Der Sowok

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Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch hat den Nobelpreis für Literatur 2015 erhalten. Das ist vor allem aufgrund ihrer sehr eigentümlichen literarischen Methode interessant, die sich durch einen dokumentierenden Stil auszeichnet und zahlreiche Gesprächsnotizen collagiert. Das ist nicht aus der Belletristik, sondern aus dem Journalismus bekannt. Dass damit trotzdem ein literarischer Effekt erreicht werden kann und neue Möglichkeiten der Stoffbehandlung gezeigt werden, ist in ihrem jüngsten Buch »Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus« auf hervorragende Weise zu sehen. Alexijewitsch geht in Gesprächen mit Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken dem Zusammenbruch der UdSSR nach. Sie lässt verschiedene Personen über Gorbatschow und Jelzin, über den Augustputsch 1991 und die Verfassungskrise von 1993, über zerstörte Hoffnungen und neue Enttäuschungen, die Sehnsucht nach einem Zaren und einem neuen Imperium genauso erzählen wie über Lenin, Stalin und Putin, die wilden Neunziger und die Verwaltung des Kapitalismus unter KGB-Führung. Vor allem interessiert sie ein Menschentypus, der aus der Zeit gefallen ist, der homo sovieticus, der Sowok. Die unterschiedlichen Erlebnisse und Erfahrungen der Gesprächspartner ergeben ein Bild vom Russland der vergangenen 25 Jahre, das in die gesellschaftlichen Widersprüche und die geschichtlichen Nöte führt – und neue Formen ihrer Erzählung findet. Es ist eine fesselnde Lektüre.

Swetlana Alexije­witsch: Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2015. 569 Seiten. 11,99 Euro