Die Prozesse gegen einen SS-Mann und einen Jihadisten

Aufarbeiternation

Vergangene Woche wurden ein SS-Mann und ein Jihadist von deutschen Gerichten verurteilt. Die beiden Prozesse zeigen, was sich eine Weltmacht erlauben kann, die aus Auschwitz gelernt zu haben glaubt.

Gleich zwei Strafverfahren mit großer öffentlicher Anteilnahme gingen in der vergangenen Woche mit Schuldsprüchen zu Ende. In Lüneburg wurde der SS-Mann Oskar Gröning wegen seiner als Beihilfe zum Mord an 300 000 Menschen beurteilten Tätigkeit in Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt. In München erhielt ein junger Mann wegen Mitgliedschaft in der als ausländische terroristische Vereinigung eingestuften »Junud al-Sham« und der Beihilfe zum versuchten Mord in mindestens 400 Fällen sowie in einer unbestimmten Zahl weiterer Fälle eine Haftstrafe von elf Jahren. Der eine hatte das Bargeld verwaltet, das den in Viehwaggons zur Vernichtung angelieferten Juden in Auschwitz gestohlen wurde, und selbst an der Rampe Dienst getan. Der andere hatte zwischen September 2013 und April 2014 während zweier Aufenthalte in Syrien an einem Angriff islamistischer Milizen auf das Zentralgefängnis von Aleppo teilgenommen und in Kampfhandlungen eine Mörsergranate abgefeuert.
Was beide Fälle gemein haben? Deutschland ist nicht nur Export- und Fußballweltmeister, sondern auch Weltmeister in Menschenrechten, Demokratie und juristischer Aufarbeitung. So wenig der 94jährige SS-Mann a. D. und der 28jährige Jihadist a. D. gemein haben mögen, dass und warum sie verurteilt wurden, ist das Ergebnis eines gewandelten Selbstbildes von der Nation der Täter in diejenige der Aufarbeiter und Opfer.
Der ehemalige Islamist wurde nicht nur wegen der Mitgliedschaft in einer besonders ekligen Terrorgruppe verurteilt, sondern auch für die Teilnahme am Krieg in Syrien. Dass dies juristisch möglich ist, verdankt er einer Reihe von Gesetzen, die seit Anfang 2000 von der rot-grünen Regierung und ihren Nachfolgerninnen eingeführt wurden und den öffentlichen Strafverfolgungsanspruch immer weiter ins Ausland verschoben haben.
Damit aus der Beteiligung an Kampfhandlungen, die in Syrien alltäglich sind, eine Beihilfe zum versuchten Mord in 400 Fällen werden kann, muss zuvor aber erst einmal eine grundlegende Entscheidung gefällt werden. Darüber, ob es sich bei einer bewaffneten Gruppe um eine Befreiungs- oder um eine Terrororganisation handelt, befindet das Justizministerium ohne Pflicht zur Begründung, indem es eine Verfolgungsermächtigung erteilt. Vom § 129b StGB (ausländische terroristische Vereinigung) bis zu den neuen Gesetzen gegen »Foreign Fighters« (§ 89a, b StGB) geht der juristischen Verfolgung eine Ermächtigung durch den Justizminister, also die Bundes­regierung voraus. Eingeführt wurde diese Regelung seinerzeit auch auf Drängen der Grünen, die vor dem Hintergrund einer »menschenrechtsorientierten Außenpolitik« verhindern wollten, dass der Widerstand gegen Unrechtsregime von deutschen Gerichten verfolgt wird. Welcher Widerstand legitim, welcher terroristisch ist, entscheidet seitdem die Bundesregierung. So viel kann sich eine Weltmacht schon erlauben, die aus Auschwitz gelernt hat. Dem Verfahren gegen den ehemaligen Islamisten Harun P. werden daher weitere folgen. Demjenigen gegen Oskar Gröning hingegen vermutlich nicht mehr viele. Denn in punkto NS-Vergangenheit hat die deutsche Justiz längst gezeigt, was gezeigt werden sollte: dass Deutschland Aufarbeitungsweltmeister ist.