Rassismus-Debatte in den USA nach den Morden in Charleston

Ein Kreuz mit den Sternen

Nach dem Mord an neun schwarzen Gottesdienstbesuchern in Charleston wird in den USA viel über die Südstaatenflagge als Symbol der Sklaverei diskutiert. Dabei wäre eine generelle Debatte über rassistische Diskriminierung nötig.

Es war nicht die erste Trauerrede, die er in seiner Amtszeit halten musste, das hatte er zuvor selbst gesagt. Am Freitag voriger Woche hielt US-Präsident Barack Obama in einem Stadion in Charleston im US-Bundesstaat Georgia eine bewegende Trauerrede für die neun Opfer des mutmaßlichen Todesschützen Dylann Roof. 2009 wurden auf dem Air Force-Stützpunkt Fort Hood in Texas 13 Menschen von einem Massenmörder erschossen, 2011 kam es in Tucson, Arizona, zu sechs Todesopfern, ein Jahr später fielen in einem Kino in Colorado zwölf Menschen einem Massenmörder zum Opfer, und in einer Grundschule in Connecticut wurden im Winter 2012 insgesamt 27 Menschen ermordet, darunter 20 Kinder. Warum gerade in den USA solche Massaker nunmehr fast zur Tagesordnung gehören, ist umstritten.
Sicherlich trägt die weite Verbreitung von Schusswaffen erheblich dazu bei. Doch schärfere Waffengesetze sind im derzeitigen politischen Klima undenkbar. Das Meinungsforschungsinstitut Pew Research veröffentlichte jüngst eine Umfrage, der zufolge nur 46 Prozent aller Befragten für striktere Waffengesetze sind. 1990 waren es noch 78 Prozent. Dabei wären solche Gesetze vermutlich auch gar nicht notwendig. Der konservative Kommentator David Frum argumentiert in dem Magazin The Atlantic überzeugend, dass allein die strikte Einhaltung der bereits bestehenden Gesetze einen erheblichen Unterschied machen könnte. So dürfen zum Beispiel Menschen mit Vorstrafen fast jeder Art sowie Menschen mit psychischen Störungen oder Drogensüchtige legal keine Waffen erwerben. Sie schaffen es aber, weil Waffenhändler die nötige Überprüfung oft nur halbherzig vornehmen. Durch die striktere Einhaltung bestehender Gesetze würde man nicht alle solche Mordtaten verhindern, aber man würde sie reduzieren.

Man könnte meinen, dass das ein Punkt ist, in dem Progressive und Konservative zusammenkommen könnten, wenn sie sich auch sonst auf nichts einigen können; so zum Beispiel auf die Hintergründe der Tat vom 17. Juni in Charleston. Dabei ist das Motiv des 21jährigen mutmaßlichen Todesschützen Roof ziemlich klar: Er ist Rassist. Er stellte rassistische Manifeste ins Internet, dazu Fotos, auf denen er mit den Emblemen des südafrikanischen Apartheid-Regimes zu sehen war, ebenso mit der Flagge Rhodesiens, dem heutigen Zimbabwe, das bis zur Unabhängigkeit 1980 von einer weißen Minderheit brutal regiert wurde. Auch mit der Flagge der Südstaaten der USA aus der Zeit des Sezessionskriegs von 1861 bis 1865 zeigte er sich gern. Gerade diese Flagge ist nun immer mehr in die Kritik geraten. In einigen der Südstaaten der USA war es bis vor kurzem keineswegs ungewöhnlich, die Flagge auch vor Regierungsgebäuden wehen zu sehen. Für viele Schwarze und Bürgerrechtler ist das ein Affront. Doch manche – fast ausschließlich weiße – Konservative sehen sie als harmloses Relikt eines verloren gegangenen way of life. Das ist falsch. In der Kriegserklärung Mississippis aus dem Jahr 1861 steht beispielsweise deutlich, dass sich die Position der Südstaaten »vollständig mit der Institution der Sklaverei identifiziert«. Man kann so etwas nicht als bloße Nostalgie abtun, die Flagge ist ein Symbol rassistischer Unterdrückung.

Das hat auch Präsident Obama erkannt und in seiner Trauerrede angemerkt. Doch manche Konservative in den USA tun den Massenmörder als psychisch gestörtes Individuum ab. Sie machen es sich zu einfach. In den USA ist die Messlatte für psychische Unzurechnungsfähigkeit vor Gericht sehr hoch, und Roof wird sie kaum erreichen können. Er betrat die Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston am 17. Juni gegen acht Uhr morgens. Die 1816 von Afroamerikanern gegründete Kirche galt während der Bürgerrechtsbewegung als Sammelpunkt und sicherer Ort. Roof las eine Stunde lang mit Pastor Clementa Pinckney und elf anderen in der Bibel. Später soll Roof gesagt haben, dass es ihm schwer gefallen sei, seine Tat auszuführen, weil alle so nett zu ihm gewesen seien. Dennoch zog er eine Faustfeuerwaffe vom Kaliber 45. Sein erstes Opfer war die 87jährige Susie Jackson. Ihr 26jähriger Neffe Tywanza Sanders versuchte noch, mit dem Täter zu reden. Warum er das tue, wollte Sanders angeblich wissen. Er müsse es tun, soll Roof Zeugen zufolge gesagt haben. »Ihr vergewaltigt unsere Frauen und reißt unser Land an euch. Und ihr müsst weg.« Sanders wollte den Täter aufhalten und wurde erschossen. Roof feuerte weiter um sich, er schrie dabei rassistische Beschimpfungen und rief: »Ihr wollt beten? Ich gebe euch einen Grund zum Beten!« Auch Pinckney, der nicht nur Pastor, sondern auch Senator in South Carolina war erschoss Roof. Nur eine Frau, Sanders’ Mutter, ließ er bewusst am Leben, damit jemand später seine Tat bezeugen könne. Sanders’ fünfjährige Nichte überlebte, weil sie sich tot stellte. Fünf Mal lud Roof seine Waffe nach, allein diese Tatsache dürfte es für die Verteidigung unmöglich machen, auf geistige Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren. Die Rechtslage ist eindeutig: Wer nachlädt, handelt kalkuliert.
Vielleicht muss man sich Roof als völlig rationalen Menschen vorstellen. Seine Motive sind eindeutig und seine Tat ist in ihrer grauenvollen Konsequenz erschreckend logisch. Er wusste genau, was er tat. Roof war inspiriert von der neonazistischen Ideologie, wie sie durch die »Turner Diaries« verbreitet wird, die von der Unausweichlichkeit des Rassenkampfes in den USA ausgehen. Nach dem Massaker wollte sich Roof angeblich selbst das Leben nehmen, hatte aber keine Munition mehr. Er floh, wurde aber noch am selben Tag verhaftet. Eine Zeugin rief die Polizei, nachdem sie ihm im Auto gesehen und aus den Nachrichten erkannt hatte – zudem hatte sie einen Aufkleber der Südstaatenflagge auf seiner Stoßstange gesehen.
Wer Roof für irre erklärt, ignoriert den immer noch grassierenden Rassismus in den USA, die systematische Unterdrückung, die Schwarze jahrhundertelang erfahren haben und die schwierigen Lebensumstände, mit denen sie größtenteils auch heute noch konfrontiert sind. Natürlich werden manche argumentieren, dass in den USA Morde auch von Schwarzen begangen werden, was stimmt. Aber sie tun es so gut wie nie verbunden mit rassistischen Absichten. Roofs Tat war die letztliche Konsequenz eines Denkens, das bis vor sehr kurzer Zeit in den USA noch kulturell hegemonial war. Die Debatte über das Zeigen rassistischer Symbole, wie die Südstaatenflagge, wäre zwar auch einmal angebracht, lenkt aber ab von der eigentlich notwendigen Debatte. Auch hier hat Präsident Obama bei seiner Trauerrede den Finger in die Wunde gelegt. Der Bürgerrechtsorganisation NAACP (National Association for the Advancement of Coloured People) zufolge sitzen in den USA sechs Mal so viele Schwarze wie Weiße im Gefängnis, obwohl sie nur ein Viertel der Bevölkerung ausmachen und prozentual nicht mehr Verbrechen begehen als andere Gruppen. Aber auch bei den Arbeits- und Wohnverhältnissen sehen sie sich erheblicher Diskriminierung gegenüber. Die USA müssten tiefgreifende strukturelle Reformen angehen. Stattdessen wird über Flaggen gestritten.