Griechenland zwischen Euro und Drachme

Alles bleibt im Rahmen

Die neue griechische Regierung wird die Krise des Landes nicht überwinden können.

Das Märchen hielt sich nur einen Monat lang. Was mit der Hoffnung begann, Syriza werde die Austeritätspolitik beenden und die negativen Auswirkungen der Krise eindämmen, endete de facto im Scheitern. Keines der Wahlversprechen Syrizas – wie die Erhöhung des Mindestlohns oder die Wiedereinführung von Tarifverhandlungen – wurde von der sogenannten Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) akzeptiert. Es gibt keine Diskussion über einen Schuldenschnitt oder eine Verlängerung der Fristen für die Schuldenzahlung und die Austeritätspolitik wurde nicht untergraben. Von Syriza angebotene Kompromisse wurden ebenso verworfen, etwa der Vorschlag, 70 Prozent der vorherigen Memorandumsvereinbarungen zu akzeptieren.
Kommentatoren erklärten die Ereignisse gewöhnlich, indem sie auf die jeweilige nationale Politik zurückgriffen. Deutschland wird eine unangefochtene Hegemonie zugesprochen, Griechenland wird die Rolle der armen, unterdrückten Nation zugeschrieben. Doch in Wirklichkeit ging es bei den Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und der Euro-Gruppe nicht um die Behandlung Griechenlands als Nation oder die Beendigung der gewaltsamen inneren Entwertung der griechischen Wirtschaft, sondern vielmehr um den Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Strategien des euopäischen Kapitals, wie die Krise zu bewältigen sei: einerseits die dominierende Erzählung, die neoliberale Austeritätspolitik (mit reduzierten Haushalten, niedrigeren Löhnen und weniger Wohlfahrt) stelle den einzig möglichen Weg aus der Krisen dar. Andererseits der keynesianische Ansatz, der davon ausgeht, der beste Weg für das Kapital, die Krise zu überwinden, bestehe in höheren öffentlichen Ausgaben, Erhöhung der Nachfrage und Investitionen. Die beiden konkurrierenden wirtschaftlichen Ansätze existieren innerhalb desselben Rahmens; dieser wird weder vom Wunschdenken der Anhänger Syrizas definiert noch von der Unnachgiebigkeit Deutschlands durchgesetzt.

Entgegen einer Lesart, die die Ablehnung des Programms von Syriza als ein Ergebnis der Dickköpfigkeit Deutschlands betrachtet, wurde die Möglichkeit, von der dominanten neoliberalen Politik abzuweichen, nicht vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble abgelehnt, sondern vom aufeinander abgestimmten Chor von 18 EU-Mitgliedsstaaten, dem IWF und, am wichtigsten, der EZB. Die Fortführung des Austeritätsprogramms wurde ursprünglich dadurch gesichert, dass Griechenland bereits im Januar vom Programm des quantitative easing der EZB, der Erweiterung der Geldbasis durch den Ankauf von Staatsanleihen, ausgeschlossen wurde. Im Februar folgte der Abzug der restlichen elf Milliarden Euro aus dem Griechischen Finanzstabilisierungsfonds (HFSF) zugunsten des Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF). Des Weiteren wurde die Fortsetzung des Sparprogramms mit einer von der EZB orchestrierten »Liquiditätsverknappung« erzwungen, die den Umfang dessen reduzierte, was für die Notfall-Liquiditätshilfe als Sicherheit von Griechenland akzeptiert wird, und die Herausgabe kurzfristiger griechischer Staatsanleihen deckelte. Zuletzt warnte die EZB am 19. Februar, sollte Griechenland nicht die Bedingungen des Programms akzeptieren, müssten Kapitalkontrollen eingeführt werden, um einen Ansturm auf Banken zu vermeiden. Denn während viele Griechinnen und Griechen die Regierung Syrizas bei ihren Verhandlungen formal unterstützten, leerten sie zur selben Zeit ihre Sparkonten.
Diese Haltung war nicht widersprüchlich. Alle verstanden, dass ein Austritt aus der Euro-Zone und die Rückkehr zur Drachme sich (wieder einmal) am Horizont der Euro-Krise abzeichneten. Da Sparer in Griechenland in einem solchem Fall eine mindestens 50prozentige Entwertung ihres Guthabens hinnehmen müssten, war es eine vernünftige Entscheidung, ihr Geld zu Hause oder bei ausländischen Banken zu lagern. Einige haben damit Karriere gemacht, die Rückkehr zur Drachme als Lösung aller Probleme zu preisen, aber man muss keinen Doktor in Wirtschaftswissenschaften haben, um zu verstehen, dass das sofort einen Zusammenbruch der Importe, einen dramatischen Verlust an Kaufkraft und eine drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen zur Folge hätte. Und da Kursschwankungen über einen erheblichen Zeitraum andauern dürften, würden jegliche Lohnerhöhungen, die der Staat als Ins­trument gegen die sinkenden Konsumausgaben aufbringen mag, durch die steigende Inflation aufgezehrt werden. Die Aussichten für verarmte Griechinnen und Griechen sind einfach: weitere Verelendung.

Berichten der OECD zufolge war Griechenland unter den EU-Mitgliedsstaaten bislang führend in der Umsetzung von Reformen und wurde für seine Offenheit für Restrukturierungen gelobt, vor allem auf unpopulären Gebieten wie der Arbeitsmarktregulation und der Sozialfürsorge. Dennoch hat sich die griechische Wirtschaft nicht einmal annähernd wieder stabilisiert, die Produktivität ist eingebrochen, die Nachfrage gesunken und das Bruttoinlandsprodukt um 25 Prozent geschrumpft. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch, während die Staatsschulden untragbar bleiben. Trotz dieser Tatsachen bleibt die Austeritätspolitik unangefochten.
Das Argument derer, die diese Maßnahmen weiter unterstützen und durchsetzen, lautet, es gebe keine Alternative zu diesem Weg. Die Anpassung brauche ihre Zeit, es werde hart werden für die griechischen Bürger, aber es gebe ein Licht am Ende des Tunnels. Die Ablehnung der Reformen bedeute den Austritt aus der Euro-Zone, ein Schicksal, das als schlimmer als die Austeritätspolitik gilt.
Es wird klar, dass die Möglichkeit, die staatliche Politik innerhalb der Euro-Zone zu ändern (in welche Richtung auch immer), nicht zur Debatte steht. Das würde nur antieuropäische Kräfte stärken und dabei eine Dynamik in Gang setzen, die bald außer Kontrolle geraten könnte. Jedenfalls wird diese widersprüchliche Lage – die Euro-Zone zu »retten«, indem die zentrifugalen Kräfte gestärkt werden – nicht dadurch bewältigt, dass auf verschiedene Formen der kapitalistischen Restrukturierung verwiesen wird. Anders als es eine desorientierte Linke propagiert, liegt die Lösung der Probleme des heutigen Proletariats in Griechenland wie im Rest Europas nicht in keynesianischen Maßnahmen. Wachstum, Anstieg der Produktivität, Wettbewerb und ökonomische Stabilität als Schlüsselfaktoren für die Verbesserung der Lage der Arbeitenden anzupreisen, setzt die Befürwortung jenes Rahmens voraus, der zur Krise geführt hat.

Wenn nationale ökonomische Restrukturierung und Wettbewerb das gelobte Land bedeuten, wird der dominante neoliberale Weg sowohl für das Kapital als auch für seine Subjekte überzeugender sein als seine keynesianische Alternative – insbesondere in Griechenland, wo jedwedes keynesianische Programm von der Troika selbst getragen werden müsste. Des Weiteren dienen Währungen, egal ob Euro oder Drachme, zuallererst immer noch einem Herrn: kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen. Die einzige Möglichkeit der Arbeitenden, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, liegt darin, über diese Dilemmata hinauszudenken und herauszufinden, welche potentielle Macht eine Krise ihnen bieten kann. Bis dahin werden sie zwischen Hammer und Amboss gefangen sein.

Aus dem Englischen von Bernd Beier.