Maßnahmen gegen militante Jihadisten in Deutschland

Vom Rekruten bis zum Rückkehrer

Die Innenminister haben ihr Vorgehen gegen die islamistische Szene in Deutschland verschärft. Um die Rekrutierung von Jihadisten zu verhindern, setzen sie auf Razzien, Vereinsverbote und Streetwork.

Mit umfangreichen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen setzten die Sicherheitsbehörden Ende März gleichzeitig in vier Bundesländern das Verbot der Organisation »Tauhid Germany« durch. Der Schwerpunkt der Razzien lag in Nordrhein-Westfalen, wo sechs Objekte in Hemer, eines in Kalthof, zwei in Menden und Bonn und vier in Solingen durchsucht wurden. Darüber hinaus kam es zu Durchsuchungen in Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein. Das Vermögen von Tauhid wurde beschlagnahmt. Insgesamt waren nach offizieller Darstellung 25 Einzelpersonen betroffen. Nach eigenen Angaben verfügt der Verein insgesamt über 30 Mitglieder. Bei den Durchsuchungen stellte die Polizei umfangreiche Technik sicher, darunter Computer, Speichermedien, Handys und Fotoapparate. Außerdem sicherten die Polizisten Propagandamaterial wie Flyer, DVDs, Bekleidungsstücke und Material für Infostände. Zu Verhaftungen kam es nicht.

»Die Verbotsmaßnahme ist ein klares Signal an die militant-jihadistische Szene«, sagte Bundes­innenminister Thomas de Maizière (CDU) nach der Razzia. Man wolle »entschlossen und nachhaltig gegen Bestrebungen« vorgehen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Salafistische Vereinigungen wie Tauhid Germany gefährdeten den gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil sie »sich gezielt an Jugendliche« wendeten, um diese zu radikalisieren bis hin zur Rekrutierung für den Bürgerkrieg in Syrien oder im Irak. In diese beiden Ländern sind in den vergangenen Jahren weit über 600 deutsche Staatsbürger ausgewandert, 90 von ihnen allein aus Berlin. Über 60 sollen bei Kampfhandlungen gestorben sein.
Nach Angaben der Sicherheitsbehörden bestehen zwischen Tauhid Germany und der 2012 verbotenen Organisation »Millatu Ibrahim« derart enge personelle und ideologische Verflechtungen, dass Tauhid als Ersatzorganisation von Millatu Ibrahim angesehen wird. Diese vormals in Solingen ansässige Vereinigung war bedeutend für viele radikalisierte Muslime aus ganz Deutschland. Nach außen agierte sie unter dem Deckmantel missionarischer Arbeit, doch Ziel war es, Rekruten für den Heiligen Krieg zu werben. »In diesen Netzwerken findet eine Art Gehirnwäsche statt. Wenn die Eltern in irgendeiner Form versuchen diese Jungs umzustimmen, dann werden die Eltern zu Feindbildern. Die ganze Umgebung wird zum Feind aufgebaut«, erläutert Claudia Dantschke, Islamismus-Expertin vom Berlin Zentrum für Demokratische Kultur (ZDK), in der vom NDR produzierten Reportage »Die Säulen des Islamismus im Norden«.

Oft ähneln sich die Biographien der Rekruten. In der Jugend früh mit dem Gesetz in Konflikt geraten, suchen sie Erlösung in der Religion. »Das sind Menschen, die sich in ihrer Jugend in ihrem Kontext nicht zurechtfinden oder die in ihrer Identitätsfindung sehr unglücklich sind. Und dann haben sie hier eine Struktur, die ihnen einen Heldenstatus verspricht«, erklärt in der Reportage die Sozialwissenschaftlerin Matenia Sirseloudi von der Universität Bremen. Die Missionierung der Islamisten sei deshalb gerade in Gefängnissen sehr erfolgreich.
14 der früheren Mitglieder wurden von der Staatsanwaltschaft Hamburg angeklagt, weil sie die Gruppe im Verborgenen fortgeführt haben sollen. Auch Dantschke verweist darauf, dass ehemalige Mitglieder immer noch die Speerspitze des Islamismus in Deutschland bilden. »Schwerpunktmäßig ist Millatu Ibrahim dieses Netzwerk gewesen, aus dem die meisten Jugendlichen für den Jihad geworben werden. Es ist eine jihadistische Jugendkameradschaft, die den Jugendlichen den Weg Richtung Syrien oder Irak ebnet.« Erst vor kurzem tauchte im Internet ein Video der »Deutschen Brigade Millatu Ibrahim in Syrien« auf. Denis Cuspert, ein ehemaliger Berliner Rapper, singt darin ein religiöses Kampflied und dirigiert einen Chor aus zwölf mutmaßlich deutschen Jihadisten. Sie recken ihre Kalaschnikows, Panzerfäuste und Handgranaten in die Luft, während sie singen: »Der Jihad ist unser Leben!«
Die Organisation Tauhid Germany, die sich zuletzt auch als »Team Tauhid Media« bezeichnete, war bundesweit das neue organisatorische Sammelbecken der Szene. Vor allem agierte sie als Plattform, auf der von verschiedenen Predigern aus dem deutschsprachigen Raum Vorträge in Audio- und Videoform veröffentlicht wurden. Den Anführer, Hasan K., halten die Sicherheitsbehörden für den Statthalter der Millatu-Anführer Cuspert und Mohamed Mahmoud. Beide gelten im deutschsprachigen Raum als führende Propagandisten des »Islamischen Staats«. Die konsequente Ablehnung der westlichen Demokratie formulierte Millatu Ibrahim in einer Videobotschaft vor drei Jahren ganz offen: »Die Leute, die die Gesetze machen, sind die schlimmsten. Die sind schwul, die sind kokainsüchtig, pädophil, einfach ekelhaft. Wie kann ich auf so ’ne Leute ihre Gesetze hören? Guckt mal Wowereit an, ekelhaft.« Einzig die Sharia sei die Medizin gegen die »Krankheit Demokratie und Integration und diese westliche Ideologie«.

Vor allem die Rückkehrer aus dem syrischen Bürgerkrieg bereiten den deutschen Sicherheitsbehörden große Probleme. Eine lückenlose Überwachung ist nicht zu leisten. Dazu mangelt es an geschultem Personal und an entsprechender Technik. In Berlin soll sich nun die Beratungsstelle »Kompass – Toleranz statt Extremismus« unter anderem um die Rückkehrer kümmern. In der Hauptstadt leben 30 zurückgekehrte Jihadisten, insgesamt geht der Verfassungsschutz von 330 gewaltbereiten Salafisten in Berlin aus. »Sie aufzuhalten, ist das Wichtigste für uns«, sagte Thomas Mücke, der Leiter von Kompass, der Berliner Zeitung. Das Projekt wurde bereits in Hessen erprobt und ist das erste seiner Art, das der Berliner Senat finanziert – mit 115 000 Euro im Jahr. Am Mittwoch voriger Woche nahm die Be­ratungsstelle ihre Arbeit auf. Die Methodik der Sozialarbeiter erinnert stark an altbekannte Konzepte: »Natürlich klopfen die nicht bei uns an: Ich habe ein Radikalisierungsproblem, reden Sie mit mir. Besorgte Eltern, Schulfreunde, Bekannte rufen unsere Hotline an und wir suchen diese Menschen dann auf. Es ist ein bisschen wie Streetwork.«
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) plant, ein ganzes Netzwerk gegen gewaltbereite Islamisten einzurichten. »Es geht ausschließlich darum, sicherheitsrelevante Fälle im fortgeschrittenen Stadium zu beobachten.« Polizei und Verfassungsschutz würden eng eingebunden, Verwandte von Islamisten sollen ebenso angesprochen werden wie Lehrer. Insgesamt soll eine halbe Million Euro für das Sozialprojekt eingesetzt werden, um auf radikalisierte junge Islamisten zuzugehen und sie von Gewalttaten abzuhalten.
Dass dies in Zukunft nicht leichter werden dürfte, zeigen die Ereignisse um einen geplanten Auftritt des islamistischen Predigers Pierre Vogel in Hamburg. Trotz eines Verbots wollten Vogel und andere salafistische Prediger auftreten. Nachdem das Hamburger Oberverwaltungsgericht das Verbot der Kundgebung auf dem Rathausmarkt bestätigt hatte, konterte Vogel Mitte März mit der Ankündigung: »Höchstwahrscheinlich wird es am Sonntag einige Open-Air-Vorträge in Hamburg geben.« Dass es dazu nicht kam, lag an den strikten polizeilichen Sicherheitsmaßnahmen.