Das neue NPD-Verbotsverfahren

Rückenwind vom Staat

Das neue NPD-Verbotsverfahren gerät bereits zu Beginn ins Stocken. Das Bundesverfassungsgericht verlangt Beweise für den Rückzug der V-Leute aus der Partei und für das Gefahrenpotential der NPD.

Fast alle Nachrichten im Hinblick auf die NPD drehen sich derzeit um den neuen Verbotsantrag. Zwölf Jahre, nachdem der erste Versuch scheiterte, befasst sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun erneut mit einem NPD-Verbotsantrag des Bundesrats. Dabei wird eine interessante Meldung kaum beachtet: Der ehemalige Hamburger Landesvorsitzende der NPD, Thomas Wulff, der sich selbst in Verehrung des Waffen-SS-Generals den Spitznamen »Steiner« gegeben hat, darf in der NPD bleiben. Wulff hatte sich Anfang 2014 auf dem Hamburger Parteitag als »Nationalsozialist« bezeichnet – und wurde prompt zum Vorsitzenden gewählt. Später bekräftigte er dies gegenüber der Presse: »Die Leute müssen wissen, wo ich zu verorten bin.« Ein NPD-Schiedsgericht urteilte Anfang März, dass das für einen Parteiausschluss, wie es die NPD-Spitze verlangt hatte, nicht ausreichend sei, und beließ es bei einer Rüge.
Angesichts der Selbstbezeichnung als Nazi eines führenden Kaders der Partei, die im Wahlkampf vor jüdischen Einrichtungen Plakate mit der Aufschrift »Gas geben« aufhängte und aus deren Umfeld nachweisbar die rechtsterroristische Struktur des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) hervorgegangen ist, erübrigt sich jegliche Diskussion darüber, ob ein Verbot der NPD gerechtfertigt sei – sollte man meinen. Aber es gibt ja noch das V-Leute-Problem. Der erste Verbotsantrag 2003 war gescheitert. Weil die Führung der NPD mit V-Leuten durchsetzt war, konnte das Gericht nicht ausschließen, dass Zitate und Aktionen, die als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei angeführt wurden, möglicherweise im Auftrag oder zumindest mit Unterstützung staatlicher Behörden zustande gekommen waren. »Fehlende Staatsferne« der NPD benannte das Gericht das Problem damals äußerst treffend.

Aus diesem Grund hat der Bundesrat seinen Antrag diesmal ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen gestützt und keinerlei Geheim­dienstinformationen verwendet. Zudem wurde sichergestellt, dass keine Quellen Verwendung fanden, die während ihrer neonazistischen Tätigkeit im Dienste des Staats standen. Auch sollen sämtliche V-Leute in der Führungsebene der Partei »abgeschaltet« sein, wie im Antrag schriftlich von den Innenministern bestätigt wird. Der letzte Punkt war eine Vorbedingung des BVerfG gewesen, um einen erneuten Antrag zuzulassen.
Und hier gibt es das erste Problem. Die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex, die offenbarten Lügen im Prozess, die Aktenvernichtung, das Zurückhalten von Informationen, ganz abgesehen von der Duldung, wenn nicht gar tatkräftigen Unterstützung der rassistischen Mordserie, haben das Vertrauen in die Behörde nicht gerade verstärkt. So forderte der zweite Senat des BVerfG vor zwei Wochen in einer ersten Stellungnahme zum Antrag, dass Belege nachgereicht werden müssten, die das Abschalten der Staatsdiener im Vorstand der NPD nachvollziehbar belegen. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Behörden dem wegen des mittlerweile hinlänglich bekannten »Informantenschutzes« nicht nachkommen werden.

Und tatsächlich wartet die NPD bereits auf Informationen, wer denn noch alles als Spitzel aktiv war, wie aus einer Stellungnahme des NPD-Anwalts Peter Richter vom September vorigen Jahres hervorgeht, die dem Blog Publikative.org vorliegt. Darin wird versucht, anhand diverser Beispiele aufzuzeigen, warum von der vom BVerfG geforderten Staatsfreiheit keine Rede sein könne. Es wirkt zwar absurd, wie die NPD darauf pocht, dass ihre Führungsebene von V-Leuten durchsetzt sei. Aber durch die damit verbundene Forderung nach Beweisen für die Abschaltung der Spitzel, der sich nun auch die Richter angeschlossen haben, würde die Partei eine Liste der in ihren Strukturen tätigen V-Leute bekommen.
Ein zweites Problem betrifft die Quellenlage. Der Bundesrat bezieht sich auf zwei Kategorien von Quellen: einerseits persönliche Aussagen oder Handlungen von NPD-Funktionären, die nachweisbar nicht vom Staat bezahlt wurden, andererseits allgemeine Parteidokumente ohne persönliche Urheberschaft, die als Beleg für die inhaltliche Ausrichtung der Partei angesehen werden können und ohne staatliche Einflussnahme entstanden seien. In seinem »Hinweisbeschluss« moniert das BVerfG, dass zwei Dokumente keiner Kategorie zugeordnet seien. Bei einem der Dokumente handelt es sich um das »Strategische Konzept« der NPD aus dem Jahre 1997, mit dem die Öffnung hin zu den militanten Kameradschaften zur offiziellen Parteilinie wurde. Wie Felix Krebs auf Publikative.org berichtet, sei es jedoch zu einer Zeit verfasst worden, als der damals noch aktive V-Mann Udo Holtmann im Bundesvorstand der Partei saß, der ehemalige V-Mann Wolfgang Frenz könnte als Beisitzer ebenfalls daran mitgeschrieben haben. Zwar hat sich die Partei später auch auf dieses Papier bezogen, juristisch könnte die Urheberschaft jedoch ein Problem darstellen.

Hier wird die Absurdität des Verfahrens und insbesondere des V-Leute-Systems offenbar. Der Bundesrat muss darauf achten, dass er für seinen Antrag keine Geheimdienstinformationen verwendet – was den Einsatz der Spitzel ad absurdum führt, wenn die durch ihn erlangten Informationen nicht zur Strafverfolgung verwendet werden können. Zudem stellt sich die Frage, ob nicht vielmehr der Staat hier auf der Anklagebank sitzen müsste. Schließlich hat selbst das höchste Gericht der Republik große Zweifel, ob nicht unzählige Aktionen und gar ein Strategiepapier, das zu einer Radikalisierung der NPD führte, über Umwege vom Staat lanciert wurden. Viele Aktionen und Unmengen neonazistischer Propaganda wären ohne staatliche Unterstützung nicht möglich gewesen, wie bereits im NSU-Prozess deutlich wurde. Aber auch ohne das Einkommen der Neonazis im Staatsdienst muss sich die organisierte Neonaziszene keine finanziellen Sorgen machen: 1 415 502,86 Euro bekam die NPD im vergangenen Jahr aus der Staatskasse.
Drei Tage nach der Antwort des BVerfG schob der Verfassungsrichter und Berichterstatter des Zweiten Senats, Peter Müller, noch eine Reklamation nach. Der Bundesrat müsse »konkrete Beispiele« anführen, dass durch die Aktivität der NPD in Mecklenburg-Vorpommern eine »Atmosphäre der Angst erzeugt werde und hierdurch erkennbare Einschränkungen demokratischen Handelns nachweisbar seien«, wie die Süddeutsche Zeitung aus dem Schreiben zitiert. Ebenso verlangt Müller Nachweise, dass die Proteste gegen Flüchtlinge im Jahr 2013 »besonders aggressiv« gewesen seien.
Man fragt sich, ob Richter Müller Zeitung liest, sonst hätte er das wohl kaum gefordert. Den offiziellen Zahlen der Bundesregierung zufolge gab es im vergangenen Jahr 150 Übergriffe auf Flüchtlingsheime, 2012 waren es noch 24. Im letzten Quartal des Jahres 2014 fand im Schnitt alle drei Tage eine Kundgebung »von der NPD, einer ihrer Unterorganisationen oder von anderen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen« gegen Flüchtlinge und »Asylbetrug« statt, wie aus einer Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linkspartei hervorgeht. Die rassistischen Versammlungen von Pegida und ihren Ablegern sind da noch nicht einmal mit eingerechnet. Und zum Thema »Klima der Angst« in Mecklenburg-Vorpommern könnte der Beratungsverein für Betroffene rechter Gewalt Lobbi die nötigen Zahlen liefern: 81 Angriffe mit 119 Betroffenen gab es im Jahr 2014.

Es sind aber weder die Richter in Karlsruhe noch die staatliche Ordnung, die von der NPD bedroht werden. Und die »Sorgen« so mancher Teilnehmer der »Nein zum Heim«-Proteste kann Müller offenbar nachvollziehen, schaut man sich seine Vita an. Von 1999 bis 2011 war der CDU-Politiker Ministerpräsident des Saarlandes. Anfang des aktuellen Jahrtausends war er die treibende Kraft, die im Bundesrat Stimmung gegen das von Rot-Grün geplante Zuwanderungsgesetz machte. Es fördere Migration, statt sie zu bekämpfen, schaffe durch die Härtefallklausel und die Aufnahme geschlechtsspezifischer Verfolgung als Fluchtgrund »Zuwanderungsanreize« und außerdem werde das Asylrecht sowieso »überwiegend missbräuchlich in Anspruch genommen«, argumentierte Müller damals in Opposition zu jenen Parteien, »die Zuwanderung mit einer ideologischen Vorstellung von multikultureller Einwanderungsgesellschaft verbinden«. Die NPD bezeichnete er als »verfassungsfeindlich« und »Ekel erregend«, trotzdem war er stets gegen ein Parteiverbot und stimmte während des ersten Verbotsverfahrens im Bundesrat gegen den Antrag.
Als er im Dezember 2011 aus der Politik in die Justiz wechselte, gab es selbst aus CDU-Kreisen Kritik. Schließlich müsse er nun als neutrale Instanz in Fragen urteilen, zu denen er jahrelang eine politische Meinung vertreten habe. Dieses Problem wird nun im Verbotsverfahren offensichtlich, sein richterliches Schreiben deckt sich mit den Argumenten, die er als CDU-Ministerpräsident gegen ein NPD-Verbot angebracht hatte: Eine Verfassungsfeindlichkeit reiche nicht aus, es benötige ein »aggressiv-kämpferisches Vorgehen gegen die Verfassung«. Zudem müssten Straftaten der NPD als Organisation zugerechnet werden können, als bloße Handlungen einzelner NPD-Mitglieder seien diese nicht verwertbar, sagte Müller im Jahr 2000 dem Spiegel. Damals jedoch war dies nur eine Einzelmeinung eines Landespolitikers, der ganz reflektiert hinzufügte: »Wenn ich die Rechtsprechung richtig verstehe … « Aus dieser Meinung droht nun selbst Rechtsprechung zu werden.