Das neue Album von Migos

Wiederholungen – aber nicht auf der Hantelbank

Migos sind die perfekte Verkörperung des anstrengungslosen HipHop-Materialismus. Das neue Album »Yung Rich Nation« der Musiker aus Atlanta verspricht viel, löst aber nicht alles ein.

Es ist zwei Jahre her, da hatten Migos ihren ersten großen Hit. »Versace« hieß er. Und der Name des italienischen Design-Labels machte auch den Großteil des Liedtextes aus. Über einem schlichten Trap-Beat heißt es in der Hook am laufenden Band nur: »Versace«. Rap-Superstar Drake feierte den Song, remixte ihn und baute ihn schließlich in sein eigenes Set ein. Das war, bevor ein gewisser Kendrick Lamar die Musikpresse und selbst die Feuilletons mit seinem Album »To Pimp a Butterfly« bezauberte. Die drei Jungs aus Atlanta Anfang 20 sind das Kontrastprogramm zur anspruchsvollen und hochgradig politisierten Epik eines Kendrick Lamar. Und gerade die ausgestellte Leere in einem Hit wie »Versace« macht die Band und ihr Debütalbum »Yung Rich Nation« interessant.
Kulturpessimisten könnten »Versace« als Beleg dafür werten, dass HipHop schon bessere Zeiten gesehen hat und das Stück den aggressiven Stumpfsinn des Rap in seiner reinsten Form repräsentiert. Tatsächlich aber ist »Versace« genial. Vor allem in der Verschränkung von Form und, na ja, Inhalt. Wie gesagt: Da wird wenig mehr mitgeteilt als der titelgebende Designername. Im Video zu dem Song, das in unbescheidenen Goldtönen gehalten ist und an die gehobene Pornofilm-Ästhetik Andrew Blakes erinnert, fokussiert die Kamera abwechselnd den Goldschmuck der Rapper, die sexy Körper und Schlafzimmerblicke der Gespielinnen, einen Leoparden an der Leine und die gigantische Luxusvilla. Es ist die perfekte Verkörperung des HipHop-Materialismus.
Doch da ist mehr, klar, die Leere, der Kitsch und die unfassbare Einfalt, die im bedingungslosen Konsum stecken. Vor allem durch die Flows des Rappers Quavo entsteht ein Sog, der einen hineinzieht. Man badet nicht im Geld, man ertrinkt darin. Und aus einer dekadenten Marke wird ein bloßer, wohlklingender Singsang, der einem nicht mehr aus dem Kopf will.
Es gibt einen Klassiker der Minimal Music, die seit den Sechzigern mit prägenden Figuren wie Philip Glass, La Monte Young, Terry Riley und Steve Reich ihren Fokus auf die stete Wiederholung einzelner Motive und musikalischer Phrasen legt. Das Stück heißt »It’s Gonna Rain« und ist das erste bekanntere Werk von Steve Reich. Es handelt sich dabei um eine Tonbandaufnahme eines Straßenpredigers, der – passend zur Kubakrise – vom kommenden Untergang berichtet. Reich arbeitet mit zwei Tonbandgeräten; er lässt die Phasen zunächst auseinanderfallen und schiebt sie wieder ineinander. In der Wiederholung entsteht ein apokalyptisches Mantra. Migos schaffen etwas ganz Ähnliches und lösen beim Hörer einen Zustand von Trance und Versunkenheit aus – wie auf jenen Drogen, die einen eher beruhigen als wegballern.
Ihr Stil, der Trap, stammt aus dem Süden der USA und hat spätestens im letzten Jahrzehnt die alten politischen und stilistischen Kämpfe zwischen East und West Coast beruhigt. Der Trap hat einen elektronischen, sterilen Sound, manchmal nahe an der Electronic Dance Music, mal mit stärkeren House-Einflüssen, mal mit fieseren Bässen für den Club. Auch bei einem deutschen Rapper wie Kollegah dominiert der Trap mittlerweile.
Der andere große Hit von Migos heißt »Hannah Montana« nach der gleichnamigen Teenager-Sitcom mit Miley Cyrus. Der Name einer weißen Frau dient hier als Szene-Code für Drogen, genauer für Koks. Nachdem der Rapper Jeezy einst »Christina Aguilera« als Code für Koks einsetzte, wurde »Christina« zu einem der meistgebrauchten Slangwörter. Auch »Hannah Montana« hat eine einlullende Wirkung und ist unfassbar catchy und klebrig. Migos klingen nie nach 140-Kilo-Hantelbank, eher nach einem nicht ganz nüchternen Nachmittag auf dem Rummelplatz mit guten Freunden. Das mag verharmlosend sein, aber es ist auch die Strategie der Band. Gegen die Aggression und die Steroidnacken des Gangsta-Rap setzen Migos auf Skill und Witz. Kürzlich nahmen die Musiker eine Version von »Hannah Montana« mit einem neunköpfigen Klassikorchester auf. Man findet das Stück bei Youtube; es ist schlicht phänomenal, weil das Orchester dem sterilen Sound von Migos durchaus guttut. Zu Beginn werden Mitglieder des Orchesters interviewt, und manch ein Musiker wirkt nicht gerade HipHop-affin. Die Fusion von Rap und Klassik funktioniert dennoch.
Die Stärken von Migos sind eindeutig ihr abgeschossener Flow und der Minimalismus, der den Sound prägt. Beim Debütalbum »Yung Rich Nation« heißt es im großartigen »Migos Origin« über ihren schnellen Weg zum Erfolg: »Disrupted the game, the industry was shook up, three young niggers, never did a pushup.« Man braucht eben doch nicht immer viel Zeit im Fitnessstudio zu verbringen, um Rapper zu werden. Migos nehmen in ihren besten Momenten die Klischees auseinander, anstatt sie zu bestätigen. Auch das reduzierte Stück »Gangsta Rap«, das mit dicker Basslinie und Scratches sehr oldschool daherkommt, kann überzeugen. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet drei Jungs Anfang 20 wieder alles neu machen wollen, indem sie den alten Kram ausgraben. Der Größenwahn und die Lust am Wettkampf, die nirgendwo ein besseres Zuhause fanden als im Gangsta-Rap der letzten Dekaden, passen ausgezeichnet zu Migos. Was sie vom ernsten Hantelbank-Rap unterscheidet, ist ihr beachtlicher Sinn für Humor: In »China Town«, einem Stück auf dem ersten Mixtape »Young Rich Niggas«, schießen sie zielsicher über das Ziel hinaus, wenn sie über Motorola, Honda, den Boxer Manny Pacquiao und die Stadt Tijuana rappen. Nichts davon kommt aus China.
Seit »Versace« ist der Migos-Flow im HipHop sehr einflussreich. Es ist ein Triplet-Flow, der, ganz technisch gesprochen, darin besteht, in 6/8 über einen 4/4-Beat zu rappen und einem smoothen Stottern gleichkommt. Drake und Lil Wayne und andere borgen ihn aus. Als Vorbild dient die Three 6 Mafia, eine der Vorreitercombos aus dem Süden. Wer wie Mark Greif in seinem großartigen Aufsatz über den Klassiker »NY State of Mind« von Nas das »Rappen lernen will« – so lautet der Titel des Essays –, der hat hiermit ein neues Übungsobjekt. Aber selbst für sehr Geübte dürfte es schwer sein, sich die Souveränität von Migos anzueignen, die sie zum Beispiel in ihrem 17minütigen Freestyle bei der britischen Radiostation Capital Xtra beweisen. Über minimalistischen Beats kommt das fast schon Psychedelische ihres Flows perfekt zur Geltung.
Dass »Yung Rich Nation« dennoch nicht so großartig ausfällt, wie es die Hits und die Möglichkeiten der Band versprochen haben, liegt am Füllmaterial, das auf diesem Album leider auch platziert ist. »Spray the Champagne« ist genauso öde wie »Street Nigga Sacrifice« oder das zwar experimentellere, aber bloß japsende »What a feeling«. Die Lust an der Repetition, die Migos konsequent zelebrieren, kann schnell umschlagen in Langweile, wenn die Beats nicht hinterherkommen oder die Hook sich nicht einprägt. Die Beats und die fehlenden Experimente sind es, die verhindern, dass »Yung Rich Nation« das Potential von Migos voll ausspielt. Ein Tiefpunkt ist »Just for tonight«, das neben dem furchtbaren Refrain auch dadurch negativ auffällt, dass es den Schläger Chris Brown einbindet. Zur Erinnerung: Brown schlug vor einigen Jahren seine damalige Freundin Rihanna krankenhausreif. Seltsam, dass er im R n B-Kosmos weiterhin eine große Nummer sein darf.
Würde man Migos nur nach ihren Hit-Singles beurteilen, wären sie womöglich auch auf Albumlänge für den technischen Hedonisten-Rap schon jetzt das, was Kendrick Lamar für den politisch bewussten Rap ist. So ist dieses Debüt das Versprechen einer vermutlich glorreichen Zukunft.

Migos: Yung Rich Nation. Explicit