Selbstorganisierte Fluchthilfe

Pflichtprogramm Fluchthilfe

Unterstützer aus Sachsen, Österreich und Tschechien brachten vergangene Woche mit ihren privaten Autos Flüchtlinge über die Grenzen vom Balkan nach Österreich und Deutschland.

Es ist mitten in der Nacht, der »Konvoi der Hoffnung« steht im strömenden Regen an der österreichisch-ungarischen Grenze. Er ist hier, um Flüchtlingen über die Grenzen Ungarns und Österreichs nach Deutschland zu helfen. Seit Monaten versuchen Zehntausende Schutzsuchende auf einem sicheren Weg ihr Ziel zu erreichen. In den vergangenen Wochen hat sich die Lage zugespitzt. Ungarische Polizei und ungarisches Militär gehen gewaltsam gegen die Flüchtlinge vor, die in Lagern festgehalten werden. Jan Liebig, der Pressesprecher des Konvois, sagt: »In Ungarn herrschen Zustände, die wir nicht hinnehmen können.« Es sei daher »humanitäre Pflicht«, jetzt den Menschen zu helfen: »Täglich sterben Menschen bei dem Versuch, Kriegen und sozialer Not zu entfliehen. Wo Unrecht zu Recht wird, wird Fluchthilfe daher zur Pflicht«, so Liebig.
Um diese Pflicht zu erfüllen und gegen die Politik der Abschottung zu opponieren, organisierten Menschen aus Leipzig den Konvoi, initiiert von der »Gruppe Prisma – Interventionistische Linke Leipzig«. Bereits vor zwei Wochen hatten Menschen aus Wien mit über 170 Autos Geflüchtete über die Grenzen gebracht. Diesem Beispiel folgend machten sich am Montagmorgen vergangener Woche 15 Autos aus Leipzig auf den Weg. Hinzu kamen weitere Fahrzeuge aus Dresden, Prag und Wien. Unter den Beteiligten war auch die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz (Linkspartei), die nach Wien fuhr, um den Konvoi zu unterstützen. Ein »fatales Signal an Europa« nennt sie die Wiedereinführung von Grenzkontrollen.

Im österreichischen Nickelsdorf treffen die Fluchthelfer schließlich auf Tausende Geflüchtete, die aus den ungarischen Lagern dorthin gebracht wurden. Viele waren bereits zu Fuß auf dem Weg nach Deutschland. Erschöpfte, vom Regen durchnässte Menschen, die entlang der Autobahn durch die Nacht laufen. Doch die meisten sind fest entschlossen, ihren Weg fortzusetzen. »Jeden Tag führen Geflüchtete politische Kämpfe gegen das militarisierte Grenzregime«, schreibt die Interventionistische Linke Wien und stellt fest: »Mit Fußmärschen, Blockaden und Hungerstreiks fordern sie ihre Handlungsmacht ein, die die EU-Grenzpolitik mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterdrücken sucht.«
In der ersten Nacht kann der »Konvoi der Hoffnung« rund 300 Menschen von der ungarisch-österreichischen Grenze nach Österreich und Deutschland bringen. Doch viele sind misstrauisch. Sie haben auf ihrer langen Fluchtroute oft horrende Summen für eine Weiterfahrt zahlen müssen.
Und tatsächlich verlangen die österreichischen Taxifahrer vor Ort von ihnen mehr als das Dreifache des regulären Preises für eine Fahrt nach Wien. Den meisten können die Aktivistinnen und Aktivisten jedoch klar machen, dass es sich hier um private und unentgeltliche Unterstützung handelt – um »radikale Humanität«, wie sie es selbst bezeichnen. So steigen viele Frauen, Männer und Kinder dankbar in die Autos ein. Ganze Familien, erschöpft lachend oder vor Glück weinend.

Der Status der Geflüchteten in Ungarn wird derweil immer prekärer. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel davon spricht, sie wolle niemanden abweisen, der Hilfe sucht, gibt es strikte Grenzkontrollen, Teile der deutsch-österreichischen Grenze werden geschlossen. Fluchthilfe wird dadurch immer schwieriger. Am Dienstag ist es aufgrund der Kontrollen kaum mehr möglich, die Geflüchteten in Autos über die Grenze zu bringen.
Für die »Konvoi«-Leute erst recht ein Grund, den Menschen zu helfen. Es werden Routen verglichen, Grenzposten abgefahren, mögliche Übergänge koordiniert. Und tatsächlich können sie auch an diesem Tag Flüchtlinge bei ihrem Weg über die Grenze begleiten – wenn auch zu Fuß. Einige Beamte wollen das nicht dulden und nehmen Teilnehmer des Konvois für kurze Zeit wegen »Schleusertätigkeit« in Gewahrsam. Die Vorwürfe sind jedoch nicht haltbar – der Marsch über die Grenze lässt sich strafrechtlich nicht ahnden. Kurze Zeit später dürfen die Fluchthhelfer gehen, während die Geflüchteten in Freilassing von Beamten registriert werden. Einige werden noch in derselben Nacht von Fluchthelfern nach Deutschland gefahren, andere bleiben erstmal in Wien oder fahren mit dem Zug weiter.
Nach zwei Nächten der Fluchthilfe fährt der »Konvoi der Hoffnung« in der Nacht zum Mittwoch zurück, andere Aktivisten bleiben. Helfen konnten sie einigen Hundert, doch Tausende Menschen warten noch immer an den Grenzen. In Ungarn werden in den darauffolgenden Tagen Grenzzäune zu Serbien und Kroatien errichtet.

Die Flüchtlinge bekommen die Macht des europäischen Grenzregimes mit voller Härte zu spüren: Mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken werden sie gewaltsam von der Grenzüberquerung abgehalten. Eine Notversorgung gibt es nicht. Weder Essen noch Trinken sind vorhanden, geschweige denn Unterbringung.
Eine Aktion wie der »Konvoi der Hoffnung« kann Einzelnen helfen, Tausende bleiben jedoch zurück – in notdürftigen Auffanglagern, Zelten an Bahnhöfen oder an den mit Stacheldraht errichteten Grenzzäunen. Die Fluchthelfer sehen in ihrer Aktion dennoch etwas Positives, ein »Symbol«, dass die »Mauern der Festung Europa überwindbar sind«.