Roland Röder im Gespräch über die Motive und Vernetzung türkischem Rechtsextremisten

»Organisierte Spontaneität«

Über Motive und Vernetzung türkischer Rechtsextremisten in Deutschland sprach die Jungle World mit Roland Röder vom »Kompetenzzentrum Islamismus« der Aktion 3. Welt Saar. Das Zentrum beschäftigt sich mit Menschenrechtsverletzungen, die mit dem Islam begründet werden.

Wer sind diejenigen Türken, die zur Zeit massenhaft in Deutschland demonstrieren?
Das sind vor allem sehr nationalistische Türken, entweder von der AKP-Anhängerschaft oder von noch weiter rechts, aus dem Umfeld der MHP, einer tendenziell faschistischen Partei. Außerdem ist da noch Millî Görüş, eine islamische Vereinigung, die ebenfalls nationalistisch ist, was man auch am Namen erkennt, der übersetzt die »nationale Sicht« heißt.
Bei Mottos wie »Gegen den Terror und für den Frieden im Irak und Syrien« fragt man sich, wofür oder wogegen diese Rechten überhaupt demonstrieren. Etwa auch gegen den »Islamischen Staat« (IS)?
In diesen Auseinandersetzungen wird von nationalistischen Türken und auch wenigen Türkinnen die Politik Erdoğans kopiert. Das ist eine Politik, bei der Erdoğan Pate des IS ist und die sich gegen Kurdinnen und Kurden richtet. Als einzige relevante politische Kraft der Region, die nicht auf Religion setzt, werden sie natürlich zum Feind aller muslimischen Akteure. Daraus erklären sich auch die Attacken hier in Deutschland. Es gibt zwar Unterschiede unter den Islamisten, aber da geht es nur um die Verteilung von Pfründen. Dieses Lager ist meinungsbildend und anschlussfähig nach weiter rechts außen.
Stehen hinter den Demonstrationen denn auch religiöse Motive?
Zwar hat sich die Türkei immer auf die Fahnen geschrieben, ein säkularer Staat zu sein. Gleichzeitig hat Republikgründer Kemal Atatürk auch ein Amt für religiöse Angelegenheiten eingerichtet, um weiter Zugriff auf den Alltagsislam zu haben. Das ist bis heute direkt dem Amt des Ministerpräsidenten unterstellt. Von diesem Amt aus wird auch der größte muslimische Verband hier in Deutschland, DİTİB, betrieben und finanziert. Die Balance von früher ist in den letzten Jahren in Richtung Islamismus gekippt. Genau in diesem Spannungsverhältnis werden Türkinnen und Türken erzogen, nicht zuletzt diejenigen, die jetzt hier auf die Straße oder in die von DİTİB betriebenen größten Moscheen Deutschlands gehen. Deren Imame werden von der Türkei ausgewählt, bezahlt und hergeschickt. In religiösen Fragen ist DİTİB leider der bevorzugte Gesprächspartner deutscher Behörden. Es gibt in zehn Bundesländern, wenn auch in verschiedenen Varianten, Is­lam­unterricht. So gut wie überall ist DİTİB involviert. Man kann sagen, die machen hier Erdoğan-Politik und bekommen von deutscher Seite das Signal, das sei okay.
Also liegt der Grund für die Ausschreitungen nicht in spontan überbordenden Emotionen migrantischer Jugendlicher?
Das waren zu keinem Zeitpunkt spontane Wutausbrüche, sondern das war und ist organisierter Nationalismus. Die Türkei ist seit ihrer Gründung 1923 ein sehr nationalistischer Staat, auf Bannern oder in den Zeitungen steht: »Sei stolz darauf, Türke zu sein«. Es wurden immer nationale Minderheiten ausgegrenzt, das ist Kernbestandteil kemalistischer Politik. Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten eine Radikalisierung. Von den Kemalisten ausgehend hat sich die AKP entwickelt. Sie versuchte eine Symbiose von Kemalismus und Islamismus, mit Schwerpunk auf letzterem. Insofern waren diese Proteste nie und nimmer spontan, obschon authentisch.
In Berlin vermischten sich Gruppen von AKP-Anhängern, Träger von Salafistenfahnen und in Atatürk-Konterfeis gehüllte Kemalisten. Ideologisch klingt das paradox. Für die Salafisten ist die Nation vollkommen irrelevant, für die MHP ist sie alles.
Es gibt immer einen gemeinsamen Feind, der die eigenen Reihen schließt: Das sind die Kurdinnen und Kurden. Nationalismus ist die zentrale Grundlage im Umgang mit ihnen. Das ist der Grund, warum es die Kämpfe in der Türkei um mehr Teilhabe überhaupt gibt, sei es durch die PKK oder auch die verschiedenen kurdischen Parteien, die regelmäßig verboten wurden. Auch bei der HDP gab es diese Versuche. Es gab von der kurdischen Seite zahlreiche andere Angebote, politisch über den Konflikt zu diskutieren, etwa durch Zeitungsgründungen. Aber Journalisten wurden ermordet, Zeitungsausträger, also Kinder wurden erschossen, wenn sie die falsche Zeitung ausgetragen haben. Und das ist nach wie vor die türkische Politik. Die Kurdinnen und Kurden werden im Grunde genommen als Menschen zweiter Klasse betrachtet und oft auch so behandelt.
Viele rechte Türken betrachten Kurden ja als Türken, die nur von ausländischen Kräften verhetzt würden. Oft wird betont, man sei nur gegen die PKK.
Das ist die ethnopluralistische Sicht von vielen neuen Rechten, die ab Anfang der neunziger Jahre durch den Front National etabliert wurde. Das waren Intellektuelle aus Frankreich, die diesen Modernisierungsprozess der europäischen Rechten einleiteten. Das ist also nicht spezifisch für türkische Rechte, denn das hört man auch von faschistischen Deutschen, die sagen: »Ich habe nichts gegen Juden oder Ausländer, aber … «
Das scheint in Köln selbst die Linksnationalisten der TGB (Türkiye Gençlik Birliği) und die Grauen Wölfen geeint zu haben.
Das muss man auf den türkischen Gründungsmythos zurückführen, aber sogar schon auf die Jahre davor, als im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs von den Jungtürken massenhaft Armenier ermordet wurden. Alle, die nicht von Anfang an dazu bereit waren, sich unter dem Label »Türke« zu vereinen, hatten erhebliche Probleme, Zugriff auf materielle Ressourcen zu bekommen, und wurden mitunter auch von Militär und Polizei angegriffen.
Der Messerstecher von Hannover ist auf freiem Fuß. Wie erklären Sie sich das zögerliche Verhalten deutscher Behörden, die sonst nicht müde werden zu betonen, wie wichtig der Kampf gegen Terror ist?
Die Türkei ist Nato-Partner. Da wird über vieles hinweggesehen, zum Beispiel auch, was in Istanbul im Gezi-Park passiert ist. Zweitens gilt in Deutschland nach wie vor das Verbot der Kurdischen Arbeiterpartei, der PKK. Das wurde 1993 von CDU-Innenminister Manfred Kanther ausgesprochen, also dem, der später im Zuge der CDU-Schwarzgeldaffäre den Hut nehmen musste. Und dieses PKK-Verbot ist nicht nur ein Textbaustein, der ab und zu noch an einer Wand eines Ministeriums hängt, sondern es heißt, das Tausende deutsche Polizeibeamte Tag für Tag damit beschäftigt sind, es durchzusetzen und so Kurdinnen und Kurden zu diskriminieren. Und das bei gleichzeitig angeordneter Streichung der Hamas von der EU-Terrorliste aufrechtzuerhalten, ist schon ein hartes Signal. Wenn man alle Punkte addiert – Nato-Partnerschaft, PKK-Verbot und Hofierung von DİTİB –, dann kommt man zur Grundhaltung der BRD.
Die Klagen gegen angebliche Agenten des türkischen Inlandsgeheimdienstes MİT, die in Deutschland gezielt Erdoğan-Kritiker, Kurden und Yeziden »vernichten« sollten, widerspricht dieser These.
Es ist eben nicht alles einheitlich. Die Türkei schlägt mitunter auch über die Stränge und es gibt durchaus Uneinigkeit unter den anderen Nato-Staaten, wie man damit umgeht. Es gibt beispielsweise auch viele Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland Asyl bekommen haben, oder Diskussionen, das PKK-Verbot aufzuheben. Der Trend ist, den Nato-Partner Türkei attackiert man nicht allzu laut und »die PKK ist böse«, aber im Einzelfall neigt man auch schon mal zur anderen Seite. Da hat die kurdische Seite in der letzten Monaten Boden gutgemacht.
Das liegt vielleicht auch daran, dass die PKK seit Mitte der neunziger Jahre von Aktionen in Deutschland weitgehend abgesehen hat. Oder gab es neben der Sachbeschädigung an einer Bielefelder Moschee der Grauen Wölfe in letzter Zeit offensive Aktionen?
Nichts, wovon ich wüsste. Aber die sind natürlich auch extrem erregt und wissen genau, was in in der Türkei und in Kurdistan passiert. Kobanê steht nur symbolhaft für den permanenten Kampf »Freiheit gegen Barbarei« im Kontext des IS. Erdoğan hat die zarte Pflanze »Friedensprozess«, inklusive der Gespräche via Geheimdienst mit Abdullah Öcalan, dem Anführer der PKK, zertreten. Das provoziert auf der kurdischen Seite Verzweiflung. Wichtig ist auch zu sehen, dass es ohne die PKK nie diesen, wenn auch sehr schmalen, Korridor für eine Debatte gegeben hätte. PKK und HDP muss man zusammen denken. Ich vergleiche die PKK oft mit dem ANC und Öcalan mit Nelson Mandela. Der ANC und Mandela haben zu keinem Zeitpunkt mit Platzpatronen geschossen; das war ein bewaffneter Kampf, da ging es um Teilhabe von farbigen Menschen in Südafrika an der Gesellschaft. Das gleiche ist in der Türkei der Fall: Die PKK steht für Partizipation und Demokratie. Deswegen fordern wir die unverzügliche Aufhebung des PKK-Verbots.
Wie müsste das Wahlergebnis Anfang November ausfallen, damit es friedlicher wird?
Zehn Prozent plus x für die HDP, denn je besser das Ergebnis der HDP, umso unwahrscheinlicher ist es, dass Erdoğan die absolute Mehrheit bekommt.
… oder, dass »Kerdoğan« sich wie Rumpelstilzchen ärgert und weiter gewaltsam vorgeht?
Das kann natürlich auch sein, aber letzten Endes kann man nicht auf die Psyche eines einzelnen Menschen alleine setzen, wobei Erdoğan in der Tat leicht psychopathisch zu sein scheint.