Touch me, feel me

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Leider ist es ja so, dass Mitgefühl nichts Angeborenes ist, sondern, wie alle höheren Zivilisationsleistungen, unter Mühen erlernt werden muss. Die Begeisterung, mit der kleine Kinder Insekten amputieren und Geschwisterchen vermöbeln, legt von diesem Faktum immer wieder Zeugnis ab. Und auch wir Älteren, die wir die gröbsten Wildwasserfahrten der Charakter- und Herzensbildung schon hinter uns haben, müssen gelegentlich den Muskel Mitgefühl trainieren, soll er nicht erschlaffen und verschrumpeln. Hilfe erhalten wir dabei von Wohltätigkeitsvereinen, die uns wohldosiert das Leid der Welt unter die Zunge pipettieren. So übersandte die Schweizer Charity-Organisation Helvetas ausgewählten Haushalten einen Bogen Sandpapier, versehen mit dem Hinweis: »So fühlt sich das Leid in der Sahelzone an«. Im Interesse der geneigten Leserschaft habe ich das Experiment gewagt – und das Leid in der Sahelzone auf mich genommen. So ungefähr fühlt es sich an, das Leid: Erst kratzt es spielerisch an den Fingernägeln herum und schafft hierbei einen schönen Abrieb- und Glanzeffekt, der es durchaus mit einer professionellen Maniküre aufnehmen kann. Dann geht das Leid in der Sahelzone experimentell an die Saphir-Elemente des Smartphones, um festzustellen, wie kratzfest die sind; angesichts der Möglichkeit, dass es winzige Saphirspuren auch auf das Leid in der Sahelzone geschafft haben könnten, nimmt man hiervon aber sicherheitshalber schnell Abstand. Dann, wenn keiner guckt, kann man das Leid in der Sahelzone auch kinky-fetischmäßig den Arm raufwandern lassen, über den Oberkörper und die funktionslosen Sekundärmerkmale streifen lassen. Uuhhuhu! Süßes, geiles Leid! Dank der Firma Helvetas, die mich daran hat teilhaben lassen.