Das neue Album von Ariel Kalma und Robert Aiki Aubrey Lowe

Kennen wir uns nicht von irgendwoher?

Die Experimentalmusiker Ariel Kalma und Robert Aiki Aubrey Lowe beweisen auf ihrem improvisierten Album, dass Vogelgezwitscher nicht in Schrebergartenphantasien münden muss.

Das Interesse an progressiver und experimenteller Musik aus den sechziger und siebziger Jahren ist ungebrochen und äußert sich unter anderem in einem andauernden Strom von Wiederveröffentlichungen. Nicht alles, was dabei zutage gefördert wird, ist pures Gold. In einigen Fällen, man denke an Meilensteine wie »Silver Apples Of The Moon« von Morton Subotnick oder die elektroakustischen Experimente der Pariser Klangforscher des INA GRM (Jungle World 32/13), sind die wiederentdeckten Klänge auch heute nicht überholt und von einer Experimentierlaune, die viele jüngere Veröffentlichungen gestrig wirken lässt. Diese ungeminderte Modernität fordert zur musikalischen Auseinandersetzung in der Gegenwart heraus, so dass aus der archivarischen Beschäftigung neue Klänge entstehen, die ebenso in die Vergangenheit wie in die Zukunft weisen und unter dem Schlagwort »Retromania« (Simon Reynolds) nur unzureichend erfasst sind. Hierher gehört nicht zuletzt das Wiederaufkommen des Modularsynthesizers, dessen unerschöpftes Potential für progressive Musik Künstler wie Keith Fullerton Whitman seit einigen Jahren demonstrieren.
Eine direktere Art, musikalische Konstellationen herzustellen, hat sich die Serie »Frkwys« (Freakways) auf dem Label »Rvng. Intl« (Revenge International) zum Prinzip gemacht. Hier werden generationenübergreifende Zusammenarbeiten experimenteller Musiker angestiftet. Zu den bekanntesten Episoden der Reihe dürften der Besuch von Neo-Psychedeliker Sun Araw und Synth-Musiker M Geddes Gengras bei der seit Mitte der siebziger Jahre aktiven Reggae-Formation The Congos oder auch das Zusammentreffen des New Yorker Experimental-Duos Blues Control mit dem Zitherspieler Laraaji gehören. Als zwölfter Teil der Serie erscheint nun ein gemeinsames Album von Ariel Kalma und Robert Aiki Aubrey Lowe.
Trotz seiner gut 40jährigen Geschichte als Musiker dürfte Ariel Kalma vielen Hörern unbekannt sein. Er wurde in Paris geboren und hat dort »Computer Science« studiert. Während des Studiums in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren als Livemusiker mit verschiedenen Jazz-Ensembles auf Reisen, hat Kalma nach einer Tour in der Band von Jacques Higelin, ganz dem Geist der Zeit entsprechend, einen längeren Indien-Aufenthalt angehängt, wo ihm, wie er sagt, die westliche Kultur aus dem Kopf gepustet wurde. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich hat Kalma als Assistent am »Institut National Audiovisuel, Groupe de Recherches Musicales« gearbeitet, wobei ihm die dort praktizierte Klangforschung abstrakt und akademisch vorkam.
In Eigenregie begann er, seine musikalischen Tüfteleien aufzunehmen und zu veröffentlichen, bei denen er mit zwei in Schleife geschalteten Bandmaschinen Echoeffekte und flächige Sounds aus Stimme, Saxophon und elektronischen Tasteninstrumenten herstellte. Bis heute hat Kalma kontinuierlich Musik aufgenommen und kann eine beeindruckende Diskographie vorzeigen. Aufnahmen aus seinem Archiv sind im vergangenen Jahr unter dem Titel »An Evolutionary Music (Original Recordings 1972–1979)« ebenfalls bei Rvng. Intl erschienen. Er lebt mittlerweile im Osten Australiens.
Dort hat ihn für die Produktion von »Frkwys« Robert Aiki Aubrey Lowe besucht, der in den späten neunziger Jahren und in den frühen Jahren des aktuellen Jahrtausends als Bassist und Sänger der Chicagoer Postrock-Band 90 Day Men bekannt wurde. Seit dem Ende der Band veröffentlicht er solo unter dem Namen Lichens sphärische, hallverhangene Klanggewebe aus Modularsynthesizer-Sounds und flächigen Stimmloops. Er spielt außerdem seit 2009 bei der experimentellen Drone-Metal-Band OM, deren Musik spätestens seit dem Album »Advaitic Songs« (2012) nur noch wenig mit Metal zu tun hat und sich in einer ganz eigenen, von östlicher Mystik geprägten Nische eingerichtet hat. Bei Type Records hat Lowe 2012 erstmals unter eigenem Namen ein Modularsynthesizer-Album namens »Timon Irnok Manta« veröffentlicht.
Das Konzept von »Frkwys« zielt nicht darauf, Kollaborationen zwischen gegensätzlichen Musikern zu initiieren, um durch die Konfrontation überraschende Resultate zu provozieren. Die Absicht ist eher, verwandte Stile und Interessen zusammenkommen zu lassen. Und wie der Name signalisiert, den Kalma und Lowe ihrem Album gegeben haben, gilt dies auch in diesem Fall: »We know each other somehow« – zwei Musiker treffen aufeinander, die mehr als ihre kurze persönliche Bekanntschaft verbindet.
Dazu gehört nicht zuletzt ein verspieltes Faible für esoterische Konzepte und Klänge. So gibt es im Internet einen Auftritt von Lowe zu sehen, bei dem der Modularsynthesizer durch ein Interface gesteuert wird, das die »Bio-Daten« einer Topfpflanze (was auch immer das sein mag) in Signale umwandelt, die musikalisch ausgewertet werden. Und auf Kalmas Homepage warnt mit einigem Selbstbewusstsein hinsichtlich dessen Wirksamkeit der Text zum Album »Galactica Electronica« wie der Beipackzettel zu einem Beruhigungsmittel: »Diese Musik bewirkt eine hypnotische Trance. Bitte nicht beim Autofahren, der Verrichtung anspruchsvoller Tätigkeiten oder dem Versuch, sich zu konzentrieren hören …  Sie könnten sich benommen fühlen und sich im Traumland wiederfinden.« Das Cover zeigt den Musiker inmitten eines spektralfarbenen Gewirbels galaktischer Turbulenzen mit wirrem, aber entschlossenem Blick an den Synthesizertasten. Auch die Titel seiner weiteren Alben – »Lazy Lizard«, »Chillout India«, »Spirit Dancer«, »My Sax, my Love« oder »Flute for the Soul« – zeigen dem geneigten Hörer, hier offensichtlich auf ein Schwerezentrum kosmischer New-Age-Energien gestoßen zu sein, die sich geradewegs aus den siebziger Jahren ins Heute transportiert haben.
Glücklicherweise hat diese Ausgangslage nicht zu einem Album purer meditativer Ruhe geführt, das seine Hörer nicht nur in Trance, sondern gleich in Vollnarkose versetzt. Natürlich ist große musikalische Reibung hier nicht zu vernehmen, aber die Paarung von Lowes Synthesizerfundament mit Kalmas Saxophon- und Flötenimprovisationen funktioniert erstaunlich gut. Das liegt zum einen am klaren und reduzierten Sound, der selbst bei Ausflügen in sphärische Gefilde nicht zum Abschalten animiert, sondern eher konzentriertes Hinhören fordert.
Weniger als auf eskapistische Soundberieselung und kosmische Entrücktheit im Stile von Deuter hat diese Platte es auf aufmerksame Versenkung abgesehen. Selbst dass Field Recordings von Wasserrauschen oder Naturatmosphäre aus Vogelstimmen und Insektengeräuschen – wie in einem Echo von Kalmas frühem Album »Osmose« mit seinen Klängen aus dem Regenwald Borneos – unter einige Songs gemischt sind, verführt nicht zur Flucht in Schrebergartenphantasien, sondern gibt der Musik zugleich Profil und Direktheit, die den Hall-Effekt auf den Instrumenten erdet.
Im Interview mit dem Onlinemagazin The Quietus auf das Thema Meditation und seine Arbeit als Musiktherapeut angesprochen, gibt Kalma eine überraschende Antwort. Es gebe heute nicht nur genügend ruhige Musik, so dass ihn inzwischen anderes reize – was im durchorganisierten Leben heutzutage fehle, sei weniger meditative Ruhe als ein wilder Anteil. Gerade nicht weltfremden Eskapismus, sondern ein bisschen mehr Aufgeregtheit in der normierten Gesellschaft fordert also der Mann, der auf fast allen Bildern wie ein Yogameister erscheint.
Dieser Befund schlägt sich auf »We know each other somehow« musikalisch kaum nieder – ein bisschen von dieser Wildheit hätte dem Album gut getan. Das soll nicht heißen, dass es hier mehr hätte krachen müssen; die ruhige Atmosphäre ist gerade die Stärke des Albums. Aber auch wenn als Referenzen eben nicht Deuter, sondern dessen progressivere Zeitgenossen wie Popol Vuh oder (die ruhigeren Momente von) Cluster oder Harmonia zu nennen sind, geht die Zusammenarbeit von Kalma und Lowe über diese Vorbilder kaum hinaus. Es mag seltsam scheinen, von einem improvisierten Album mehr Experimentierfreude zu fordern, aber genau das fehlt »We know each other somehow«, damit es nicht ein gutes, sondern ein außergewöhnliches Album geworden wäre.

Ariel Kalma & Robert Aiki Aubrey Lowe: We know each other somehow (Rvng. Intl/Cargo Records)