Die Graphic Novels von Nina Bunjevac

Keine Bücher für die Heimat

In ihren Graphic Novels erzählen Nina Bunjevac, Joe Sacco und Henrik Rehr von der wechselvollen Geschichte Jugoslawiens.

Toronto, irgendwann 2012: Nina Bunjevac, Autorin und Zeichnerin, sitzt in ihrer Wohnung und bekommt Besuch von ihrer Mutter. Sie zeigt ihrem Gast ein Foto, auf dem ein Haus zu sehen ist, gelegen in den kanadischen Suburbs. Es ist das Haus, in dem die beiden in den siebziger Jahren eine zeitlang gelebt haben. Nina Bunjevac stellt viele Fragen – Antworten bekommt sie nur wenige. Die Fähigkeit ihrer Mutter, die Vergangenheit zu verdrängen, beeindruckt sie und sie will versuchen, ihre Familiengeschichte zu verstehen.
Mit ihrer Schwester und ihrer Mutter flieht Nina Bunjevac 1975 aus Kanada nach Jugoslawien, um in Belgrad bei ihren Großeltern zu leben. Zu diesem Zeitpunkt ist sie noch ein kleines Kind. Ihr Vater Peter Bunjevac und ihr Bruder bleiben zurück. Der Junge darf nicht mit, damit die Großeltern ihn nicht mit ihrer »kommunistischen Propaganda« füttern. Ihre Mutter flüchtet vor dem trinkenden Vater. Doch nicht die Trinkerei und das übergriffige Verhalten des Vaters sind das größte Problem, sondern seine Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Der Antikommunist schließt sich der Vereinigung Freedom of the Serbian Fatherland an, die in Nordamerika Bombenanschläge auf jugoslawische Botschaften und Tito-Anhänger verübt. Der jugoslawische Geheimdienst JDB reagiert auf seine Weise. Mit etwa 200 Morden und Entführungen bekämpft die Institution die Gegner der jugoslawischen Regierung, wobei Staatschef Tito persönlich die Befehle zur Ermordung erteilte. Auch Peter Bunjevac wurde vom Geheimdienst beschattet. 1977 trifft ein Telegramm in Belgrad ein: Der Vater ist gestorben. Getötet bei dem Versuch, eine Bombe in einer Garage zu bauen.
In »Heartless« thematisierte Bunjevac 2012 den Tod ihres Vaters auf unemotionale Weise in einer Kurzgeschichte. Die zentrale Frage in ihrer dieses Jahr veröffentlichten Graphic Novel »Vaterland« ist: Wie konnte Peter Bunjevac zu einem solchen Mann werden?
An manchen Stellen wirkt »Vaterland« wie ein Familienalbum. Nina Bunjevac zeichnet Familienfotos nach und betont Details, die auf den Fotos unsichtbar gemacht werden sollten. Ein Bild zeigt die Großeltern väterlicherseits – das blaue Auge der Großmutter wollte der Fotograf ursprünglich verbergen. Neben häuslicher Gewalt geht es in dem Buch aber vor allem um die Geschichte Jugoslawiens.
Wer zu diesem Thema schreibt, befindet sich schnell im Schussfeld nationalistischer Interessengruppen. Nina Bunjevac ist erfreut, dass Ivo Josipović, der ehemalige sozialdemokratische Präsident Kroatiens, eine Ausgabe von »Vaterland« gekauft hat. Dass die neue rechtskonservative Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović sich ein Exemplar der Graphic Novel zulegen würde, bezweifelt sie. Denn »Vaterland« sei »kein Buch für die Heimat«.
In seiner Kindheit lebte Nina Bunjevacs Vater als Serbe in einem von Nazis und Ustascha besetzten Dorf. Die Kroaten ergänzten die Liste unerwünschter Personen um die Serben, von denen viele im Lager Jasenovac ermordet wurden. Zudem hatte der Junge unter seinem gewaltätigen Vater zu leiden. Den Zweiten Weltkrieg hat er anscheinend nur überlebt, weil ein einsamer deutscher Soldat sich mit seiner Mutter verstand. Beide sprachen ein wenig Englisch.
In seinem Herkunftsdorf fiel Peter Bunjevac auf, weil er eine Katze in den heißen Ofen steckte. Er wird nach Split geschickt und besucht dort die Militärschule. Offiziell wegen Spionage angeklagt, kommt er für drei Jahre ins Gefängnis. Der wirklich Grund für seine Inhaftierung war seine Anhängerschaft zum Tito-Kritiker Milovan Djilas. Dabei kritisierte Djilas vor allem die Herausbildung einer neuen herrschenden Klasse innerhalb Jugoslawiens und stellte sich keineswegs grundsätzlich gegen den Sozialismus. »Zu diesem Zeitpunkt war mein Vater noch Kommunist«, betont Nina Bunjevac. Er entscheidet sich, nach Kanada auszuwandern. Während er in Österreich auf seine Ausreisegenehmigung wartet, kommt er in Kontakt mit serbischen Terroristen. Hier begegnet er zum ersten Mal Nikola Kavaja, einer Schlüsselfigur des Terrorismus serbischer Gruppen, 1969 wird er ihn auf einem Treffen serbischer Nationalisten wiedertreffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich um Kavaja bereits jene Gruppe gegründet, die mehrere Bombenanschläge auf jugoslawische Botschaften in Kanada und den USA verübten sollte.
Nina Bunjevac will diese Schilderungen über ihren Vater nicht als Relativierung verstanden wissen: »Ich habe versucht zu verstehen, warum er so geworden ist. Und ich glaube, ich habe es ganz gut begriffen. Das entschuldigt natürlich nicht, was er getan hat.« Es macht sie wütend, dass die Ideologie ihres Vaters und seiner Gruppe sich durchgesetzt hat: »Wenn wir uns die politische Situation in Serbien heute ansehen, dann kann man sagen, dass sie am Ende gewonnen haben.«
Neben der Biographie ihres Vaters schildert »Vaterland« auch die Geschichte von Nina Bunjevacs Jugoslawien, das heutzutage nicht mehr existiert. »›Vaterland‹ ist jugoslawisch, oder besser noch kanado-jugoslawisch.« An keiner Stelle spricht sie dabei von Serbien. Wenn es um ihre Herkunft geht, meint sie das blockfreie Jugoslawien: »Ich würde sagen, wir hatten das Beste aus beiden Welten.«
In den Auseinandersetzungen innerhalb ihrer Familie spiegeln sich die Kämpfe des ehemaligen Jugoslawien. Tschetniks und Ustascha gegen Partisanen, Nationalisten gegen Jugoslawen, Terror gegen Brüderlichkeit und Einheit – das sind auch die großen Kontroversen in ihrer Familie. Ihre Großmutter mütterlicherseits beispielsweise ist eine kommunistische Partisanin, die mit ihrem Schwiegersohn nicht viel anzufangen weiß.
Die Familienerzählung erstreckt sich über vier Generationen, die Geschichte der Serben und Kroaten beginnt Nina Bunjevac sogar bereits bei den Völkerwanderungen, als die slawischen Stämme auf den Balkan kamen. Die Autorin sagt hierzu: »Die Serben und Kroaten sind wie zwei Schwestern – sie sammeln parallel Erfahrungen, aber immer schauen sie nur darauf, wie unterschiedlich sie sind, nicht darauf, wie ähnlich sie sind.«
Wo Bunjevacs Graphic Novel zeitlich endet, nämlich bei den Kriegen der neunziger Jahre, beginnt »Sarajevo« von Joe Sacco. Der maltesisch-amerikanische Comiczeichner, der sich selbst als zeichnenden Journalisten begreift, verbrachte während und vor allem kurz nach dem Krieg Zeit in Bosnien und Herzegowina.
Als Kriegsberichterstatter mit dem Stift in der Hand erzählt er in seiner Graphic Novel die Geschichte der Warlords und Verbrecher, die während des Krieges das Sagen hatten. Im Zentrum der Geschichte steht der Fixer Neven. Fixer sind Kontaktpersonen, die an Ort und Stelle Dinge für Reporter organisieren, die ansonsten nicht möglich wären. Er hat großen Anteil daran, dass Sacco es schafft, die Belagerung Sarajevos zu beschreiben, ohne in Klischees zu verfallen. Man spürt in den Zeichnungen förmlich die tägliche Angst vor den Scharfschützen.
Joe Saccos Comicreportagen über Sarajevo geben die Stimmung in der Stadt wieder. Die Geschichte beginnt mit einigen alten Herren, die vor der orthodoxen Kirche in der Innenstadt Schach spielen. Die Bilder sind detailverliebt, überall lassen sich Einschusslöcher finden, von denen auch heute noch viele in der Stadt zu sehen sind.
Auch Nina Bunjevac zieht ihren Hut vor Joe Sacco: »Seine Arbeiten sind fair, das sagen auch viele Menschen, die den Bosnien-Krieg erlebt haben.« Und dann ist da noch Weihnachten mit Radovan Karadžić, der kurz nach Ende des Kriegs zum serbisch-orthodoxen Weihnachtsfest eine Kirche in Pale besucht. Er kommt mit seinem Mercedes und gibt ein sechsminütiges Interview, das Sacco mit folgenden Worten zusammenfasst: »Keine Reue wegen der Vergewaltigungen, der Konzentrationslager, der ›ethnischen Säuberungen‹, der mit aufgeschlitzten Kehlen in der Drina treibenden Toten, der zu Tausenden abgeschlachteten und in Massengräbern verscharrten Kriegsgefangenen, und auch nicht wegen der unzähligen anderen Opfer, die dieser Mann zu verantworten hat.«
Wer sich mit der Geschichte Bosnien-Herzegowinas befassen möchte, kann zu dem bereits im vergangenen Jahr erschienenen »Der Attentäter. Die Welt des Gavrilo Princip« greifen. Henrik Rehrs Schwarzweißbilder handeln von der Radikalisierung des jungen Mannes, der den Thronfolger Franz Ferdinand erschoss und damit die Entschuldigung für den Angriff auf Serbien durch Österreich-Ungarn lieferte. Dabei versucht er zu erklären, welche Umstände zu dem Attentat auf Franz Ferdinand führten. Die Lebensgeschichte von Gavrilo Princip und Franz Fedinand werden dabei detailliert und historisch korrekt erzählt – ähnlich wie bei Nina Bunjevac.

Nina Bunjevac: Vaterland. Eine Familiengeschichte zwischen Jugoslawien und Kanada. Avant-Verlag, Berlin 2015, 156 Seiten, 24,95 Euro

Joe Sacco: Sarajevo. Edition Moderne, Zürich 2015, 176 Seiten, 24 Euro

Henrik Rehr: Der Attentäter. Die Welt des Gavrilo Princip. Verlagshaus Jacoby & Stuart GmbH, Berlin 2014, 224 Seiten, 28 Euro