Die Serie »Orange Is the New Black«

Knast ist die neue Freiheit

Die Web-Serie »Orange Is the New Black« genießt nicht nur Kultstatus, sondern wird auch als Gesellschaftskritik vermarktet. Dabei ist das Comedy-Drama nichts weiter als ein queerer Schulmädchen-Report hinter Gittern.

Die Begeisterung nicht nur der queeren Netflix-Community für die Erfolgsserie »Orange Is the New Black« kennt keine Grenzen. Das Format nun einfach kulturindustriellen Unsinn sein zu lassen und nicht weiter zu beachten, wird einem vor allem durch das Feuilleton schwergemacht. Selbstverständlich sind manche Serien charmanter oder zumindest weniger grässlich als andere; sie als Gesellschaftskritik zu präsentieren, verlangt jedoch nach entschiedenem Einspruch. Aber vorerst für jene, die die Serie nicht kennen, eine knappe Zusammenfassung: Piper Chapman, eine New Yorkerin der oberen Mittelklasse, muss aufgrund einer früheren Beteiligung an einem Drogendeal 15 Monate hinter Gittern verbringen. Angestiftet wurde sie damals von ihrer ehemaligen Geliebten Alex, die ebenfalls in selbiger Haftanstalt ihre Strafe absitzt. Inwieweit es nun eher die kriminelle oder aber die lesbische Vergangenheit Chapmans ist, die ihren Verlobten und den ganzen familiären Anhang mehr überrascht beziehungsweise verstört, bleibt hierbei vorerst unklar. Wichtig für die Glaubwürdigkeit scheint der Umstand zu sein, dass die Serie auf dem autobiographischen Roman »Orange Is the New Black: My Year in a Women’s Prison« von Piper Kerman basiert.
Einen Einblick in das von der Serie bediente Bedürfnis nach Authentizität liefert die Besprechung in der Sissy, dem österreichischen »Magazin für den nicht-heterosexuellen Film«. Dort beschreibt Sophie Strohmeier die stereotype Darstellung der »Gruppe exzentrischer Hausgenossinnen« als Mittel zur »Zeichnung verschiedener, vielfältiger Frauenfiguren, die den unterschiedlichsten Herkunfts-, Gesellschafts-, Alters-, und Religionsgruppen entstammen, sowie einer großen Bandbreite von Gender- und sexuellen Orientierungen angehören«. Diversity und ihre sogenannte Sichtbarkeit als »düsteren Realismus« statt als bloße Ausdifferenzierung der Erscheinungsformen des Warencharakters zu deuten, ist an sich schon ideologisch, jedoch keineswegs das eigentlich Dramatische. Die Häme, mit der der Einstand von Yuppie-Frau Chapman im fiktiven Gefängnis Litchfield Penitentiary begleitet wird, transportiert neben der suggerierten Authentizität, die von den wahren Underdogs ausgeht, zugleich eine nachholende Rache an der in der bürgerlichen Mitte »angekommenen« und von der sexuellen Identität abgefallenen Lesbe. Die implizite Drohung, dass der Status in der Gesellschaft immer ein prekärer ist, den man schneller, als einem lieb ist, verlieren kann, wird positiv gewendet, der Einstieg in die maßlos überhöhte (Not-)Gemeinschaft erscheint als etwas Erstrebenswertes dargestellt wird. Die gesamte Haftzeit hat somit das Flair eines Aufenthalts im Ferienlager, was die Autorin der Romanvorlage dadurch unterstützt, dass sie in Interviews verlauten lässt, dass sie »an einem reinen Mädchen-College gelernt« habe. »Ich habe«, sagte sie gegenüber dem Focus, »deshalb immer gesagt, dass das Gefängnis nicht meine erste Erfahrung war, mit ganz vielen Frauen eingeschlossen zu sein.«
Die Ästhetik des Schulmädchen-Reports hinter Gittern zeugt von demselben männlichen Blick, den die Serie auf überspitzte und fast gelungene Weise zu karikieren versucht. Auffällig ist, dass eine Szene, die schon kleinste verbale Abweichungen von einem als korrekt definierten Diskurs als massive Grenzverletzung betrachtet, Gefallen findet an einer Sexualität, die wohl kaum von noch mehr Zwang geprägt sein könnte. Der queere Widerspruch, der daraus entsteht, dass ausschließlich die sichtbare Erscheinung, jedoch nie eventuelle Hintergründe beleuchtet werden, sieht hier wie folgt aus: Die heterosexuelle romantische Zweierbeziehung wird aufgrund ihres groben Bezugs zur Ehe denunziert und Homosexualität, die der heterosexuellen ausschließlich voraus hat, niemals der Fortpflanzung zu dienen, ausgerechnet an der Stelle gefeiert, wo sie ökonomischer und barbarischer nicht sein könnte. Gefängnisbeziehungen zu glorifizieren, heißt immer, den Zwang zu unterschreiben, der sie erst herbeiführte.
Oscar Wilde sagte einmal, dass der Mensch nur in freiwilligen Vereinigungen schön sei. Auch wenn selbst außerhalb des Gefängnisses die dazu erforderliche Mündigkeit meist nicht gegeben ist, legitimiert dies noch lange nicht dazu, sich dem direkten Gegenteil in seiner ganzen Hässlichkeit zuzuwenden. Die »prison wives« sind direkter Ausdruck von Herrschaft und jede Ideologie von Konsensualität verschweigt dies nicht nur, sondern ist im gleichen Zuge sogar affirmativ, da sie alle Erkenntnisse von Studien über Sexualität im Strafvollzug sowie die Arbeit zahlreicher Organisationen wie »Stop Prison Rape« und »Just Detention International« verhöhnt.
Allein in den USA werden jährlich 200 000 Sträflinge sexuell missbraucht – dies betrifft 67 Prozent aller Insassen, die unter dem Label LGBT gefasst werden. Zu vermuten ist, dass die Dunkelziffer in beiden Fällen deutlich höher liegt. Dazu kommt der Fakt, dass viele Personen mit einschlägigen Knasterfahrungen »freiwillig« in eine sexuelle Beziehung eintreten, um von der betreffenden Person vor Übergriffen anderer geschützt zu werden. In der Fachliteratur wird dieses Sexualverhalten als »survival driven« bezeichnet.
Für Sissy hingegen sind Gefängnisfilme »mit all ihrer ausgestellten Erotik für ein queeres Publikum von heute doch recht attraktiv«. Durch die sexuellen Handlungen offenbart sich das phantasierte Gefängnis als eine Art queeres correctional camp, in dem die Betreffenden von ihrer Heterosexualität kuriert werden. »Der Reiz der Serie nährt sich von einer abgekapselten Alternativwelt«, die das queere Bedürfnis nach Frei-, Frauen- und Schutzräumen genauso befriedigt wie jenes nach einer verschworenen homogenen Gemeinschaft jenseits der Realität.
Doch weder ist das Gefängnis ein Ort, der in einem positiven Sinne abgetrennt von der Gesellschaft ist, noch eine Alternative zu dieser, sondern vielmehr ihr radikalster Ausdruck. Die Begeisterung der queeren Szene für diese Serie und die durch sie vermittelten gewaltigen Projektionsleistungen des eigenen Begehrens spiegeln nicht zuletzt deren eigene repressiven Vorstellungen von gleichmachender Diversity. In diesem Sinne ist die komplette Abwesenheit der Privatheit im Strafvollzug nichts anderes als die ständig eingeforderte Sichtbarkeit in letzter Konsequenz – so wie auch die orangefarbene Uniform den herrschenden Identitätszwang auf die Spitze treibt. Für die Rezensentin Sophie Strohmeier ist die Serie »ein bewusster Schritt in eine eigene Art Gefängnis«. Bleibt nur zu hoffen, dass dabei nicht allzu viele mitgehen.