Chamäleon ohne Karma

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Flüchtlinge. Um was sollte es diese Woche sonst gehen? Der Krieg in Syrien, die andauernde Diskriminierung von Roma und Sinti und das allgemeine Elend auf der Welt führen dazu, dass die dreckigen Seiten der deutschen Ideologie wieder stärker zum Vorschein kommen. Während Hunderttausende Menschen der Kampf um ihr Leben nach Europa und nach Deutschland führt, überbieten sich unorganisierte Deutsche und organisierte Nazis on- und offline mit Parolen und Gedanken aus den dunkelsten Ecken des deutschen Nationalgefühls. Da hilft auch nicht, dass Joachim Gauck irgendwas von Dunkeldeutschland erzählt – auch ein Helldeutschland ist immer noch Deutschland. Und das zeigt sich wieder einmal in voller Pracht, so dass selbst die überwältigende Hilfsbereitschaft gegenüber den ankommenden Flüchtlingen noch einen völkisch-nationalistischen Ton annimmt.
Und Angela Merkel? Erst schwieg sie, dann sprach sie und wurde urplötzlich zur »Queen of refugee Europe«, sozusagen. Ihr Schweigen – wie schon oft erwähnt ihre Lieblingswaffe im politischen Betrieb – wurde als Zustimmung interpretiert, ihre Worte zur Lage und ihr gewohnt pragmatischer Ansatz wurden – vor allem im Netz – als heuchlerisch bewertet. Verständlich angesichts der europäischen Asylpolitik, die wesentlich von Deutschland beeinflusst wurde und durch blumige Worte der Kanzlerin nicht besser wird, vielmehr sogar noch verschärft werden soll. Alles unter dem Deckmantel des Pragmatismus. Merkel kann also nichts richtig machen und tut es auch nicht, trotzdem wird sie von der internationalen Presse und der deutschen Gesellschaft gefeiert. Täglich grüßt das Murmeltier. Denn Merkel bleibt sich treu: distanziert, emotionslos, mit einer gewissen Abneigung gegenüber dem Pathos und mit der Fähigkeit, in jedem Kontext das zu sagen, was die Anwesenden hören wollen oder bereit sind zu hören.
So redet sie im Bierzelt ein wenig mehr über die Sorgen der Bürger und darüber, dass Deutschland einiges zu stemmen hat in Bezug auf die Flüchtlinge, während sie an der Universität Bern 2009 davon sprach, dass Islamisierung überbewertet sei – mit wirklich guten Argumenten. Merkel ist ein Chamäleon, das sich an den jeweils Anwesenden orientiert. Die Worte, die sie nutzt, die Botschaften, die sie hat, variieren. Alle sollen stets das Gefühl haben, dass die Kanzlerin wirklich nur sie ernst nimmt und es ernst meint. Merkel ist eine, die sich gewissenhaft vorbereitet, die ihre Gegenüber sehr genau studiert. Denn sie weiß, dass sie politisch nur überleben kann, wenn sie es allen irgendwie recht macht, wenn sich alle nach dem Hören ihrer Worte wohlfühlen. Da ist es dann auch nicht so schlimm, wenn das Recht auf Asyl schon lange nicht mehr als selbstverständliches Menschenrecht gehandelt wird.