Golden Misabiko im Gespräch über Atomkraft in Afrika

»Atomkraft ist für mich nicht verhandelbar«

Noch ist die Nutzung von Atomenergie in Afrika wenig verbreitet. Als zweites afrikanisches Land nach Südafrika will nun Ghana Atomkraftwerke bauen; die Zustimmung der Internationalen Atomenergiebehörde liegt bereits vor. Nigeria, Marokko, Kenia, Namibia, der Senegal und Uganda haben ähnliche Pläne. Der kongolesische Aktivist Golden Misabiko kämpft seit 20 Jahren gegen den Abbau von Uran und die Nutzung von Atomenergie auf dem afrikanischen Kontinent. Im vergangenen Jahr wurde Misabiko für seine Arbeit mit dem Nuclear-Free Future Award ausgezeichnet. Die Jungle World sprach mit ihm über seine jahrzehntelange Arbeit und den Abbau von Uran in der Demokratischen Republik Kongo.

Sie arbeiten seit den neunziger Jahren als Menschenrechtsaktivist. Damals war Mobutu Sese Seko noch Präsident von Zaire. 1997 wurde er gestürzt und das Land in Demokratische Republik Kongo umbenannt. Bevor Sie sich dem Thema Uranabbau widmeten, kritisierten Sie bereits Menschenrechtsverletzungen, wurden verfolgt und verhaftet. Wie sah Ihre Arbeit in den neunziger Jahren aus?
Als 1996 der Krieg im Osten des Kongo begann, war ich schockiert. Ich versuchte, meinen Einfluss als Menschenrechtsverteidiger zu nutzen und fuhr mit einem Team aus zivilgesellschaftlichen Führungspersonen, Menschenrechtsaktivisten und einigen Politikern nach Kinshasa. Ich wollte die Parlamentsmitglieder davon überzeugen, dass sie alles tun müssen, um diesen Krieg zu verhindern, aber sie hörten mir nicht zu. Manche fragten sogar, ob ich neidisch sei – auf diese Bewegung, die Mobutu fortjagen und Wandel bringen würde. Sehr bald wurde dann aber klar, dass die Rebellengruppen, die in den Kongo kamen, grundlegende Menschenrechte in keiner Weise respektierten.
In Europa herrscht bis heute ein weithin sehr verzerrtes Bild des Kongo vor, es geht primär um Rebellen, Diktatoren und Warlords. Wie erklären Sie sich, dass das zivilgesellschaftliche Engagement im Land in Europa nicht wahrgenommen wird?
Das ist wirklich ein haarsträubendes Bild vom Kongo. Der Kongo gehört zu den Ländern, in denen die Zivilgesellschaft besonders aktiv war. Wir kämpften über Jahrzehnte dafür, das Land positiv zu verändern und dieser Kampf basierte darauf, die Menschen über ihre Rechte als Bürger aufzuklären. Als die Menschenrechtsbewegung noch stark war, war der Kongo das erste Land, das einen Minister für Menschenrechte besaß – und das unter Mobutu! Der Druck der Zivilgesellschaft war so hoch, dass Mobutu sich genötigt sah, dieses Ministerium zu gründen. Er musste die Menschen beruhigen. Es war natürlich ein strategischer Zug von ihm, zu sagen: Schaut her, ich bin der erste Präsident in Afrika, der ein Ministerium für Menschenrechte schafft – ich bin nicht der Diktator, für den ihr mich haltet.
Die Zivilgesellschaft war also in den neunziger Jahren stärker als heute? Wann veränderte sich das?
Die Zivilgesellschaft war so stark, dass sie Mobutu zwang, eine nationale Konferenz einzuberufen, in der verschiedene Gruppen und Bürger über die Zukunft des Landes diskutierten. Mobutu spielte natürlich ein scheinheiliges Spiel und beeinflusste die Entschlüsse der Konferenz. Viele, die hiervon frustriert waren, beteiligten sich an der Rebellion von 1996, um Mobutu zu stürzen. Es war eine Art Racheakt gegen Mobutu, der mit schrecklicher Brutalität einherging. Diese Bewegung, angeführt von Laurent Kabila, kam und zerstörte den Geist der Demokratie und Menschenrechte, der im Kongo aufgekeimt war. Als diese Leute kamen, nahmen sie die Anführer der Zivilgesellschaft ins Visier. Sie beschuldigten sie, gegen Mobutu nicht genügend Widerstand geleistet zu haben.
Um sich gegen die nahende Rebellion zu wehren und seine Armee zu finanzieren, öffnete Mobutu 1997 die Uranmine Shinkolobwe in der Provinz Katanga. War dies der Zeitpunkt, an dem Sie zum Thema Uranabbau aktiv wurden?
Bereits als Teenager machten mir die Bilder der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki Angst. Die Bombe von Hiroshima wurde mit Uran hergestellt, das wesentlich aus der Mine in Shinkolobwe kam, die in der Nähe meiner Heimatstadt liegt. Sich gegen den Abbau von Uran einzusetzen, ist für mich vor diesem Hintergrund selbstverständlich. Die Shinkolobwe-Mine wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen. Offiziell ist sie das bis heute. Funktionäre des Regimes aus Kinshasa wissen aber, dass das Erz aus Shinkolobwe einen extrem hohen Urangehalt von bis zu 65 Prozent aufweist. Sie schicken ihre Mittelsmänner aufs Land, um den Abbau zu organisieren. Tag und Nacht sieht man Lkws aus der Mine fahren. Die Grenzposten werden bestochen und so passieren die Lastwägen ungehindert die Grenzen. Die Menschen, die das Uran abbauen, arbeiten ohne Schutzkleidung und verdienen weniger als zwei US-Dollar pro Kilo. Man kann förmlich sehen, wie ihr Leben dahinschwindet und die Friedhöfe wachsen.
2009 wurden Sie verhaftet, da Sie einen Vertrag kritisiert hatten, der dem französischen Atomkonzern Areva den Abbau von Uran auf dem gesamten kongolesischen Territorium erlaubt. Dank des Drucks internationaler Organisationen wurden Sie wieder freigelassen, leben aus Sicherheitsgründen jedoch seither im Ausland. Wie kam dieser Vertrag zustande?
Am 26. März 2009 besuchten der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy und die damalige Chefin von Areva, Anne Lauvergeon, die Demokratische Republik Kongo. Obwohl ihr Besuch im Kongo nur fünf Stunden dauerte, schlossen sie einen Vertrag ab, der Areva die Exploration und Förderung von Uran auf dem gesamten kongolesischen Staatsgebiet erlaubt. Anne Lauvergeon sagte Radio France International und dem Congo National Radio and Television, dass der Vertrag der wichtigste in der Geschichte des Unternehmens sei und den Neid vieler hervorrufen würde. Gemeinsam mit meinem Team schrieb ich einen Bericht, der diesen Vertrag kritisierte und aufzeigte, wie die kongolesische Regierung ihre Bürger hintergangen hat, indem sie unter Ausschluss jeglicher öffentlichen Diskussion einem einzigen Konzern ein Monopol für den Uran-abbau gewährt hat. Kurz darauf wurde ich verhaftet und wegen »Verletzung der Staatssicherheit« angeklagt. Durch diese Geschichte wurde meine Arbeit stärker international bekannt, sie erfuhr sehr viel Solidarität und Mitgefühl.
Warum ist internationale Solidarität beim Thema Uranabbau und Atomenergie wichtig?
Die Kolonisierung war eine schreckliche Erfahrung für den afrikanischen Kontinent. Heute erleben wir einen Neokolonialismus – vor allem was die Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie Uran angeht. Der Niger ist der viertgrößte Produzent von Uran weltweit und nimmt gleichzeitig den letzten Platz auf dem Index menschlicher Entwicklung der Vereinten Nationen ein. Das zeigt, dass diese Industrie keinerlei Form von Entwicklung ermöglicht. Wenn die Regierung im Niger sich mit dem französischen Energiekonzern Areva nicht auf den Uranpreis einigt, den letzterer wünscht, wird sie verjagt. Das ist Neokolonialismus. Frankreich diktiert die Politik im Niger. Der Uranabbau als neokoloniales Projekt ist dabei ein noch schlimmeres Übel als der ursprüngliche Kolonialismus. Denn wenn Uran in die Hände skrupelloser Menschen gelangt, kann es die ganze Welt zerstören. Daher rufen wir zu Solidarität auf, um gemeinsam das Problem des Abbaus natürlicher Ressourcen zu lösen. Die natürlichen Ressourcen Afrikas müssen Afrika und dessen Menschen zugutekommen.
Auch einige afrikanische Politiker argumentieren, dass das Uran für die Bedürfnisse ihrer eigenen Länder verwendet werden soll und sie eigene Atomkraftwerke brauchen. Als zweites Land in Afrika möchte Ghana Atomkraftwerke bauen und hat bereits die Zustimmung der Internationalen Atomenergiebehörde hierfür. Den Bau von Atomkraftwerken in Nigeria, Marokko und Kenia will die Atomenergiebehörde noch in diesem Jahr prüfen. Wie stark sind die politischen Interessen, die sich für einen Uranabbau in Afrika einsetzen, um dieses Uran für die eigene Energiegewinnung zu nutzen?
Ja, es gibt derzeit den Trend in Afrika, in die Uranproduktion und Atomtechnologie einzusteigen. Dessen Verfechtern entgegne ich, dass wir in Afrika nicht die Technologie dafür besitzen und dass selbst die Länder, die viel Erfahrung mit Atomtechnik haben, die Unfälle von Tschernobyl und Fukushima nicht verhindern konnten. Das Problem ist doch, dass ein nuklearer Unfall das Verständnis auch der intelligentesten Experten dieser Welt übersteigt. Atomkraft ist für mich nicht verhandelbar!
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für eine internationale Solidarität gegen den Abbau von Uran?
Viele Menschen schließen sich uns an, aber viele sind vom Wert solidarischer Aktionen nicht überzeugt. Wir machen Kampagnen, aber wir erschaffen Solidarität nicht wirklich als Institution, die unsere Mission trägt. Dennoch verdanke ich meine Freilassung internationaler Solidarität, die Druck auf die kongolesische Regierung ausübte, und aufgrund internationaler Unterstützung ist es mir möglich, meine Arbeit aus dem südafrikanischen Exil weiterzuführen. 2012 sprach ich in der malischen Hauptstadt Bamako bei einer Konferenz gegen Uranabbau und die Menschen applaudierten mir. Es ist sehr wichtig zu spüren, dass man in diesem Kampf nicht alleine ist und frei sprechen kann.