Die Friedensbewegung und die Ostermärsche

Unfrieden in der Friedensbewegung

Am Wochenende fanden in Deutschland unter dem Motto »Die Waffen nieder« die traditionellen Ostermärsche statt.

Zwischen Gründonnerstag und Ostermontag haben sich in zahlreichen Städten der Republik Tausende Menschen an den Ostermärschen beteiligt. Gegenüber den Vorjahren hat sich die Zahl der Teilnehmer zwar kaum verändert, aber in diesem Jahr war das Interesse der Medien größer. Dafür war wohl weniger der Ukraine-Konflikt ausschlaggebend, der in vielen Aufrufen für die Teilnahme am Ostermarsch im Mittelpunkt stand, als vielmehr der Streit innerhalb der Friedensbewegung selbst.

Der Grund für kritische Berichte über die Friedensbewegung dürfte allerdings nicht darin zu suchen sein, dass ein Großteil der Medien »von der FAZ bis zur Taz«, wenn es um die Lösungsansätze für die »Krisen dieser Welt« geht, sich auf »elitäre Sicherheitsinstitute, regierungsnahe Stiftungen oder transatlantische Think Tanks« verlässt, wie Uwe Krüger in einem Beitrag für das Neue Deutschland mutmaßt. Die Medienschelte des wissenschaftlichen Mitarbeiters der Abteilung Journalistik an der Universität Leipzig, die von vielen in der Friedensbewegung geteilt werden dürfte, ist allzu simpel.
»So lagen die Demonstranten, die im Winter 2002/2003 gegen den heraufziehenden Irak-Krieg protestierten, auf einer Linie mit der Regierung und wurden entsprechend freundlich behandelt. Im Winter 2014/15, in dem die Ukraine-Krise und die Konfrontation mit Russland viele Menschen beunruhigt, steht die politische Elite in Deutschland Seit’ an Seit’ mit den USA hinter der Kiewer Regierung und dem Ziel einer Westintegration der Ukraine.« Dabei unterschlägt Krüger, dass die Irak-Politik der damaligen rot-grünen Bundesregierung, mit Gerhard Schröder (SPD) als Kanzler und Joseph Fischer (Grüne) als Außenminister, deutsche Standortinteressen bediente und mit Antimilitarismus nichts zu tun hatte, wie von Linken kritisiert wurde. Zudem folgen die sogenannten deutschen Eliten auch im Ukraine-Konflikt derzeit keiner einheitlichen Linie, insbesondere diejenigen, die um ihre Geschäfte mit Russland bangen, sind über eine Zuspitzung nicht erfreut.

Vor allem aber erwähnt Krüger nicht, dass die Friedensbewegung durch ihr Bündnis mit den nach rechts offenen »Mahnwachen für den Frieden« unter dem Dach des »Friedenswinters« viel Anlass zur kritischen Berichterstattung gegeben hat. Mittlerweile hat zumindest die wichtigste antimilitaristische Organisation »Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner« (DFG-VK) dieses Bündnis aufgekündigt. Der unmittelbare Anlass war ein verbaler Ausfall des »Mahnwachen«-Aktivisten Ken Jebsen gegen den politischen Geschäftsführer der DFG-VK Monty Schädel. Auf einer Kundgebung bezeichnete der ehemalige Radiomoderator Schädel als »Feind« , darüber hinaus behauptete Jebsen, Schädel sei »gekauft von der Nato«. Der Gescholtene hatte in Interviews eine kritische Bilanz des »Friedenswinters« gezogen und war zu dem Fazit gelangt, dass dieses Bündnis die Friedensbewegung nicht etwa voranbringe, sondern kaputt mache.
Dass der Streit um den »Friedenswinter« mitten durch die traditionelle Friedensbewegung geht, zeigte sich in Duisburg. Das dortige Friedensforum bestand trotz heftiger Kritik auf einem Auftritt der für verschwörungsideologische Positionen bekannten Band Die Bandbreite zum Auftakt des dortigen Ostermarschs am Samstag. Auch als ein Foto auftauchte, das den Sänger der Band mit dem Neonazi Thomas »Steiner« Wulff nach einem Auftritt bei einer Kundgebung der neurechten »Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas« (Endgame) in Halle zeigte, hielten die Duisburger am Auftritt der Band fest. Bei der »Endgame«-Kundgebung in Halle hatte ein »Christian aus Thüringen« in einem Redebeitrag »Freiheit für den politischen Gefangenen Horst Mahler« (Jungle World 9/2015) gefordert, der wegen Leugnung des Holocaust eine langjährige Haftstrafe verbüßt.
Dennoch wird Endgame auch von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann gelobt. »Die ›Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas‹ sind diejenigen, die erkannt haben, von wo die großen Bedrohungen für die Menschheit ausgehen. Sie sind am 14. März 2015 in Hannover – nach Erfurt und Halle – zum dritten Mal auf die Straße gegangen«, schreiben Fikentscher und Neumann in der Neuen Rheinischen Zeitung. Die Kritiker von Endgame, namentlich genannt wird Jutta Ditfurth, seien hingegen »entlarvt als Handlanger des US-Imperialismus und des damit verbundenen Großkapitals«. Die wenigsten aus der alten Friedensbewegung haben den Weg von der Traditionslinken zur Querfront so konsequent vollzogen wie Fikentscher und Neumann, die der Kölner Gruppe »Arbeiterfotografie« angehören.
Doch es gibt eine Grauzone von sich als links verstehenden Friedensaktivisten, die ihre Kritik an bestimmten Kriegen oder der Rüstungspolitik weder mit einem pazifistischen noch einem antikapitalistischen Antimilitarismus begründen. Diese beiden Grundpositionen waren zumindest in den Hochzeiten der bundesrepublikanischen Friedensbewegung in den sechziger Jahren beim harten Kern der Organisatoren bestimmend. Damit war ausgeschlossen, dass Konservative und Nationalisten, die es nach 1945 nur deshalb zur deutschen Friedensbewegung zog, weil sie für die Alliierten, von denen sie besiegt worden waren, nicht in den Krieg ziehen wollten, die ideologische Hegemonie übernehmen konnten. Doch schon in der Anti-Pershing-Bewegung der frühen achtziger Jahre, die der Publizist Wolfgang Pohrt als »deutschnationale Erweckungsbewegung« bezeichnete, wurden nationalistische Töne lauter. Dort konnte Alfred Mechtersheimer reüssieren, bevor er die extrem rechte »Deutschland-Bewegung« gründete.

Das Fehlen von Kritik an Staat und Nation ist mitverantwortlich dafür, dass viele Kriegsgegner Versatzstücke aus der Tradition einer reaktionären Geopolitik übernommen haben. Da wird zum Beispiel eine Verständigung mit Russland mit der notwendigen Kooperation der europäischen Mächte begründet. Es ist kein Zufall, dass anlässlich des Geburtstags von Otto von Bismarck, der sich am 1. April zum 200. Mal jährte, derzeit über vermeintlich löbliche Seiten des erzreaktionären Politikers sinniert wird. Dabei wird besonders betont, dass Bismarck nach zahlreichen von ihm provozierten Kriegen einen Ausgleich mit Russland suchte, woraus Handlungsmöglichkeiten für den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt abgeleitet werden. Ausgeblendet wird dabei die zeitgenössische Kritik von Marxisten und Linksliberalen wie dem Historiker Max Lehmann, dessen Vorlesungsreihe »Bismarck – eine Charakteristik« vom Bremer Donat-Verlag in diesem Jahr neu auflegt wurde. Dort wird Bismarck als jener deutsche Politiker der Gewalt nach innen und außen klassifiziert, der er für die zeitgenössischen Linken war.
In dieser Tradition steht eine noch recht junge Antimilitarismusbewegung, die sich unabhängig von der alten Friedensbewegung gegründet hat. Eine Kooperation mit dem »Friedenswinter« wurde von ihr strikt abgelehnt, ins Zentrum ihrer Kritik stellt sie die gegenwärtige deutsche Kriegs- und Rüstungspolitik (Jungle World 43/2013). Die Rekrutierung von Soldaten an Schulen und Jobcentern wird von ihr ebenso ins Visier genommen wie das im Bau befindliche Gefechtsübungszentrum (GÜZ) und der Showroom der Bundeswehr in Berlin-Mitte. Hier böte sich für diejenigen in der Friedensbewegung, die das Bündnis mit den Mahnwachen nicht nur deshalb ablehnen, weil es nicht die erhofften Massen gebracht hat, und die linken Antimilitarismus nicht mit Geopolitik verwechseln, eine neue Kooperationsmöglichkeit. Angesichts einer Politik Deutschlands, die Militäreinsätze wieder als ein Mittel zur Sicherung wirtschaftspolitischer Interessen betrachtet (Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident), wäre eine Antimilitarismusbewegung nötig, die diese Politik in den Mittelpunkt ihres Protests stellt.