Generalstreik vertagt

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Die Gelegenheit zur Revolte verstrich ungenutzt. Am Mittwochabend voriger Woche hatten Mitglieder des Blockupy-Bündnisses zu einer öffentlichen Versammlung auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg aufgerufen, um über »angemessene Solidarität« angesichts der Griechenlandkrise zu beraten. Nebst Fernsehteams des spanischsprachigen Nachrichtenkanals des iranischen Staatsfernsehens, Hispan TV, und des russischen Staatssenders Russia Today sowie einer halben Hundertschaft der Berliner Polizei kamen rund 1 000 Personen. »Was sollen wir tun?« fragte Anna von der Interventionistischen Linken (IL) in die Runde aus Anwohnern und Mitgliedern verschiedener linker Parteien und Gruppierungen. Einen »Generalstreik« forderte ein Mann mit wuchtigem Schnurrbart in Zimmermannskluft, ein »sichtbares Zeichen« ein Herr im Jackett. Per Zuruf beschloss man, vor das Finanzministerium in der Wilhelmstraße zu ziehen, was dann lautstark und ungehindert von der leicht überrumpelt wirkenden Polizei geschah. Das festungsartige Gebäude des heutigen Finanzministeriums beherbergte einst das Reichsluftfahrtministerium. Hermann Göring plante hier den deutschen Luftkrieg – auch gegen Griechenland. Im Jahr 1953 begann auf dem »Platz des Volksaufstandes« am Nordende des Gebäudes der Arbeiteraufstand des 17. Juni in der DDR. Eigentlich die Chance für eine Twitter-Revolution wie aus dem Lehrbuch: Angesichts der schwachen Polizeikräfte wäre es leicht gewesen, den symbolträchtigen Platz zu besetzen, um dort die europaweite Revolte gegen das »deutsche Spardiktat« auszurufen. Aber die Demonstranten waren müde und vielleicht auch überfordert von der Ahnung der historischen Gelegenheit – sie begnügten sich damit, mit Kreidefarben Blumen vor das Ministerium zu malen, sangen das Partisanenlied »Bella Ciao« und kamen dann zügig der Aufforderung der Polizei nach, die Straße wieder für den Verkehr freizumachen.