Der Mord an einen prorussischen Journalisten in Kiew

Keiner von uns

In der Ukraine wurde ein prorussischer Publizist ermordet. Der Mord wird in einer Situation des grassierenden ukrainischen Nationalismus kaum verurteilt.

Es geschah auf offener Straße. Am 16. April wurde Oles Buzina in Kiew in der Nähe seines Hauses von zwei Maskierten erschossen. Die Verantwortung dafür übernahm eine Organisation namens UPA (Ukrainische Aufständische Armee), die in ihrem Bekennerschreiben ankündigte, »antiukrainische« Personen weiterhin zu bekämpfen. Denselben Namen trug die einstige nationalistische Partisanenarmee UPA, die zwar gegen Nazideutschland kämpfte, aber auch zahlreiche polnische Zivilisten und Juden umbrachte. Wer tatsächlich hinter der Ermordung steht, ist zwar noch unklar, doch die Reaktion eines großen Teils der ukrainischen Gesellschaft zeugt bereits von einer Situation, in der der Mord an Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung gebilligt wird.
Buzina war Journalist und Essayist. Ende der neunziger und Mitte der nuller Jahre moderierte er einige Talkshows in der Ukraine, 2012 kandidierte er für die prorussische Partei »Russischer Block«. Zuletzt war Buzina drei Monate lang Chefredakteur der großen russischsprachigen Zeitschrift Segodnja, einige Wochen vor seiner Ermordung hatte er gekündigt. Einen sonderbaren Ruhm hatte ihm die Veröffentlichung des Buchs »Der Vampir Taras Schewtschenko« im Jahr 2000 eingebracht. Darin wurden zwar einige Mythen um den ukrainischen Nationaldichter Taras Schewtschenko dekonstruiert – was grundsätzlich zu begrüßen ist –, doch Buzina ging es weniger um Aufklärung als um die Stärkung des russischen Chauvinismus. Er wurde damals wegen Volksverhetzung verurteilt, aber unverzüglich begnadigt. Buzina bezeichnete sich gerne als »Kleinrussen«: »Mein Ideal ist die Erneuerung des Russischen Reichs, doch ich bin gezwungen, mich an die widerwärtigen Bedingungen des ›Aufbaus‹ der unabhängigen Ukraine anzupassen.«

Bei Buzina war nicht deutlich, welche seiner Aussagen ernst gemeint und welche reine Provokation waren. Doch er forderte nie den Einsatz russischer Truppen und unterstützte keine »Volksrepubliken«. Er lehnte, trotz einiger Schlägereien, in die er während einer Pressekonferenz und einer Talkshow geraten war, die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele grundsätzlich ab. Er hatte auch nichts mit den Verbrechen des Regimes des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu tun. Einige seiner Vertreter starben in den vergangenen Monaten unter dubiosen Umständen. Zuletzt wurde 12 Stunden vor dem Mord an Buzina der ehemalige Abgeordnete Oleg Kalaschnikow erschossen aufgefunden. Im Unterschied zu ihm hatte Buzina mit der Organisation der »Anti-Maidan«-Proteste und den Repressionen nichts zu tun.
Die Reaktion der Mehrheit der ukrainischen Gesellschaft auf Buzinas Ermordung ist beunruhigend. Viele Kommentatoren, darunter einige hochrangige Staatsbeamte, behaupteten, dass es sich um eine Provokation russischer Geheimdienste gehandelt habe, mit dem Ziel einer weiteren Destabilisierung der Ukraine. Eine gewisse Skrupellosigkeit, einschließlich der mutmaßlichen Bereitschaft, Menschen in europäischen Hauptstädten zu töten, ist zwar dem Regime Wladimir Putins nicht abzusprechen. Aber konkrete Beweise für die Involvierung russischer Geheimdienste in den Mord an Buzina gibt es bislang nicht. Noch schlimmer ist, dass ein Teil der Gesellschaft Buzinas Ermordung gutheißt. »Noch ein Dreckskerl abgemurkst. Am meisten wünsche ich mir, dass es nicht um eine Auseinandersetzung wegen Schulden oder die Beseitigung von Spuren gegangen ist, sondern dass es ein klassisches Attentat im Sinne Banderas war«, schrieb etwa Borys Filatov, der ehemalige Stellvertreter des Gouverneurs der Oblast Dnipropetrowsk, auf seiner Facebook-Seite. Die Facebook-Seite des Freiwilligenbataillons OUN hieß die »Wiederbelebung der Tradition von Attentaten in der Ukraine« willkommen. Ähnliche Kommentare kamen von Vertretern der rechtsextremen Partei Swoboda und von populären rechten Bloggern.

Was fehlt, ist eine bedingungslose Verurteilung politischen Terrors sowie der Konsens, dass niemand wegen seiner Ansichten ermordet werden darf. Nur wenige Journalisten haben ihr Mitleid ausgesprochen und sich mit dem Ermordeten solidarisiert. Der berühmte Slogan »Je suis … «, der in der Ukraine bereits zu mehreren Anlässen ge- und missbraucht wurde, kam im Fall von Buzina nicht zur Anwendung. Nicht weniger beunruhigend ist, dass nicht erkannt wird, welche ernste Gefahr vom ukrainischen Nationalismus ausgeht, obwohl einige seiner Vertreter sich zum Mord bereit erklären.
Da das auf Ukrainisch verfasste Bekennerschreiben der UPA angeblich mehrere russische Lehnwörter enthält, wurde es von den zuständigen Behörden sofort für gefälscht erklärt. Der Direktor der Hauptermittlungsabteilung des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts, Wasyl Wowk, meinte zudem, dass es keine Hinweise auf rechtsextreme Inhalte gebe. Die fragliche Organisation habe nach den Informationen des Dienstes nie existiert. Diese Behauptung ist bemerkenswert. Im Januar 2014 übernahm nämlich eine Organisation namens UPA die Verantwortung für die Ermordung eines Polizisten in Kiew.
Die Äußerungen mehrerer hochrangiger Beamter lassen zweifeln, dass die Ermittlungen unvoreingenommen geführt werden. Der passende Verdächtige scheint bereits festzustehen, ukrainische Nationalisten sollen es nicht gewesen sein.