Braune Esoterik und Verschwörungsideologien

Der Wotan in uns

In allen Gesellschaftsschichten ist Esoterik angesagt. Das macht ihre Nähe zum rechten und verschwörungstheoretischen Gedankengut umso gefährlicher.

»Sie haben keine Bildung, aber auch keine Vorurteile«, schrieb der junge Friedrich Engels einmal voller Empathie über die englischen Arbeiter. Idealisierend, klar. Aber wahr ist auch, dass die gebildeten Klassen nicht notwendigerweise die aufgeklärtesten sind. Schauen wir uns in einem beschaulichen Eck des Berliner Bezirks Friedrichshain um. Hier scheint das Esoterikangebot im selben Maße zu wachsen, wie Mietspiegel und Bildungsgrad steigen.

Beginnen wir an der Büste des Pädagogen Comenius in der Nähe der Warschauer Straße. Kaum verlassen wir das Grün des kleinen Platzes, begrüßt uns schon ein Engelchen an der Tür einer Heilpraxis. Reiki, eine Art universelle Lebensenergie, wird hier per Handauflegen übertragen. Dies biete »einen Zugewinn an innerer Ruhe, Kraft und Gelassenheit für gestresste Menschen«, erfahren wir auf der Website der Praxis – vor allem Manager und Führungskräfte seien die Zielgruppe. Wer sich fragt, ob dieses Reiki oder spirituelle Qi überhaupt existiert, findet nur zehn Meter weiter die richtige Anlaufstelle: »Freiraum für neue Wissenschaften und geistige Existenz«, ist auf einem großen Schild zu lesen. Es scheint sich dabei um ein esoterisches Lokal alter Schule zu handeln, jedenfalls ist weder eine Eingangstür zu entdecken, noch erlauben die schmutzigen Fenster Einblick in das düstere Innere. Der Selbstdarstellung im Internet zufolge befindet sich darin ein Quantenphysiker, der »in den letzten 30 Jahren eine Grundlagentheorie erarbeitet (hat), mit der sich erstmals alle Kräfte, Teilchen und Vorgänge im Universum vollständig, direkt und einheitlich erklären lassen«.

Auf der anderen Seite des Platzes ist es moderner. Hier präsentiert ein Yoga-Studio »hoch effektive Yoga-Traditionen«, die Spezialität lautet »Hot Yoga«, auch Yoga-Reisen nach Indien werden angeboten. In der abzweigenden Kopernikusstraße geht’s zurück ins Mittelalter, hier könnte man sich von einer Malerin aus der Hand lesen lassen. Um die Ecke entdecken wir ein wahres Paradies alternativer Heilmethoden. Eine »Praxis für Ganzheitsmedizin« bietet Cranio-Sacral-Therapie, Ozon-Therapie und Eigenblutbehandlung an. Eine Heilpraktikerin daneben hat »diverse Thai-, Yoga- und Osteo-Pakete« im Angebot, die »auch für zuhause gebucht« werden können. Alles gegen Stress, logisch. Direkt gegenüber gibt es eine weitere Praxis für die alternative Medizinkonzeption Osteopathie. Wir lassen diverse Thai-Massage-Salons, Nagelstudios, den Attac-Treff und eine Erlebnishaarwäsche links liegen und schon befinden wir uns auf der Grünberger Straße. »Beauty & Spirit« gibt’s hier: »Reiki Wellness, Shamanic Reiki, spirituelle Pigmentierung, japanische/chinesische Astrologie, Seminare und Workshops«. Nebenan noch eine Naturheilpraxis für Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin, Yin und Yang mit Behandlung auf dem angeschlossenen Gutshof in Mecklenburg-Vorpommern.

Esoterische Vorstellungen und Praktiken haben sich in den vergangenen Jahren weit in der Gesellschaft verbreitet. Mitte der neunziger Jahre waren es noch vor allem linke Autorinnen und Autoren wie Peter Kratz oder Jutta Ditfurth, die vor dem damals relativ neuen Esoterik-Boom warnten. Sie bezogen die wundersamen Ideologien immerhin auf die gesellschaftliche Realität im Kapitalismus, allerdings verstanden sie die (Re-)Spiritualisierung wesentlich als Elitenprojekt, das »den Kapitalinteressen« nütze und die Köpfe der Menschen für eine neue Phase des Faschismus »zurichte«. Eine Perspektive, die die Ursachen für das esoterische Bedürfnis selbst ausblendete.

Dass Religion und Spiritualität im permanent krisenhaften Alltag durchaus ein »Mittel zur Alltagsbewältigung« (Maria Wölflingseder) darstellen, wurde und wird relativ selten thematisiert. Auch das Verzweifeln an bürgerlich-kapitalistischer Rationalität spielt eine Rolle. Wo alle qualitativen Unterschiede zugunsten des Werts ausgelöscht werden, schrieb Wolfgang Pohrt 1976, erscheine »die abergläubische Logik des Wilden, der dem Regengott opfert, um ihn zu versöhnen, neben den sinnverlassenen Kalkulationen des Wirtschaftswissenschaftlers als erhabene Vernunft«. Wie der Warenfetisch der Warenproduktion, so haftet esoterisches Denken der kapitalistischen Gesellschaft an.

Abzulehnen ist esoterisches, magisches, mythisches Denken freilich trotzdem: Nicht nur weil es als Kitt für das falsche Ganze dient, sondern auch wegen seiner Nähe zu antiemanzipatorischen bis neonazistischen Vorstellungen. Der Glaube an Schicksal und eine »ewige Ordnung«, die Betonung des Übersinnlichen, Unbewussten oder Naturhaften sind mit dem Versuch einer rationalen Einrichtung der Gesellschaft nicht vereinbar. So interpretierte der bei Esoterikern ungebrochen populäre Carl Gustav Jung 1936 den Erfolg der Nationalsozialisten als ein »Wiedererwachen« des nordischen Gottes Wotan. Wotan sei »eine germanische Urgegebenheit«, eine »Grundeigenschaft der deutschen Seele«. Die Deutschen seien deshalb weniger Handelnde als vielmehr »Erleidende« oder schlicht Gottergriffene.

Der Wunsch der rechtsextremen Esoteriker, in die Wälder Germaniens zurückzukehren, wird etwa am Sortiment des Versandhauses der »Deutschen Stimme«, dem Organ der NPD, deutlich. Da gibt es von Wurzelholzschalen, Feenfiguren, Thorhämmern bis Odin-Wanderstäben alles, was das regressive Herz begehrt. Neben dem Neopaganismus, der der jüdisch-christlichen Religion als weniger abstrakt, »natürlicher« oder »artgerechter« entgegengesetzt wird, hat auch die Ökologie eine lange Tradition in der rechten Szene. Neuheidentum und braune Ökologie finden sich heute in der Bewegung der »völkischen Siedler« zusammen, die in verwaisten ländlichen Gebieten einen »arischen« Lebensstil pflegen.

Auch zwischen Esoterik und Verschwörungsideologien besteht eine enge Beziehung. Man kann davon ausgehen, dass die allermeisten Esoteriker, sobald sie sich auf politisches Terrain begeben, in Verschwörungskategorien denken. Einzelne Beispiele wären der Buchautor Jan van Helsing und Ryke Geerd Hamer, der Erfinder der »Germanischen Neuen Medizin«. Als Scharnier funktioniert Wolfgang Wippermann zufolge der »Begriff der ›Ganzheitlichkeit‹«, der »ein einfaches und zugleich binäres Erklärungsmodell für alle Probleme der Welt« anbiete. So setzt das esoterische Denken in Gegensatzpaaren, in hell und dunkel, gut und böse oder Yin und Yang, eine hinter den Erscheinungen existierende kosmische Ordnung oder Kraft voraus. Auf politische Verhältnisse übertragen entsteht daraus das Konstrukt einer absoluten Verschwörung einzelner Machtzentren gegen das übrige, »gute« Volk.

Während der Montagsmahnwachen 2014 wurden derlei Vorstellungen in ganz Deutschland öffentlich vorgetragen. Hinter den Protesten auf dem Maidan in Kiew stecke die Nato, dahinter die USA, die wiederum bloß Spielball der Zentralbank Fed sei. Diese wahnhafte Beschreibung wird für »wahr« in einem absoluten, statischen, ahistorischen Sinn gehalten, der an religiös-fundamentalistische Wahrheitsbegriffe gemahnt. Diese Wahrheit könne im Prinzip jeder erkennen, der guten Willens sei, weshalb jede abweichende Meinung eine »Lüge« darstelle. Oder, wie sich Mahnwachen-Organisator Lars Mährholz im Interview mit Ken Jebsen ausdrückte: Es komme darauf an, dass »man sich die richtigen Informationen reinzieht«, denn »es gibt eine Wahrheit, die ist wahr, und das muss man halt mal erkennen«. Geld, Volk und Wahrheit werden in dieser Szene gleichermaßen verhimmelt wie verdinglicht.

Schließlich ist auch das Milieu der »Reichsbürger« teilweise von esoterischen Ideen durchsetzt. Besonders deutlich wurde dies in den vergangenen drei Jahren beim – nun vielleicht schon bald bankrotten – »Königreich Deutschland« des charismatischen Führers Peter Fitzek. Auf dem Vereinsgelände in Wittenberg soll eine »Klinik für ganzheitliche Gesundheit« entstehen, in einem »Lichtzentrum« wurden Seminare unter anderem zur »Germanischen Neuen Medizin« veranstaltet, im angeschlossenen Laden »Engelswelten« konnte mit der eigenen Regionalwährung, dem »Engel«, bezahlt werden. Dass der neue Eso-Staat allerdings nicht liebevoller mit Querulanten umgeht als die echte BRD, wurde 2013 klar, als Fitzek vor laufender Kamera eine quasi liberal-bürgerliche Revolte der Untertanen in absolutistischer Manier niederschlug. »Ich bin immer noch leistungsfähiger als ihr alle«, triumphierte er danach. Einem seiner Anhänger musste der Monarch schließlich selbst die Augen öffnen. »Thoralf«, sagte er, mit der Verfassung in der Hand, »wir haben hier keine Demokratie.«