Das Theaterfestival »Männlich, Weiß, Hetero«

Nur bei Jens Friebe läuft weiter die Sportschau

Es ging um Critical Whiteness, Selbstkritik und die bürgerliche Klasse: Das Berliner HAU knöpfte sich im Rahmen eines Festivals die Privilegien der weißen, männlichen Heteros vor.

Die Frage lautet, ob wir wirklich einer Krise des melancholischen heterosexuellen männlichen Subjekts beiwohnen – oder ob seine Hartnäckigkeit nicht gerade in der Fähigkeit besteht, sich selbst permanent in Zweifel zu ziehen und zu reflektieren.« Dies ist keine Seminarankündigung in den Kulturwissenschaften, Gender Studies oder einer anderen geisteswissenschaftlichen Disziplin, sondern ein Auszug aus dem Programmheft eines Theaterfestivals. Am Theater Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin fand vom 12. April bis zum 3. Mai der Kongress »Männlich, Weiß, Hetero – Ein Festival über Privilegien« statt. Das begleitende wie erläuternde Programmheft widmete sich dem Begriff des Privilegs. So heißt es: »Jede Person, die nicht mit den Attributen der Machtposition ›Männlich Weiß Hetero‹ ausgestattet ist, muss mit der Erfahrung umgehen, dass selbst in aufgeklärten Gesellschaften wie der, in der wir leben, die Chancen nach wie vor ungleich verteilt sind. Und das betrifft weitaus mehr als ›nur‹ die materiellen Güter. Die strukturelle Ungerechtigkeit ist auf derart alltägliche Weise spürbar, dass man sich fast nicht mehr traut, darüber zu sprechen.« Man könnte natürlich bezweifeln, dass wir – wer auch immer mit »wir« apos­trophiert wird – derzeit in einer sonderlich aufgeklärten Gesellschaft leben, man könnte auch bezweifeln, ob sich zurzeit fast niemand mehr traut – außer dem HAU? –, über alltägliches Unrecht zu sprechen, doch die angesprochene Ungerechtigkeit existiert zweifellos.
Doch ist die Ungerechtigkeit mit dem populären Konzept der Privilegien überhaupt richtig beschrieben? Queer Theory und Critical Whiteness haben sich inzwischen akademisch etabliert, Strukturalismus und Kommunikationstheorie haben das Konzept von Gesellschaft seines materiellen Zusammenhangs beraubt, Hegel und Marx sind aus der Theorie verbannt. Ungleichheit wird nun als Kommunikationsakt verstanden. Indem die einzelnen Individuen ausschließlich in ihrem Verhältnis zueinander, aber nicht in dem Verhältnis zur kapitalistischen Totalität begriffen werden, mündet das Privilegien-Konzept in der moralischen Kritik und Selbstkritik. So ist im Programmheft viel von Strukturen und Diskursen die Rede, Eigentumsordnung und Produktionsverhältnisse werden ausgespart. Weiter heißt es, dass das »Benennen von Privilegien hilft, die Scham darüber abzulegen, Vorrechte zu haben«. Ob das permanente schamlose Reden über die eigenen Privilegien wirklich ein Fortschritt des Bewusstseins ist, sei einmal dahingestellt. Abgedruckt ist auch ein Auszug aus dem neuen Buch von Paul B. Preciado, Verfasser des »Kontrasexuellen Manifests«, in dem »die Einnahme von Testosteron als die ultimative Befreiung heterosexuell normierter Körper« proklamiert wird.
Was passierte auf der Bühne? Wer wütende Kritik der herrschenden Verhältnisse erwartete, wurde enttäuscht. Radikales politisches Theater konnte man am selben Wochenende beim Berliner Theatertreffen sehen, das mit Elfriede Jelineks Stück »Die Schutzbefohlenen« eröffnete. Am HAU ging es eher zurückhaltend zu. Das zentrale Stück des Festivals war »Straight White Men«, geschrieben und inszeniert von Young Jean Lee. Die Dramatikerin wurde von der New York Times als »die experimentierfreudigste New Yorker Stückeschreiberin ihrer Generation« bezeichnet. Formal handelt es sich um einen konventionellen Dreiakter im Sitcom-Arrangement.
Es ist Weihnachten in einem typischen Mittelschichtseigenheim irgendwo im Mittleren Westen. Plastikweihnachtsbaum, Couch, Bücherregal und Hometrainer konstituieren das naturalistische Bühnenbild. Die Familie trifft sich; und weil die Mutter verstorben ist, handelt es sich um den Vater und seine drei Söhne – straight white men in Jeans und Holzfällerhemd oder zur Pyjamaparty im Nachtgewand. Die jungen Männer sind ganz verschieden: Matt hat während seines ausufernden geisteswissenschaftlichen Studiums Schulden angehäuft und wohnt wieder im Haus des Vaters, wo er die Rolle der Haushaltshilfe einnimmt. Nebenbei hat er eine befristete Anstellung als Hilfskraft in einer Wohltätigkeitsorganisation. Drew ist erfolgreicher Autor und Literaturdozent, Jake ein workout-versessener Banker. Man spielt »Monopoly«, das hier »Privilege« heißt. Die Ausredekarte: »Was ich gesagt habe, war nicht sexistisch/rassistisch/homophob, weil ich einen Witz gemacht habe. Zahle 50 Dollar an das Schwul-lesbische Sozialzentrum.« Man klagt sich gegenseitig sein Leid in der neoliberalen Selbstoptimierungsmaschinerie. Drew weiß, dass man in dem ganzen Wahnsinn bloß nicht depressiv werden darf, und Jake weist immer wieder auf das Unrecht hin, welches seinem Beruf als Banker zugrunde liegt. Nur Matt ist aus unerfindlichen Gründen traurig. Der Vater vermutet ein finanzielles Problem, Drew ein psychologisches, Jake ein politisches. Aber Matt verweigert sich allen Erklärungsversuchen, er ist eine Bartleby-Figur: »I would prefer not to.« So endet das Stück. Es verweist ins Nichts. Die geheuchelte Selbstreflexion im weißen Mittelschichtsmilieu wird der Lächerlichkeit preisgegeben, die Enge und Borniertheit der bürgerlichen Kleinfamilie vorgeführt.
Ebenfalls zum Festival eingeladen war eine Inszenierung des belgischen Regisseurs Luk Perceval: »Platonow« ist ein frühes Stück Anton Tschechows, das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Irgendwo in der russischen Provinz treffen sich die zur Untätigkeit verdammte bürgerliche Klasse und das höhere Beamtentum des Zarenreichs; ein Arzt, ein Dorflehrer, die Generalswitwe hat zur Frühlingsfeier in ihr Landhaus geladen. Nachdem die Kälte des Winters verschwunden ist, beklagt man die Hitze. Die Stimmung schwankt zwischen Langeweile und Zynismus, Vergänglichkeit und Naturzerstörung sind weitere Gesprächsthemen. Die Liebe ist kompliziert: Entweder ist sie vergangen oder sie wird nicht erwidert – und grundsätzlich scheint sie sich nur außerhalb der und im Widerspruch zur Ehe zu entwickeln. Und natürlich taucht im ersten Akt ein Gewehr auf, welches im letzten benutzt wird: ein klassisches Tschechow-Drama also. Es gibt keine Handlung, es kommt kein Dialog zustande. Bei Tschechow ist beispielhaft beschrieben, wie sich die Menschen in ihrer absurden Form der Gesellschaft gegenseitig ein Hindernis sind.
In seiner musikalischen Revue sang Jens Friebe über den weißen männlichen Hetero: »Ich schaue Sportschau und trinke Bier, schlafe nur mit Frauen, nenn mich queer.« Der sanfte Spott gegen die Kritiker der Privilegien legt die Vermutung nahe, dass der Kulturbetrieb den Auswüchsen von Queer Theory und Critical Whiteness, bei grundsätzlicher Sympathie für solcherlei postmodern verquastes Rebellentum, doch nicht recht traut.