auch wenig mit Sport zu tun hat. Mit einer Hand oder mit beiden Händen, mit viel und wenig Anlauf oder einfach aus dem Stehen rollen meine Freunde ihre Kugeln, bis ich an der Reihe bin und versuche, mich an die vor vielen Jahren erlernten Bewegungsabläufe zu erinnern. Das ist gar nicht so einfach, unter anderem, weil mir die Anlaufstrecke viel zu kurz vorkommt. Schließlich bin ich kein Steppke mehr, sondern eins­achtzig. Verstohlen beobachte ich die andere Gruppe auf der Bahn nebenan, die gottseidank genauso lächerlich performt wie wir. Die Kegelbahn scheint ein Ort zu sein, wo man sich hemmungslos zum Horst machen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Um es kurz zu machen: Meine Freunde holen mit ihrem Dilettanten-Freestyle schamlos und fröhlich viele Punkte, während ich vollkommen ablose. Im krampfhaften Bemühen, auch ja die richtige Technik anzuwenden, setze ich die Kugel immer wieder in die Rinne. Und ein schöner Drall will mir überhaupt nicht gelingen. Entweder ich werfe die Kugel mit zuviel Wucht, so dass sie glatt durchschlägt und nur wenige Kegel mitnimmt, oder ich werde zu vorsichtig, wodurch die Kugel zu lasch einschlägt. Dabei wirft sie zwar mehr Kegel um, kann aber keine Kettenreaktion mehr auslösen. Ändere ich den Winkel, landet die Kugel in der Seitenrinne. Es ist zum Haare­raufen.
Aber hey: Dazu gibt’s Bier. Das hilft, langsam gewinne ich ein Gefühl für die Bahn und werde allmählich besser. Reihum kegeln wir, während ein Bier nach dem anderen geleert wird und der Raum irgendwann zugequarzt ist. Ob wir dabei einen »Königsmord« begehen oder einen »Kackstuhl« bauen, weiß ich gar nicht. Ich kann nicht drauf achten, weil ich eine Mission habe und das Feld langsam von hinten aufrolle. Hätten wir nur eine Runde mehr gespielt, hätte ich garantiert den Abend gewonnen (Standardspruch), schließlich hatten meine Freunde ja nur Anfängerglück. Am Ende bin ich aber nur Dritter. Während wir beratschlagen, wann wir die Bahn das nächste Mal mieten oder ob wir nicht doch lieber Bowling ausprobieren möchten, beschleicht mich ein gruseliges Gefühl. Das hat richtig Spaß gemacht. Muss ich jetzt Angst haben, dass doch noch Doppelhaushälfte, Dackel und Jägerzaun auf mich warten? Oder wird – gar nicht unwahrscheinlich – Kegeln der nächste große Hipstertrend in Berlin? Dann denke ich an »The Big Lebowski«: Ja, Kegeln kann genauso cool sein wie Bowling, und dazu lecke ich erotisch an der Kugel.