Die Debatte über Polizeigewalt in den USA

Fatal encounters

Der Tod Walter Scotts hat die Debatte über Polizeigewalt in den USA erneut angeheizt.

Michael Brown, Tamir Rice, Eric Garner und nun Walter Scott – die Liste der afroamerikanischen Opfer exzessiver Polizeigewalt wird immer länger. Nicht alle Fälle werden bekannt. Es gibt in den USA keine Statistik über fatal encounters mit Polizisten, die Zahl der Getöteten wird auf 400 bis 1 000 pro Jahr geschätzt. Nicht immer handelt es sich um ungerechtfertigte Gewaltanwendung (die Zahl der im Einsatz getöteten Polizisten ist bekannt, es waren 48 im Jahr 2012), doch da die Vorschriften für den Schusswaffengebrauch sehr locker sind, auch in dubiosen Fällen selten Anklage erhoben wird und fast nie ein Schuldspruch erfolgt, muss mit einer hohen Zahl von Opfern der Polizeibrutalität gerechnet werden. Ohne das Video, das die ursprüngliche Polizeiversion über Scotts Tod eindeutig widerlegte, wäre der Todesschütze wohl davongekommen.
Als sicher kann auch gelten, dass der Anteil der Afroamerikaner unter den Getöteten – wie auch unter den Gefängnisinsassen (40 Prozent) und den Hingerichteten (34 Prozent) – sehr viel höher ist als ihr Bevölkerungsanteil von 13 Prozent. In den USA gibt es, anders als in Deutschland, Gesetze und Institutionen, die ein Eingreifen der Bundesbehörden gegen Rassismus und andere Formen der Diskriminierung ermöglichen. Der Attorney General, derzeit Eric Holder, dessen Amt Befugnisse eines Justizministers mit denen eines Staatsanwalts kombiniert, kann selbst Anklage erheben, wenn dies auf lokaler Ebene unterbleibt, sowie unwilligen Städten und Distrikten eine Polizeireform aufzwingen. Zuweilen sind die Reformen erfolgreich, so gelang es etwa, dass einst berüchtigte Los Angeles Police Department weitgehend zu zivilisieren.
Solche Gesetze entstanden durch den Druck der Bürgerrechtsbewegung. Aber auch für die konsequente Anwendung der Gesetze bedarf es des Drucks, denn das Eingreifen der Bundesbehörden stößt immer auf hinhaltenden institutionellen und offenen politischen Widerstand. Proteste gegen Polizeigewalt gab es zwar in zahlreichen Städten der USA, doch fehlt derzeit eine organisierte Bewegung, die Einfluss auf die Regierung und die öffentliche Meinung nehmen könnte. Letztere ist gespalten und unterscheidet sich in den diversen Bevölkerungsgruppen. Dass die Polizei unfair gegen Minderheiten vorgeht, glauben 69 Prozent der Afroamerikaner, aber nur 29 Prozent der Weißen.
Da die Bürgerrechtler mittlerweile in den Institutionen Fuß gefasst haben und solvent genug sind, um sich die besten Anwälte leisten zu können, könnten dennoch Reformen in Gang kommen, zumal Todesschützen in Uniform die Debatte in Gang halten. Als ein Bericht des Justizministeriums der Polizei von Ferguson, wo Michael Brown erschossen wurde, rassistische Praktiken nachwies, kündigte Holder im März an, er werde das Department »auflösen, wenn es nötig ist«. Dass die Polizei den Protestierenden in Ferguson mit Kriegsausrüstung entgegentrat – das Pentagon verteilt freigebig Ausrüstung an lokale Polizeibehörden –, wird sogar von vielen Republikanern kritisiert und die Chancen, dass Polizisten in Zukunft Kameras tragen müssen, die ihre Einsätze dokumentieren, stehen nicht schlecht. Von der post-racial society sind die USA noch weit entfernt, immerhin aber sind die Voraussetzungen für weitere Reformen vorhanden, während in Deutschland weder der Tod Oury Jallohs noch der NSU-Terror Konsequenzen hatte.