Der Film »Elser« von Oliver Hirschbiegel

Der autonome Mensch

Oliver Hirschbiegel hat einen neuen Film gemacht: In »Elser« widmet sich der Regisseur von »Der Untergang« dem Hitler-Attentäter Georg Elser.

Ich wollte, dass die ganzen Zahlen, die ich gelesen hatte, zu Gesichtern werden.« Diese Aussage stammt von einem jungen Besucher der Gedenkstätte Auschwitz anlässlich des Gedenktages zur Befreiung des Konzentrationslagers am 27. Januar 1945, der dort Zeitzeugen zu treffen hoffte. 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird es langsam schwer, sich eine Vorstellung vom historischen Nationalsozialismus zu machen.
Bald werden die damaligen Geschehnisse nur noch medial vermittelter Content sein; Menschen, die die Zeit erlebt haben, dürften beim nächsten runden Jahrestag nur noch wenige leben. Ein unersetzlicher Verlust: Jemanden zu treffen, der den Holocaust überlebt hat, ist entschieden anders, als in Büchern darüber zu lesen. Aber wenn dem so ist, wie erzähle ich diesen Stoff?
Diese Frage dürfte sich Oliver Hirschbiegel gestellt haben. Der Regisseur – seinerzeit für »Der Untergang« verantwortlich, ein Film, der sich mit einer recht menschelnden Hitler-Darstellung durch Bruno Ganz einigen unfreiwilligen Ruhm als Satirevorlage erwarb – wendet sich einer Figur zu, die in der Diskussion um den Widerstand im Dritten Reich gern vergessen wird: dem Schreiner Georg Elser, der ein Bombenattentat auf Adolf Hitler verübte.
Dieser Versuch scheiterte wegen schlechten Wetters. Nach seiner Rede im Münchner Bürgerbräukeller am 8. November 1939 plante Hitler, mit dem Flugzeug abzureisen. Im Nebel konnte die Maschine jedoch nicht abheben, er nahm den Zug. Als Elsers Bombe zum exakt eingestellten Zeitpunkt explodierte, war Hitler bereits aus dem Haus – seit 13 Minuten.
Nach dem Krieg totgeschwiegen, kam erst Ende der achtziger Jahre Dynamik in das Erinnern an Elser. Nach geschichtswissenschaftlichen Korrekturen gab es immerhin einen ambitionierten Film von Klaus Maria Brandauer 1989 – als Regie-Debüt!
Heute gilt Elser als Musterbeispiel eigenverantwortlichen Handelns auch unter widrigsten Bedingungen: Er verabscheute das System, hatte wenige Möglichkeiten zum Widerstand und nutzte diese dennoch aus. Seitdem war es zumindest nicht mehr ganz so einfach, sich als Mitläufer bei irgendetwas herauszureden: Wenn ein Handwerksgeselle zu so etwas fähig ist …
Ein Film über Georg Elser müsste diesem Umstand Rechnung tragen. Und es scheint, dass Oliver Hirschbiegels »Elser« dieser Aufgabe gerecht wird. Und vielleicht auch dieser: Wie erzähle ich es einem medial komplett zugedröhnten Publikum? Etwa so: Der Elser des Films, gespielt von Christian Friedel, ist zwar ein Mensch mit sehr vielen Facetten, aber viel Zeit hat er zu Beginn des Films nicht. Hektisch rutscht er auf Knien herum, um den Sprengsatz zu installieren. Es knallt, er gerät in eine Kontrolle, und da hat ihn die Gestapo auch schon festgesetzt, holt ihn zu Verhör und Folter aus der Zelle.
Kammerspielartige Szenen mit Arthur Nebe (Burghart Klaußner), dem Chef des Reichskriminalamtes, und Gestapo-Chef Heinrich Müller (Johann von Bülow) dienen als Rahmen. Die zwei sollen rauskriegen, wer hinter dem Attentat steht. Die Kommunisten? Eine vermeintliche Verschwörung ist erwünscht.
Ich, entgegnet Elser. Wie das zustande kommt, das wiederum erzählen die Erinnerungen Elsers, die das Verhör unterbrechen: Eindrücke von seiner Ausbildung, den Freunden, den Lieben im Heimatort Königsbronn, der Musik. Von der zunehmenden Brutalisierung und Selektierung im Alltag: Da verschwindet einer im Arbeitslager, Juden werden öffentlich gedemütigt. Andere machen plötzlich in Reiterstiefeln Karriere, die Partei bietet vieles.
Elsers Entschluss zum Attentat ist Ausdruck innerer Haltung. Der Film unterstreicht, dass man sie bewahren kann. »Kann man nicht«, rufen die beiden Beamten. Es müssen Agenten im Spiel sein, das glaubt auch Hitler, der die beiden anweist, die Hintermänner des Anschlags zu finden. Einen komplizierten Zündmechanismus zu bauen, traut man Elser nicht zu.
Der marschierende Nationalsozialismus der Massen ist weitgehend abwesend, hier ist einer der Spezialisten am Werk. Im Zentrum steht, was die Diktatur mit dem Einzelnen macht. Elser erklärt seinen Quälern, dass es unter den gegenwärtigen Bedingungen wenig Möglichkeiten zur kollektiven Aktion gibt. Seinen Attentatsplan habe er allein umsetzen müssen, er wäre sonst aufgeflogen. »Und Sie werden lachen«, sagt er. »Es hätte auch niemand mitgemacht.« Bis 1945 blieb Elser in Haft, dann wurde er hingerichtet.
Es fällt nicht immer leicht, sich auf die einzelnen Aspekte seines Lebens in den Rückblendungen einzulassen. Etwas oft trällert der kunstsinnige Handwerker ein Liedchen. Auch Szenen mit seiner Geliebten Elsa (Katharina Schüttler), die mit einem nazitreuen Säufer verheiratet ist, nehmen viel Raum ein – augenfällig konstruiert als Kontrast zu den Bildern, die zeigen, wie er in der Haft zusammengeschlagen wird.
Konkrete Politik und Hitler hingegen fehlen fast komplett. Was steht zu dem Zeitpunkt auf der Agenda in Berlin und sonstwo? Interessiert nicht. Hirschbiegel will nur den einzelnen Menschen in extremer Situation. So weit gutes Gebrauchskino.
Was den Film dann allerdings recht besonders macht: Die beiden Folterknechte Nebe und Müller sind selbst nicht ganz überzeugt von ihrem Auftrag; sie denken nicht, dass Elser Mittäter verschweigt. Nach dem anfänglichen Folterfuror, der nicht recht verfangen will, lassen sie ihn die Bombe einfach nachbauen. Schafft er’s ohne Hilfe, beweist er seine Einzeltäterschaft. Für Elser, den Präzisionstechniker, der auch als Uhrmacher arbeitete, selbstverständlich kein Problem, ein herbeigezogener Ingenieur attestiert als Gutachter die Funktionsfähigkeit seines Apparats.
Konsterniert stellen Nebe und Müller Elser zur Rede. Was ihm denn einfiele, unschuldige Menschen umzubringen, fragen die beiden Schlächter. Gerade sei die Meldung hereingekommen, dass eine weitere Person verstorben, die Opferzahl liege nun bei acht. Allesamt Kellner, Fahrer oder Servicekräfte, ganz abgesehen von den Dutzenden Verletzten.
Aus den beiden Oberpolizisten, die jeden Dreck der Welt an den Stiefeln kleben haben, scheint die tiefste Überzeugung zu sprechen, wenn sie feststellen: So etwas geht gar nicht. Elser gerät schwer in die Defensive und Erklärungsnot: »Der Zweck heiligt die Mittel.«
Manchmal geht’s nicht anders – ein klassisches Argument der Diktatur. Die irre Verkehrung der Verantwortlichkeit – die Gestapo als Hüterin der Menschenrechte – leitet über zu der philosophischen Fragestellung, die auch die Gegenwart beherrscht: Wann ist der Einsatz von Gewalt legitim?
Nicht mal, so will es der Film, der berechtigte Tyrannenmörder Elser scheint diese Frage anders beantworten zu können als mit jener Kernformel aller Täter-Rechtfertigungen. Eine Spielsituation wie im absurden Theater, mit der der ganze Film gegen den Strich gebürstet wird. Und so bleibt nach den gezeigten Vorgängen die Frage im Kinosaal: Wann hat man damit recht, wann ist Gewalt legitim? Die Diskussion ist eröffnet, und sie sollte nach jeder Vorführung stattfinden: Stimmt das so?
Hier ist ein aufweckender Film gelungen, der an aktuelle Diskurse anknüpft – aus dem anonymen Zuschauer kann ein fragender Mensch werden.

Elser (D 2015). Regie: Oliver Hirschbiegel. Darsteller: Christian Friedel, Katharina Schüttler. Kinostart: 9. April